Den Teufel „Unsicherheit“ mit dem Beelzebub „Ungewissheit“ austreiben – Risikomanagement revisited

Menschen sind keine Rädchen in einem Getriebe und Entscheider keine Uhrmacher. Soziale und wirtschaftliche Organisationen sind komplexe Systeme, die viel Ungewissheit enthalten. Ein Selbstbild, das eng mit der Fähigkeit zur Kontrolle verbunden ist, ist in solchen Systemen ein ernstzunehmendes Risiko.

Weicht das Gefühl der Sicherheit einer neuen Unsicherheit, weil angenommene Ereignisketten nicht in dem Sinne vollständig sind, dass sie alle denkbaren Möglichkeiten abdecken, ist eine Theorie in Anschlag zu bringen, die auch neue Faktoren in Szenarien einbezieht…..Der Markt schreibt nichts in eine durch Modelle prä-determinierte Richtung nur weiter fort. Er setzt auf Vielfalt und wehrt sich gegen die Standardisierung durch Musterlösungen. Austariert zwischen widergelagerten Interessen, sind Ereignisse mehr oder weniger gelungene Kompromisslösungen. An Fähigkeiten, Möglichkeiten und Umfelder angepasst, müssen Akteure ihre eigenen Strategien [und] Problemlösungen finden1.

Erfahrung und Standardisierung sind im Komplexen schädlich

Risikomanagement auf der Normalverteilung basierend
Risikomanagement auf der Normalverteilung basierend

Viele unselige Ansätze versuchen heute, durch Standardisierung und Zertifizierung von sogenannten Best Practices wieder Sicherheit und Gewissheit in den Alltag zu bringen und Komplexität zu reduzieren. Das ist falsch und fatal. Je mehr auf der Grundlage von Erfahrung standardisiert wird, desto widerspenstiger verhalten sich die Systeme und Organisationen, desto mehr Unerwartetes passiert. Dagegen fährt man im Allgemeinen ein Risikomanagement (RM) auf, das auf dem Paradigma von Wiener Prozess und Normalverteilung aufbaut, obwohl nicht erst seit Nassim Taleb bekannt ist, dass es viel mehr schwarze Schwäne gibt, als die Normalverteilung erlaubt. Schon Aristoteles hat gesagt, dass es wahrscheinlich ist, dass das Unwahrscheinliche geschieht.

Risikomanagement auf der Paretoverteilung basierend
Risikomanagement auf der Paretoverteilung basierend

Es kann sein, was nicht sein darf, ist das Dilemma, das Wahrscheinlich-keitsrechnung ins RM trägt, wenn mit Münzen, Würfeln und Glücks-rädern als Risiken essentialisierende Grössen wie von Geisterhand aus dem schwer handhabbaren Komplexen (Nicht-Lineare) das mathematisch noch handhabbar Komplizierte (Lineare) wird1.

Herkömmliches Risikomanagement adressiert meist technische Aspekte

In Anbetracht der eher mageren Resultate von RM muss man sich zu Recht fragen: reicht das Denken in Wahrscheinlichkeiten noch aus? Das Objekt des herkömmlichen RM klammert den menschlichen Faktor aus und fokussiert auf Eintrittswahrscheinlichkeiten von technischen Ereignissen.

Risikomanagement darf nicht länger ein Abschätzen der Launen der Natur sein, sondern muss intuitiv oder emotional handelnde Subjekte berücksichtigen. Ein Risiko „Das Projekt wird mit 75% Verzögerung einfahren“ ist ziemlich trivial und nichtssagend. Der dazugehörende Contingency Plan „Es wurde eine zusätzliche Ressource eingearbeitet“ ist schon fast peinlich.  Es wäre sinnvoller, den Grund der Verzögerung zu benennen – z.B. gegenläufige Interessen des Kunden und des Lieferanten. Das Projekt verzögert sich vielleicht, weil ein Test ungeplant durchgeführt werden muss und Fehler an den Tag befördert hat, deren Verbesserung länger dauert. Der Test wurde vom Kunden verlangt, nachdem er angesichts der schlechten Qualität das Vertrauen verloren hat. Die Qualität ist schlecht, weil der Entwicklungschef unter Zugszwang stand und das Produkt auf den Markt bringen musste. Das muss alles in die Risikobeurteilung einfliessen. Ein Trivialisieren und unter den Tisch wischen der Fakten hilft da auf die Dauer wenig und ist nicht nachhaltig. Projekte werden immer scheitern, solange das nicht klar ist.

Ausweg: Spieltheorie

Hier bietet sich die Spieltheorie als Systematik zur Beschreibung von Strategie und Vorhersage handelnder und mitdenkender Akteure an.

Dabei erweitert Spieltheorie das simple Modell vom „homo oeconomicus, weil mit Spielern und Spielen die Beziehung zwischen den Teilen und dem Ganzen auf ihrem Grund liegen, wenn Entscheidungssituationen durch Spiele facettenreich abzubilden sind, um sie mathematisch streng zu lösen….Es wird Zeit, die in Spielanalysen vorhandenen Potentiale zu nutzen1.

Es ist nun zu befürchten, dass die meisten Projekt- und andere Manager denken: „Spieltheorie? Nie gehört!“ und treu dem Motto „Not invented here“ zur Tagesordnung übergehen. Aber es lohnt sich, ein wenig in der Spieltheorie zu schökern und zumindest einmal den Wikipedia-Artikel darüber zu lesen. Darüber hinaus habe ich hier verschiedentlich  einführende Artikel geschrieben, z.B. Ist Gier rational? oder Dulden Sie in Projekten keine Hinterlist. Der Artikel Wo würden Sie sich als Eisverkäufer auf der Costa del Sol platzieren geht mit der Spieltheorie schon einen Schritt weiter.

1Volker Bieta. 60 Jahre Spieltheorie – Das Rechnen mit dem Unvorhergesehenen. Jahr unbekannt. Letzter Zugriff Juni 2012

Eine Antwort auf „Den Teufel „Unsicherheit“ mit dem Beelzebub „Ungewissheit“ austreiben – Risikomanagement revisited“

  1. … wieder mal ein typischer Addor! Super!
    Und warum wird nicht entsprechend gehandelt, obwohl die Einsicht vermutlich weit verbreitet ist? Schwierige Frage – aber vielleicht fehlt der typischen Managerin der ANLASS, der AUSLÖSER, sich mal mit jemandem zusammen zu setzen, der von Systemen was versteht. Der weiss, dass fast jede Wirkung Neben-, Rück- und Spätwirkungen hat.
    ANLÄSSE und AUSLÖSER schaffen statt weiter an der EINSICHT arbeiten. Wie macht man das?

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