Probleme aussitzen?

Am 2. Juli schrieb Jozef Hradicky in einem Kommentar zum Artikel Pfadabhängigkeit im Projektmanagement:

Also Probleme einfach aussitzen – wie in der Politik? Wenn man aktiv einwirkt, bewirkt man meist das Gegenteil … hhhmm!? Sagt denn Jeff Kight auch was zur Findung optimaler Problemlösestrategien?

Seit einem Jahr nun versuche ich hier zu erklären, dass es wohl keine „optimalen Problemlösestrategien“ gibt, sondern dass man von Fall zu Fall abklären muss, wie auf ein anstehendes Problem zu reagieren sei. Im allgemeinen reagieren wir zu schnell und zu unüberlegt auf ein Problem. Gerade in der Politik wird einfach drauf los gehauen, von „Aussitzen“ kann ich keine Spur entdecken.

Nehmen Sie den dtv-Atlas zur Geschichte und stechen Sie mit einer Nadel irgendwo hinein …. ich bin beim Schmalkaldischen Bund gelandet. Sie erinnern sich?

* 1517 regte sich Luther über den Missbrauch im Ablasshandel auf.
* 1530 hatte Kaiser Karl V. ein Problem: die drohende Glaubensspaltung im Reich. Er ächtete Luther nach dem von Politikern gerne angewandten Muster: „immer feste drauf hauen“ (und sass das Problem nicht aus).
* Daraufhin gründeten die protestantischen Stände eben den Schmalkaldischen Bund und stellten ein eigenes Heer auf (keine Spur von Aussitzen).
* Der Bund gewann an Einfluss und Terrain
* Karl V. versuchte zu vermitteln (könnte man ausnahmsweise mal „aussitzen“ nennen), was wohl der einzig intelligente Problemlöseversuch in diesem Zusammenhang war.
* Karl V. wollte 1546/47 die religiöse Frage im Schmalkaldischen Krieg dann aber doch mit Gewalt lösen (alles andere als „aussitzen“)
* Nach verschiedenem Hin und Her verändert der 30jährige Krieg, der zumindest als Religionsstreit begann, 1648 das Antlitz Europas grundlegend

Das verschiedentliche Eingreifen des Kaisers erweist sich im Nachhinein als höchst töricht. Die kaiserliche Zentralgewalt hat ausgedient, das Reich löst sich in einen lockeren Staatenbund auf. So wie er sich das vorstellte, löst man keine Probleme!

Luthers Intervention hingegen war nur gegen den Ablasshandel gerichtet, also sehr fokussiert und eher zurückhaltend. Natürlich war Luther ein Grobian und konnte fluchen, was das Zeug hält. Aber er war dennoch Geistlicher und hatte keineswegs eine Reformation oder gar Revolution im Sinn. Vielleicht gerade deshalb war die Reformbewegung erfolgreich und prägt noch heute das gesellschaftliche und kulturelle Gesicht der christlichen Welt. Aber die vielen Opfer, die die diversen Religionskriege und -fehden forderten zeugen auch nicht gerade von einer virtuosen Problemlösekompetenz der Reformisten.

Sie sagen, das sei ein veraltetes Beispiel? Glauben Sie wirklich, heute sei es besser? Gerne können wir ein moderneres Beispiel in ähnlicher Weise analysieren. Aber wir brauchen schon einen Zeitraum von ca. 100 Jahren, um die negativen Nebenwirkungen der Interventionen feststellen zu können. Deshalb interessiert es ja eben kein Schwein, ob seine Lösungsansätze Nebenwirkungen haben oder nicht. Diese treffen nämlich erst ein, wenn er längst weg ist und an einer anderen Ecke sein Unwesen treibt. Und je komplexer die Welt, desto länger die negativen Feedbackschleifen.

Glauben Sie wirklich, dass die meisten Entscheidungen und Handlungen von Manager und Projektmanager nebenwirkungsfrei sind? Oder anders ausgedrückt: dass die wenigsten Entscheidungen, die Manager treffen, negative Nebenwirkungen hätten, weil sie so weise waren? Dann sollten eigentlich die meisten Projekte erfolgreich sein. Sind sie aber nicht!

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