Die Kunst, Wirkungsnetzwerke zu zeichnen

Im letzten Beitrag befasste ich mich mit sogenannten „Causal Loop Diagrams“ (CLD) – Deutsch etwa mit „Wirkungsnetzwerke“ übersetzt – als systemische Darstellungsmittel. Ich habe den Eindruck, dass es im systemischen Umfeld wohl kaum ein zweites, derart missverstandenes und missbrächlich eingesetztes Hilfsmittel gibt, als CLD. Das kommt vielleicht daher, dass es sehr einfach aussieht und daher jeder Berater unreflektiert darauf zurückgreift.

Wirkungen wirken auf die Ursachen zurück

Ein lineares Ursache-Wirkungsdiagramm (oft auch als Fischgrät-Diagramm bezeichnet)  listet die Ursachen für ein Problem auf. Ein CLD integriert das Problem und seine Lösung in ein Gesamtsystem und fragt nach Problemursachen, die sich aus der Lösung ergeben.

Ein CLD ist ein bewerteter Digraph und eine dazugehörende Story. Die Werte der Kanten stammen aus der Menge {-1,0,1}. Ein Pfeil mit dem Wert +1 hat positive Polarität, ein Pfeil mit dem Wert -1 hat negative Polarität. Dann gibt es auch Pfeile, denen keine Polarität zugeordnet werden kann.

Soweit kann es zwei CLD mit derselben Struktur geben, wie Tom Fiddaman in The Ambiguity of Causal Loop Diagrams and Archetypes festgestellt hat.  Deshalb gehört zu einem CLD stets eine Story, die die spezielle Bedeutung des CLD erzählt. Da CLD rein qualitativ sind, lassen sich quantitative Unterschiede nicht darstellen, wie etwa Nichtlinearität gegenüber linearen Verhältnissen. Solche Unterscheidungen übernimmt die Story. Die online-Software insightmaker.com unterstützt Storytelling bei CLD.

Das CLD heisst deshalb „Causal Loop Diagram“, weil ein guter CLD-Entwickler darauf achtet, die Pfeile stets in einem Kreis anzuordnen, z.B. so:

Ein CLD soll aufzeigen, dass Wirkungen oftmals zu Ursachen der Ursachen werden können. Zwar ist ein hoher Marktanteil die Ursache für eine hohe Nachfrage, aber die Nachfrage wird via Verkäufe und Investitionen zu der Ursache für den hohen Marktanteil. Die Einsicht in solche Rückkopplungsschleifen ist gerade das Systemische am CLD. Die kollaborative Modellierungssoftware insightmaker.com hat deswegen ihren Namen.

Der folgende Ausschnitt eines CLD ist ein Ausschnitt aus einem abschreckenden Beispiel. Es werden Grössen beliebig miteinander verbunden, ohne dass die entstandenen Loops klar dargestellt werden.

Es gibt durchaus Loops, z.B.

job structure flexibility –> social & economical security –> citizen wealth –> citizen social & economical well-being –> freedom of action –> job structure flexibility

Vielleicht wäre das CLD aussagekräftiger, wenn es diesen Loop in das Zentrum stellen und sich darauf konzentrieren würde. CLD, die viele Grössen mit vielen Pfeilen wild verbinden, sind nicht nur schweirig zu lesen, sondern auch unnütz.

Warum sind Pfeilpolaritäten wichtig?

In System Dynamics hat es sich eingebürgert, dass man sagt, ein Pfeil A –> B habe eine positive Polarität, wenn gilt:

Je mehr/grösser/besser/höher A, desto mehr/grösser/besser/höher B

und

Je weniger/kleiner/schlechter/niedriger A, desto weniger/kleiner/ schlechter/niedriger B

Das ist aber einfach eine saloppe Sprechweise für eine monoton steigende Funktion. Der Pfeil A –> B ist eine Funktion, die jedem Wert von A einen Wert von B zuordnet.

Ein Pfeil A –> B hat eine negative Polarität, wenn gilt:

Je mehr/grösser/besser/höher A, desto weniger/kleiner/ schlechter/niedriger B

und

Je weniger/kleiner/schlechter/niedriger A, desto mehr/grösser/ besser/höher B

Ein Loop, der aus lauter Pfeilen mit positiver Polarität besteht, schaukelt sich auf, bzw. kollabiert. Man nennt solche Loops auf English reinforcing. Ein Loop, in dem eine ungerade Anzahl Pfeile negativer Polarität vorkommt, pendelt sich auf einem bestimmten Niveau ein. Solche Loops werden auf Englisch balancing – in Deutsch auch zielsuchend – genannt.

Das sind zwei verschiedene Verhaltensdynamiken. Die Hauptaufgabe eines CLD ist es, Aussagen über das dynamische Verhalten eines Systems zu machen, die aus dem Zusammenwirken seiner reinforcing und balancing loops abgelesen werden kann.

Polaritäten sind Funktionsmonotonien

Da ein CLD ein Graph ist, kann es nicht zwischen Fluss- und Bestandesgrössen unterscheiden. Betrachte das CLD

Der Pfeil Kapital –> Zinsbetrag hat eindeutig eine positive Polarität, d.h. je höher das Kapital, desto höher der Zinsbetrag und je kleiner das Kapital, desto kleiner der daraus resultierende Zinsbetrag.

Auch der Pfeil Zinsbetrag –> Kapital ist monoton steigend. Wenn z1 < z2 zwei Zinsbeträge sind und K das Anfangskapital, dann ist natürlich K+z1 < K+z2. Das heisst: je höher der Zinsbetrag, desto höher das resultierende Kapital und je niedriger der Zinsbetrag, desto kleiner das daraus resultierende Kapital. Der Loop Zinsbetrag <–> Kapital ist klar aufschaukelnd.

Hier zeigt es sich, wie salopp die Sprechweise je kleiner der Zins, desto kleiner das Kapital ist. Selbstverständlich sinkt das Kapital nie unter seinen Anfangsbetrag. Wird kein Zins ausgeschüttet, bleibt das Kapital einfach konstant.

Dasselbe gilt für Abflüsse. Z.B. können Sie eine Investition abschreiben und erhalten ein duales CLD

Der Pfeil Investitionswert –> Abschreibungsbetrag hat positive Polarität. Die Funktion Abschreibung –> Investitionswert ist monoton fallend, der Loop Investitionswert <–> Abschreibung ist daher zielsuchend: der Investitionswert nähert sich dem Wert 0.

Alle diese Diagramme sind mit insightmaker gezeichnet worden, ein freies online Tool, mit dem Sie kollaborativ System Dynamics Modelle entwickeln können.

Conny Dethloff hat in seinem Beitrag Drei Stolperfallen der qualitativen Modellierung gefordert, dass schon in einem CLD zwischen Fluss- und Bestandesgrössen unterschieden werden muss und dies in einer Reihe von Kommentaren begründet. Auch George P. Richardson bemängelt dasselbe wie Dethloff in A problem with causal-loop diagrams (System Dynamics Review, Juni 1986). Dabei wird klar, dass er gedanklich kaum zwischen CLD und Bestand-Fluss-Modell unterscheidet. Er denkt schon beim Erstellen eines CLD so, als wäre ein Bestand-Fluss-Modell das Ziel. Das ist selber eine Denkfalle. Ein CLD ist bloss ein bewerteter Graph, in welchem es nur eine einzige Art von Knoten gibt. Es gibt keine Unterscheidung von Fluss- und Bestandesgrössen, keine versteckten Pfeile oder gar versteckte Feedbackschleifen. Das sind alles Dinge, die erst im Bestand-Fluss-Modell zu Tage treten.

Dethloff meint, dass sich Fehler einschleichen können, wenn der Modellierer nicht aufpasst. Das ist zwar richtig, aber Fehler können sich aber auch in einem Bestand-Fluss-Modell einschleichen. Systemische Modelle entdecken nichts Neues. Wenn der Modellierer falsch denkt, ist auch sein noch so exaktes Modell falsch.

Stolperfalle in suggestiven Bezeichnungen

Es kann sogar Pfeile geben, denen überhaupt keine Polarität zugeordnet werden kann. Das Yerkes-Dodson-Gesetz beschreibt die Leistungsfähigkeit eines Menschen in Abhängigkeit von allgemeinen nervösen Erregungsniveaus und besagt, dass zwischen Erregung und Leistung ein Zusammenhang besteht. Solange eine Aufgabe freiwillig ist, werden Sie sich per Gelegenheit darum kümmern. Besteht ein gewisser Druck und betrifft die Aufgabe Ihre aktuelle Haupttätigkeit, dann werden Sie sie als wichtig und dringend einstufen und sich sorgfältig ihrer annehmen. Steht ein Berg offener Arbeiten an und tadelt man Sie wegen Schlamperei, dann werden Sie lustlos resignieren. Das heisst, die Leistung nimmt bei zunehmender Erregung zunächst ebenfalls zu, fällt dann aber bei Übererregung wieder ab. Dem Pfeil

Erregungsniveau –> Leistungsfähigkeit

kann keine Polarität zugeordnet werden. Dennoch kann er in einem CLD vorkommen.

Ich sehe die Stolperfallen nicht so sehr in der Kategorisierung der Grössen und Pfeile, sondern vielmehr in suggestiven Bezeichnungen der Grössen. Ein typischer Anfängerfehler! Da die meisten Berater, die CLD einsetzen, keine Gedanken über die Methode verlieren, kommen sie nie über dieses Niveau hinaus und präsentieren ihren Kunden unnütze CLD.

Ein CLD soll die Dynamik einer Situation beschreiben. Der Pfeil

Gute Qualität –> Zufriedene Kunden

ist statisch. Die Qualität ist auf dem Niveau „gut“ fixiert und kann keine Dynamik zwischen grottenschlecht und hervorragend gut erfahren. Dadurch sind auch die Kunden einfach immer nur zufrieden, was nicht der Beobachtung entspricht. Der CLD-Entwickler wollte damit zeigen, dass gute Qualität zu zufriedenen Kunden führt. Solche plakativen Behauptungen sind aber nicht Aufgabe eines CLD. Soll ein CLD die beobachtete Dynamik abbilden, müsste der Pfeil so dargestellt sein:

Qualitätniveau –> Kundenzufriedenheit

Ist das Qualitätsniveu hoch, ist auch die Kundenzufriedenheit hoch. Ist die Qualität niedrig, ist die Kundenzufriedenheit niedrig. Der Pfeil hat eindeutig positive Polarität. Hier leitet sich die Behauptung, dass hohe Qualität zu guter Kundenzufriedenheit führt, von selber ab. Gleichzeitig erhält der Leser des CLD auch die Einsicht, dass niedrige Qualität die Kunden vertreibt.

Genauso falsch wäre es, das Yerkes-Dodson-Gesetz so zu formulieren:

Hohe Erregung –> Gute Leistung,

nur um zu zeigen, wie wichtig ein gewisses Erregungsniveau zur Motivation von Menschen ist.  Hier sieht man besonders gut, wohin solche Bezeichnungen führen. Es ist eben nicht so, dass je höher die Erregung, desto höher die Leistung, da die Funktion nicht monoton ist.

Causal Loop Diagrams sind linearen Ursache-Wirkungsdiagrammen, wie z.B. Fischgrätdiagrammen, in jedem Fall überlegen. Der erfolgreiche Einsatz von CLD setzt allerdings einige Kenntnisse und Fähigkeiten voraus, die der Einsatz von linearen Ursache-Wirkungsdiagramme nicht benötigt. Das dürfte der Grund sein, weshalb sich nichtsystemische Fischgrät-Diagrammen grösserer Beliebtheit erfreuen.

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