Der freie Mensch lebt notwendigerweise in Ungewissheit

Was in turbulenten Projekten Kopfschmerzen bereitet, ist nicht die Komplexität, sondern das Unwissen und die Unsicherheit, ob nächstens etwas eintreten wird, was das Projekt gefährden könnte. Je weiter das Projekt fortgeschritten ist, desto umfassender sind die Unsicherheit und das Unwissen, weil sich aus jeder erledigten Aufgabe neue offene Fragen ergeben.

In einem Projekt spielt der Informationsfluss eine gewichtige Rolle. Es kann vorkommen, dass sich der Inhalt einer kurzen und unscheinbaren Information später als sehr wichtig herausstellt, während sich die Aussage des Kunden, er habe jetzt genug und werde das Projekt stoppen, als harmlos und nicht der Rede wert erweist. Wir wissen nie, wie sich das Projekt entwickeln wird und welche Information ein Risiko signalisiert. Diese Unsicherheit nennt man „Entropie“.

Gäbe es in einem Projekt nur ein einziges Risiko, das mit der Wahrscheinlichkeit p eintreten wird, dann wäre die Ungewissheit bei ganz kleinen und ganz grossen Wahrscheinlichkeiten nahezu null und würde ihr Maximum erreichen, wenn die Wahrscheinlichkeit p für den Eintritt des Risikos und die Gegenwahrscheinlichkeit 1-p gleich gross sind und somit je 0,5 betragen. Dann hat man überhaupt keinen Anhaltspunkt, ob das Risiko eintreten wird oder nicht, und die Ungewissheit ist maximal. Sie kann also so dargestellt werden.

Diese Kurve gehorcht der Formel

Damit lässt sich die Ungewissheit berechnen. In realen Projekten haben wir nicht nur ein einzelnes Risiko, sondern hunderte, wovon die meisten überhaupt nicht bekannt sind. Sie würden uns auch nicht im Traum einfallen.

Betrachten Sie zum Beispiel ein Projekt, in dem es bloss ein Risiko gibt, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit Sie mit 0.25 einschätzen. Dann ist die Ungewissheit also

Beachten Sie, dass die Ungewissheit nicht eine Wahrscheinlichkeit ist! Die Ungewissheit von 0.81 ist ziemlich hoch, hat aber nichts zu tun mit der Wahrscheinlichkeit, dass das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Nun legen Sie sich eine Abwehrstrategie bereit, die auch mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit q Erfolg haben wird oder eben nicht. Nehmen wir an, Sie geben Ihrer Abwehrstartegie eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 0.75.

Es gibt offensichtlich vier Möglichkeiten

Die Ungewissheit für diese Situation beträgt

gegenüber 0.81 ohne Abwehrstrategie! Die Ungewissheit ist also durch unsere gepante Abwehrmassnahme um das Doppelte angewachsen. Die Aussage mag trivial sein, denn der Entropiezuwachs beruht natürlich auf der Tatsache, dass eine zweite Wahrscheinlichkeit in’s Spiel gebracht wurde und der Wahrscheinlichkeitsbaum eine zweite Verzweigung erhielt. Dadurch erhöht sich die Entropie zwangsläufig. Aber es ist dennoch nützlich, sich wieder einmal ins Gedächtnis zu rufen:

Was immer wir auch tun: Die Ungewissheit nimmt mit jeder Planungsintervention zu!

Addor, Peter. Projektdynamik – Komplexität im Alltag. Verlag Liebig, Frauenfeld 2010. S. 84ff

Titel nach Erich Fromm

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