Unsere Filterblasen sind schlecht durchlüftet

Aus "http://nonprofitmarketer-ny.com/2012/are-you-suffering-from-attention-overload-disorder"

Das Buch von Eli Pariser, Filter Bubble – Wie wir im Internet entmündigt werden1 ist momentan in aller Leuten Munde. Bei Web-Recherchen stellte Pariser fest, dass die Ergebnisse der Websuche von den zuvor getätigten Suchvorgängen abhängen. Er führt das Beispiel an, dass liberale Personen bei der Suche nach BP Ergebnisse zur Ölverschmutzung im Golf von Mexiko angezeigt erhalten, während konservative in erster Linie Informationen über die Unternehmung für Investoren sehen. Daraus schliesst Pariser, dass uns das Web immer mehr in einer Filterblase einschliesst und vor anderen Sichtweisen abschottet.

Nichts Neues unter dem Himmel

Aus "www.dailymail.co.uk/ sciencetech/article-2133466"

Du meine Güte! Und das soll der Stoff für einen Beststeller sein? Filterblasen gibt’s seit Millionen von Jahren. Zunächst einmal basiert die Funktion unseres Gehirns exakt auf der Filterblasen-Technik. Medizinmänner und Priester führten das Volk väterlich, indem sie ihm wichtige Informationen vorenthielten, die in ihren Augen schädlich hätten sein können. Seit es Zeitungen und (politische) Parteien gibt, werden wir entweder liberal oder konservativ informiert, je nachdem, welche Zeitung wir abonniert haben. Die Medien manipulieren uns seit Jahrzehnten.

Wir befinden uns nicht nur in einer Filterblase, sondern gleich in mehreren, wobei die älteste gleichzeitig die dickste und robusteste ist. Mikromarketing und Requirements Analytics durch Suchmaschinen setzen die Tradition fort und machen wahrscheinlich bloss einen Bruchteil eines Prozents aus.

Was Du siehst ist nicht das, was wirklich ist
Ich möchte kurz auf die älteste und natürliche Filterblase eingehen. Stellen Sie sich vor, die Windschutzscheibe Ihres Autos würde durch einen undurchsichtigen Bildschirm ersetzt, so ähnlich Ihrem Fernseher zu hause. Auf dem Bildschirm würde Ihnen nicht etwas ein Bild gezeigt, das von einer Aussenkamera aufgenommen wird, sondern ein Bild, das aufgrund von Sensordaten gerechnet wurde. Wenn Sie sich also z.B. einem anderen Auto nähern, wird Ihnen vielleicht eine Mauer gezeigt, die aber den Massen des anderen Autos entspricht. Das Wetter wird aus den Daten von Helligkeits- und Feuchtigkeitssensoren sowie eines Thermometers errechnet. Es werden Ihnen u.U. Wolken gezeigt, die vielleicht gar nicht genau so existieren. Was halten Sie davon? Glauben Sie, dass Sie damit genau so gut fahren könnten, wie mit einer Windschutzscheibe aus Glas?

Genau das ist nämlich unsere Situation. Was Ihnen Ihre fünf Sinne zur Verfügung stellen, ist ein Bruchteil von dem, was wirklich ist. Sie selbst filtern daraus heraus, was Sie verstehen und was Ihnen gefällt. Das verzerren Sie dann und ergänzen es mit Unwahrheiten, bevor Sie es sich im Bewusstsein anschauen. Was also ins Bewusstsein gelangt, ist ein völlig verzerrtes und ziemlich unrealistisches Abbild von dem, was Sie wahrzunehmen glauben.

Unsere Kognition – eine Filterblase
Nassim Taleb nennt das die narrative Verzerrung2. Damit uns unsere Umwelt und unsere Wahrnehmungen kohärent erscheinen, betten wir sie laufen in eine (unendliche) Geschichte ein. Auch dort, wo gar nichts ist, wo wir Wahrnehmungslücken haben, ergänzen wir durch erfundene Geschichten. Wir halten uns laufend in einer sehr robusten Filterblase gefangen. Hätten wir sie nicht, würden wir verrückt (und umgekehrt gibt es sicher Krankheiten, die auf dem Zerfall dieser Kohärenz basieren).

Aus http://www.gizmodo.com.au/2011/02/how-to-hack-your-brain/

Die Psychologen kennen das, was Eli Pariser Filterblase nennt, schon lange und nennen es Priming. Daniel Kahneman erzählt in seinem Buch Schnelles Denken – Langsames Denken3 von einem Experiment, in dem man den Testpersonen gewisse Wörter vorlegte, aus denen sie Sätze bilden mussten, wie z.B. langsam, Florida, weise, etc. Es sind alles Wörter, die (in den USA) mit dem Alter assoziiert werden. Daraufhin hat man die Testpersonen gebeten, sich in einen anderen, ca. 10 Meter entfernten Raum zu begeben und hat sie dabei gefilmt. Es zeigte sich, dass alle etwas langsamer und gebeugter gingen, als vor dem Test. Sie waren durch die Wörter regelrech in einer Alten-Filterblase eingeschlossen – auch ohne Suchmaschinen und Webrecherchen.

Wie bringt man die Blasen zum Platzen?
Nicht nur die Suchmaschinen, die Medien, die Politiker und Manager machen uns also etwas vor, sondern in erster Linie machen wir uns selbst etwas vor. Wir haben keine  Möglichkeit, aus den unzähligen Filterblasen auszubrechen, und vor allem, wir wollen das auch gar nicht. Es ist aber nicht so, dass kein Austausch stattfindet. Die Blasen, in denen wir uns befinden sind manchmal untereinander verbunden. Je mehr wir uns mit anderen Menschen vernetzen, desto mehr Austausch findet statt. Meistens machen wir aber die Verbindungen zu, bevor die Blasen platzen, denn die eigene Meinung zu ändern ist sehr schwer und geht mit viel Mühe einher.

1Pariser, Eli. Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden. Hanser Verlag, 2012

2Taleb, Nassim N. Der Schwarze Schwan – Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Hanser, 2007

3Kahneman, Daniel. Schnelles Denken – langsames Denken. eBook aus dem Siedler Verlag. München 2011.

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