Wie die Kooperation in’s Projekt kommt

Am Anfang eines Migrations- und Integrationsprojekts steht eine Vereinbarung über den Projektgegenstand, der der Lieferant dem Kunde liefern muss sowie den Preis, der der Kunde dem Lieferant dafür schuldet. Der Preis basiert auf mehr oder weniger windigen Annahmen über die zu leistende Arbeit und hängt zudem auch noch von den Konkurrenzangeboten ab. Es ist also der Preis, der bestimmt, wie viel Arbeit noch geleistet werden kann. Durch einen kalkulatorischen Stundensatz kann Geld in Arbeit umgerechnet werden und umgekehrt. Der Einteilung „Materialkosten – Marge – Reserve – Servicekosten“ entspricht eineindeutig eine Zeiteinteilung „Pufferzeit – Arbeitszeit“. Arbeitszeit und Arbeitsleistung sind in erster Näherung äquivalent, da ein Mitarbeiter grundsätzlich gleich viel kostet, sei er nun effizient oder langsam.
Muss mehr geleistet werden, als der vorgesehenen Arbeitszeit entspricht, hat der Lieferant Margeneinbussen. Stimmt jedoch die Qualität nicht, dann verlangt der Kunde Mehrleistungen, ungeachtet dessen, ob gemäss Preisvereinbarungen überhaupt noch Arbeit geleistet werden kann. Ist die in der Offerte angenommene Arbeitsmenge aufgebraucht, kann das konfliktär sein, wenn noch Change Requests vom Kunden vorliegen.
Das ist in folgendem „Tragedy of the Commons“ Archetypus zusammengefasst:

„Common“ ist hier die zur Verfügung stehende Zeit, bzw. vertraglich vereinbarte Arbeitsmenge, die mit der Vertragsunterzeichnung für beide Parteien zum gemeinsamen Gut wird. Das ist die nicht-kooperative Annahme. Beharren sowohl Kunde als auch Lieferant darauf, gerät das Projekt unweigerlich in die Schieflage. Der Lieferant verliert Marge und der Kunde verliert Marktanteile durch zu späte Markteinführung seines Produkts, das auf dem Projektgegenstand basiert.
Kooperieren beide, gewinnen sie durch den Projekterfolg. Das bedeutet, dass der Kunde bereit sein muss, z.B. vorläufig gewisse Qualitätsmängel in Kauf zu nehmen, während der Lieferant eine gewisse Margeneinbusse akzeptieren muss. Beide müssen „den Fünfer gerade sein lassen“ können. Nach erfolgtem Projektabschluss kann ein Nachfolgeprojekt zur Behebung der Mängel und zusätzliche Anpassung an weiter gehende Kundenbedürfnisse gestartet werden. Davon profitieren beide gleichermassen.
Kooperiert nur eine Partei, während die andere ihre Interessen rücksichtslos durchzusetzen versucht, wird die kooperierende Parte viel verlieren und die defektierende Partei wird ungerechtfertigt viel gewinnen. Wie vergeben der kooperierenden Partei willkürlich 2 Nutzenanteile, während die kooperierende ebensoviel verliert.
Das kann in folgender Nutzenmatrix zusammen gefasst werden:

Timm Grams hat mit einem wunderschönen Javaprogramm untersucht, unter welchen Umständen Kooperation entsteht1. Sein Programm KoopEgo geht davon aus, dass kooperierende Tendenzen entstehen, wenn in der Umgebung bereits kooperierende Überzeugungen einer gewissen Stärke vorhanden sind. Starke defektierende Überzeugungen gebären ihrerseits defektierende Tendenzen. Ich habe KoopEgo mit den obigen Nutzenwerte gefüttert. Dabei habe ich angenommen, dass in einem Projekt nur 1% kooperierender Wille in einer gewissen Verteilung einer sonst defektierenden Welt vorhanden ist, und das bei einer Fehlerrate von 5%. Färben wir defektierender Wille (gift-)grün und kooperierender Wille leidenschaftlich rot, dann starten wir mit einem Projekt, das von KoopEgo so dargestellt wird:

Am Anfang sind nur einzelne kooperierende Tendenzen vorhanden
Am Anfang sind nur einzelne kooperierende Tendenzen vorhanden

Nach 200 Zeiteinheiten haben sich schon deutlich sichtbar einige kooperierende Nester gebildet. Nach ungefähr 700 Zeiteinheiten sind kaum noch defektierende Überzeugungen vorhanden. Nach knapp 1000 Zeiteinheiten hat sich Kooperation vollends durchgesetzt.

Die Verteilung der (roten) kooperierenden Tendenzen in einer sonst (defektierenden) grünen Welt nach 100 und nach 500 Runden
Die Verteilung der (roten) kooperierenden Tendenzen in einer sonst (defektierenden) grünen Welt nach 100 und nach 500 Runden

Das ist bei einer höherer Fehler- oder Boykottrate nicht so. Bereits 10% lassen den anfänglich raren Kooperationswillen schnell verschwinden. Auch wenn dieser am Anfang weniger als zu 1% vorhanden ist, verschwindet er schon bei einer Fehlerrate von 5% gänzlich.

Diagramm: Während im Verlauf der Zeit die defektierenden Tendenzen abnehmen, nehmen die kooperierenden zu

Interessant ist auch zu beobachten, was passiert, wenn wir mit einer ausschliesslich defektierenden Umgebung starten, aber „Mutation“ zulassen, also zufälligen kooperierende Tendenzen, die vielleicht auf einer guten Laune der beidseitigen Projektleitern beruhen. Schon nach 100 Zeiteinheiten ist erster zögerlicher Kooperationswillen erkennbar. Nach 1000 Zeiteinheiten sind die defektierenden Tendenzen schon ziemlich aufgeweicht durch vornehmlich kooperierende Gegentendenzen. Auf diese Weise entstehen natürlich eine enorme Vielfalt an Strategien, wie auf das eingangs erwähnte Dilemma reagiert wird. Je länger die Simulation läuft, desto mehr Strategien lassen sich anhand der verschiedenen Farben erkennen. Beispielsweise markiert Blau eine etwas gewagte Art der Kooperation, während Gelb die wahrhaft neutestamentliche Strategie markiert: „Wenn dir einer auf die eine Wange schlägt, halt ihm auch die andere hin“, im Gegensatz zu der alttestamentlichen Strategie in Rot: „Aug’ um Auge, Zahn um Zahn“. Während defektierende Tendenzen langsam aussterben, auch wenn sie sich zwischenzeitlich in etwas abgeschwächter Form neu formieren konnten, nehmen verschiedene kooperierende Spielarten zu. Das gilt aber nur unter gewissen „guten“ Bedingungen, z.B. dass die Fehlerrate hinreichend klein ist, oder dass die Stakeholders die Vergangenheit nicht zu stark bemessen und auch mal ein Auge zudrücken können.

1Grams, Timm. Wie das Neue in die Welt kommt und warum Egoisten so freundlich sind. Hochschule Fulda, 2008.
Originallink: https://www2.hs-fulda.de/~grams/OekoSimSpiele/KoopEgoProgramm/KoopEgoKurzbericht.htm. Zitiert mit http://www.webcitation.org/5fUIi1d7r

Das Programm können Sie frei herunterladen unter
http://www2.fh-fulda.de/~grams/OekoSimSpiele/KoopEgoProgramm/

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