Was nützt kaufmännischer Nutzen, wenn die Welt aus den Fugen ist?

Auf managerseminare.de ist ein interessanter Artikel zu Senges Die Fünfte Disziplin erschienen1. Wann der Artikel erschienen ist, kann ich leider nicht sagen, denn es steht auf der ganzen Seite kein einziges Datum. Das ist ziemlich unverzeihlich für ein Weiterbildungsportal. Der Autor, Axel Gloger, lässt kein gutes Haar an der Lernenden Organisation und glaubt, dass Senges Gedankengänge alter Wein in neuen Schläuchen sei2. Er zitiert auch das Zentrum für Unternehmensführung (ZfU), das die entsprechenden Kurse nicht mehr „Lernende Organisation“ sondern „Knowledge Management“ nennt. Die Leute hätten sich unter „Lernende Organisation“ nichts vorstellen können, sagte eine Sprecherin des ZfU. Auch die ZfU ist nur ein kaufmännisches Unternehmen. Wer den Senge nicht wenigstens durchgeblättert hat, ist meines Erachtens sowieso der falsche Ansprechpartner für einen ZfU-Kurs. Wie Herr Gloger schreibt, ist das Buch schon seit 1990 auf dem Markt. Da war genug Zeit, um mal einen Blick hinein zu werfen. Herr Gloger nennt das systemische Denken ein Konzept und hat damit das Wesen von Senges Ansatz wohl nicht so ganz verstanden.
Es ist leider so, dass sich nur wenige für die Zusammenhänge unserer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Einrichtungen interessieren. Man stellt sich kaum Fragen, wie Was ist eigentlich los?, Was machen wir falsch? oder Warum wird die Welt immer instabiler?. Nicholas Mailänder, Verleger und Alpinist, schrieb schon 2001: Das genaue Hinschauen, die präzise Analyse und die angemessene sprachliche Vermittlung eines Sachverhaltes entsprechen nicht unbedingt der kollektiven Bedürfnislage unserer Epoche. Was interessiert, ist lediglich der Nutzen einer Sache, und das ist vorwiegend monetär gemeint. Das hat nichts mit Gier zu tun, sondern eher mit dem Machbarkeitswahn, der uns seit Newton befallen hat. Was nicht den Geschmack des Publikums trifft, ist nicht interessant. Und der Geschmack des Publikums ist positiv, optimistisch, selbstsicher, jovial, hedonistisch. Das Publikum will Methoden und Rezepte. Wie macht man ein gutes Projekt, d.h. eines, das ohne Krisen und ohne Nebengeräusche so abläuft, dass man eine möglichst hohe Marge hat (wenn man Lieferant ist) oder das zu einem möglichst geringen Preis und ohne Wenn und Aber die eierlegende Wollmilchsau implementiert (wenn man Auftraggeber ist). Wer keine Methoden und Werkzeuge vorlegen kann, ist schon unten durch. Wer Methoden und Werkzeuge vorlegt – wie Peter Senge – , die etwas „more sophisticated“ sind, dem wird Praxisferne vorgeworfen, so praxisnah seine Methoden auch sein mögen. Wenn man denken muss, um Werkzeuge anzuwenden, verliert man bald das Interesse daran. Und wer dann sogar „nur“ Modelle und Theorie vorlegt, dem hört man schon gar nicht zu. So wird denn alles verleugnet und man wurstelt weiter wie bisher. Nur keine Lessons Learned!
Ein Beispiel ist der Film Beautiful Mind. Möglicherweise könnte ich Hunderte anderer Filme aufzählen, aber ich kenne Beautiful Mind sehr gut und auch die Geschichte von John F. Nash. Der Film behauptet, Nashs Geschichte zu erzählen. Aber das tut er überhaupt nicht. Nash war zu der Zeit, von der der Film handelt, ein schwieriger Mensch: bisexuell, Antisemitist, Frauenverächter. All das wird im Film unterdrückt, weil es beim Publikum schlecht angekommen wäre und den (monetäre) Erfolg des Films geschmälert hätte.
Das hier schon einmal erwähnte Internet-Projektmagazin hat einen meiner Artikel mit dem Hinweis zurück gewiesen, dass sie lösungsorientierte Beiträge veröffentlichen, während die Leser aus meinen Artikel keinen Nutzen ziehen können. Gemeint ist wahrscheinlich, dass ich keine Methoden und Tools bereitstelle, und die Leserschaft nicht das Gefühl habe, dass der Projekterfolg aus dem genauen Hinschauen und der präzisen Analyse gegeben sei. Aber genau das ist meine Überzeugung. Wir haben genug Methoden und Tools und brauchen keine weiteren. Was Not tut ist das Verständnis unserer beschränkten Rationalität und das Rückbesinnen auf unsere Denkfähigkeiten anstelle vom (blinden) Befolgen von Regeln und Rezepten. Das Verständnis können wir nur durch Modelle und Theorien erlangen. Es ist nicht alles machbar. Wir müssen noch ein paar Einsichten haben, um so gut zu werden, wie wir zu sein glauben. Aber das will anscheinend niemand hören. Lieber wursteln wir in unseren Projekten und Unternehmen weiter wie bisher und stecken den Kopf vor der zunehmenden Komplexität und der damit verbundenen Instabilität in den Sand.
Senge stellt in seinem Buch sehr wohl Methoden vor. Die systemischen Archetypen können (Projekt-)Manger mit grossem Nutzen direkt anwenden und praxisnahe Entscheidungsgrundlagen daraus ableiten. Wenn sie nur mögen.

1Senge, Peter. Die fünfte Disziplin – Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Schäffer-Pöschel Verlag. Stuttgart, 2008
2Gloger, Axel. Viel Lärm um nichts. http://www.managerseminare.de/managerSeminare/Archiv/Artikel?urlID=92522. Ohne Datierung. Für alle Fälle habe ich den Artikel unter http://www.webcitation.org/5f1BIIotH gespeichert.

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