Am Anfang steht der Glaube

Am Anfang eines Projekts steht eine Hypothese, wie sich das Projekt ungefähr abwickeln lässt. Die Hypothese betrifft hauptsächlich den Bau des Projektgegenstandes. Aufgrund der Hypothese entwirft man einen Vorgehensplan. Hypothesen können reduktiv, ballistisch, magisch oder einfach kreuzfalsch sein1.

In den seltensten Fällen versucht man, die Hypothese zu widerlegen. Allenfalls wird man sie mit Machbarkeitsüberlegungen und Piloten zu stützen versuchen. Den meisten Menschen sind ihre Hypothesen (über das Leben und die Welt) jedoch „Wahrheiten“. Ganz wichtige Leute – und wer wichtig ist bestimmen die wichtigen Leute – können ihre Hypothesen sogar als Theorien verkaufen und damit bewirken, dass auch andere Leute die Hypothese übernehmen. Das geschah z.B. mit einer ziemlich windigen Hypothese, die sogar einen Namen hat: Capital Asset Pricing Model (CAPM). Für den US-Notenbankchef Greenspan war CAPM die Wahrheit. Er weigerte sich noch im Sommer 2008, die immer grösser werdende Spekulationsblase wahrzunehmen, weil sie gemäss CAPM gar nicht existieren konnte. 2004 behauptete Greenspan, dass eine Preisverzerrung im Häusermarkt sehr unwahrscheinlich sei2.

Trifft man während der Projektabwicklung auf Widerwärtigkeiten, wird man die Hypothese nicht gleich verwerfen, weil ja sonst alles, was bisher geleistet wurde obsolet würde und ein neuer Plan erstellt werden müsste, der Kosten und Termine in Frage stellt. Hypothesen werden wegen ihrer unsicherheitsreduzierenden Funktion ungern aufgegeben.

Also wird man versuchen, die Hypothese zu retten, indem man Ausnahmen beschreibt, unter der die Hypothese in modifizierter oder ergänzter Form immer noch zutrifft. Man erfindet z.B. eine zweite Hypothese, die die erste unterstützt. Dieser Prozess kann ad infinitum verlängert werden (sog. „verlängerte Hypothesenbildungen“). Dörner nennt das „progressive Hypothesenbildung“ 1.

Progressive Hypothesenbildung führt leicht zu Ritualisierungen und damit zu einer Pfadabhängigkeit. Aufgrund der Hypothese meint man im Voraus zu wissen, was in einer bestimmten Situation passiert. Man erfindet dann ein Ritual, mit dem man glaubt, das erwartete Verhalten durchbrechen zu können. Ein typisches Beispiel beobachtet man in der Offertphase eines Projekts. Der Projektleiter muss Aufwand und Preis berechnen. Der Verkäufer korrigiert die Zahlen des Projektleiters nach unten und bietet dem Kunden das Projekt weit unterhalb der Schätzungen des Projektleiters an. Oft feilscht der Kunde den Preis noch weiter hinunter (Unternehmen und Marktteilnehmer verhalten sich wie auf einem grossen Bazar). Dadurch ist es üblich geworden, dass Projektleiter auf den berechneten Preis einen gewissen Betrag (z.B. 10%) schlagen, von dem sie erwarten, dass ihn der Verkäufer wieder entfernt und dann beim realistischen Preis landet. Das wissen mittlerweile auch die Verkäufer und bieten das Projekt immer billiger an. Das ist ein (dynamisches) Ritual, das Unternehmen in den Ruin treiben kann.

1Dörner D. Die Logik des Misslingens. ro ro ro Taschenbuch. 2002
2Krugman P. Wie konnten die Oekonomen sich nur so irren? Tagesanzeiger-Magazin 38/2009 (Auszug aus einem Artikel in der New York Times)

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