Der Held im fernen Projektland muss Prüfungen bestehen

Gestern und vorgestern habe ich an einer Forschungswerkstatt der GPM und SPM in Berlin teilgenommen und zum Thema Komplexitätsmanagement ein Impulsreferat gehalten. Es gab acht solcher Impulsreferate, deren Aussagen dann in vier Themen kondensiert und in Kleingruppen weiter diskutiert wurden.
Da waren also um die 50 Experten aus Projektpraxis, Beratung, Lehre und Forschung zwei Tage zusammen und rätselten über das unbekannte Wesen Projekt. Das alleine war höchst anregend und begeisternd. Aber es war auch anstrengend, denn wo fünfzig Experten aufeinander treffen, da gibt es auch fünfzig dezidierte Meinungen, die teilweise kollidieren, so dass man ständig gezwungen ist, einerseits die eigene Hypothese zu verteidigen, andererseits die eigene Position zu überdenken. Da aber niemand der Einzige sein will, der seine Position aufgibt, überwiegte die Strategie der Verteidigung der Positionen, ganz im Sinne des Gefangenendilemmas.

Für mich war die wichtigste Erkenntnis, dass unter Experten das klassische, herkömmliche Projektmanagement nicht diskutiert wird. Es ist allen klar, dass es neue Ansätze braucht. Es ist so klar, dass viele Teilnehmer die zum Teil ketzerischen Ansichten der Impulsreferate als „kalten Kaffee“ abtaten. Dennoch finden alle diese hoch interessanten Einsichten offenbar keinen Weg in die arbeitende Projektbevölkerung. Vordergründig geben sich die Projektmanagement-Vereine weiterhin konservativ und unterstützen die Zertifizierungsbestrebungen, bei denen nur mässig Nützliches gelehrt wird.

Hier eine Auswahl aus den vielfältigen Schlagzeilen:

  • Die Interpretation des zeitlichen Kontexts – vom Vorprojekt bis hin zur Nutzungsübergabe – stiftet den Sinn des Projekts. Ebenso die Einbettung in den inhaltlichen, unternehmerischen und sozialen Kontext. Der Business Case ist dabei ein wichtiges Instrument
  • Die Energie des Projektsteams bestimmt dessen Motivation. Alles ist Energie, bzw. Gefühl. Durch Sparprogramme oder Machtdemosntrationen kann die Energie nicht nur vernichtet, sondern ins Negative pervertiert werden.
  • Es gibt Linien- und Projektmenschen. Die ersteren sollte die Finger von Projekten lassen. Anforderungen an den Projektmanager müssen mit seiner Persönlichkeit im Einklang stehen.
  • Bindung führt durch Anerkennung zu gemeinsamen Handeln und dies wiederum zur Bindung, indem sich die Teammitglieder gegenseitig auseinander setzen.
  • Komplexitätsbeherrschung ist amerikanisch, während Europäer eher von Komplexitätsbehandlung sprechen.
  • Jedes soziale System enthält Hierarchien, die zu Kommunikationsverzerrung führen. Nicht hierarchiekonforme Kommunikation (ich rede mit dem Chef meines Chefs, der CEO spricht direkt mt einem „niederen Angestellten“) ist konfliktträchtig. Projekte sind in ihrer Matrixorganisation „hierarchiefeindlich“, weil die Querkommunikation, die in Projekten üblich ist, zu einem „Staat im Staat“ führt.
  • Interkulturalität im Projekt kann problematisch sein, z.B. wenn Englisch gemeinsame Projektspache ist. Was ich in meinem Buch als residente Viren bezeichnet habe1, ist bei diesem Referent der Porzellanrisseffekt: Eine Vase mit einem dünnen Spalt kann noch lange ihre Dienste leisten, bis sie eines Tages aus unerfindlichen Gründen zerspringt. Anhand verschiedener Beispielen machte dieser Referent anschaulich, wie z.B. Germanismen in englischen Texten zu Missverständnissen führen können („Take your chance“ heisst eben nicht „nimm Deine Chance wahr“, sondern „nimm Dein Risiko wahr“ oder „achte auf Dein Risiko“).
  • Zum Schluss ein interessantes Modell insbesondere für Veränderungsprojekte, die vergleichbar sind mit einem Heldenepos. Zunächst ertönt der Ruf nach dem Helden (Projektinitialisierung), der sich zunächst weigert, in das unbekannte Land zu reiten (Risikobetrachtungen, Go/No-Go-Entscheid). Ein Mentor begleitet ihn daraufhin zu Schwelle (Unterstützung durch das Top Management, Spezifikationsphase). Im fernen Land hat unser Held dann eine Menge gefährlicher Prüfungen zu bestehen (Unerwartetes, Problem- und Konfliktlösungen), bis er schliesslich die Belohnung erhält (Zielerreichung). Die Rückkehr aus dem fernen Land ist steinig und mühsam (Projektabschluss).

Ich erinnerte mich an Olaf Hinz‘ Artikel Wirkungsvolles Projektmanagement – Klug statt tapfer, in dem er schreibt:

Erfolg­rei­ches Pro­jekt­ma­nage­ment benö­tigt kei­nen tap­fe­ren Hel­den mehr, der die im Pro­jekt auf­tre­ten­den Über­ra­schun­gen und unver­meid­li­chen Wider­stände nie­der­kämpft.

Ich glaube aber, dass das Impulsreferat zum Heldenprinzip auch keinen solchen Held meint, der alles niederkämpft, sondern durchaus einen, der

auf­merk­sam alle Ereig­nisse und Signale auf[nimmt], die er im Zusam­men­hang mit sei­nem Pro­jekt,

oder auf seinem Ritt durch das ferne Land, beobachtet.

Am 23./24. Februar findet wieder in Berlin ein interdisziplinäres Symposium über das Heldenprinzip in Veränderungsprojekten statt, an dem ich einen Beitrag leisten darf.

1Addor, Peter. Projektdynamik – Komplexität im Alltag. Liebig Verlag. Frauenfeld 2010.

Eine Antwort auf „Der Held im fernen Projektland muss Prüfungen bestehen“

  1. Lieber Peter,
    das stimmt. Ich verwende den Heldenbegriff eben NICHT im Kontext der Heldenreise (auch dazu habe ich mal was geschrieben http://www.perspektive-blau.de/artikel/0707a/0707a.pdf) und Themen der persönlichen Veränderung/ Läuterung.
    Ich benutze den Heldenbegriff im Kontext, des einsamen, aufopferungsvoll kämpfenden Managers, der trotz aller strukturellen Defizite und organisatorischen Unzulänglichkeiten mit hohem persönlichen Einsatz die Dinge zum Ziel bringt: eben tapfer, aber nicht immer klug…
    Grüße aus HH
    Olaf Hinz

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