Das fast 2000 Km lange Schlittenhunderennen in Alaska ist nach dem gleichnamigen Dorf Iditarod benannt. Formal startet es in Anchorage, der grössten Stadt in Alaska, führt quer durch das Land und endet in Nome an der Beringsee. Barbaras Bruder, Martin Buser, wohnt seit über 40 Jahren in Big Lake und hat das (oder den?) Iditarod bereits viermal gewonnen. Nur einer hat das Iditarod fünfmal gewonnen und nur ganz wenige viermal. Daher ist Martin in Alaksa auch eine Celebrity.
Das Haus mit dem Turmzimmer
Barbara wollte ihren Bruder wieder einmal sehen. Alaska ist zwar nicht gar so kalt, wie wir uns das vorstellen. Anchorage ist auf der Höhe von Stockholm oder Oslo und kann im Sommer recht angenehme Temperaturen haben. Daher beschlossen wir, uns bereits am 1. August auf die Socken zu machen.
Man muss sich Martins Anwesen wie eine grosse Farm vorstellen, bei uns Bauernhof genannt: Es gibt mehrere Gebäude, die etwas auseinander liegen, inmitten eines riesigen Landstücks, auf dem es unberührte Wälder, Seen und Steppen hat. Martin kam als junger Bursche in den 70ern hier an und konnte sich ein Stück Land ergattern. Im Sommer arbeitete er auf einer Strassenbaustelle. An Stelle eines monetären Lohns, überliess der Bauunternehmer ihm die Baumaschinen für eine Woche, mit denen er sein Landstück erschloss.
Er baute sich sein Haus mit Hilfe der Nachbarn, die sich in Alaska stets aushelfen, selber. Es ist ein zweistöckiges Haus mit Turmzimmer und Untergeschoss, in dem sich eine vollständige Wohnung befindet. Im Erdgeschoss gibt es eine grosse Küche, ein Wohnzimmer mit riesiger Terrasse sowie ein Schlafzimmer mit Bad. Im ersten Stock sind weitere drei oder vier Schlafzimmer, je mit separatem Bad. Im Turmzimmer war Martins Büro. Vor ein paar Jahren hat sich Martin oben auf dem Hügel mit Hilfe eines bekannten Architekten ein neues Wohnhaus gebaut und das alte Haus als BnB freigegeben. Die Kellerwohnung gehört einem Paar, Heather und James, das Martin bei der Hundezucht hilft.
Jedem Hund sein Hundehaus
Neben dem Haus sind die ungefähr 100 Hundehäuschen regelmässig angeordent, wie man sogar vom Satellit aus sieht. Jeder Hund hat sein Häuschen, auf dem er meistens der besseren Aussicht wegen liegt. Am Dach eines jeden Häuschens ist ein Fressnapf angebracht. Für die Fütterung geht James mit einem Eimer Kraftfutter durch die Häuschenreihen und kippt in jeden Fressnapf eine Schaufel voll Futter. Wegen des ohrenbetäubenden Lärms der Hunde trägt James dabei einen Pamir-Gehörschutz. Das Kraftfutter hat Martin speziell für seine Hunde entwickelt und anfertigen lassen.
Wir wohnten gleich neben den Hunden und lauschten in der Nacht ihrem Gesang. Dazu begann ein Hund den Choral und die anderen stimmten ein. Nach ca. fünf Minuten brach der Choral abrupt ab. Keine Ahnung, wie sie das ohne Dirigent meistern. Manchmal jaulte ein einzelner Hund weiter, aber keiner der anderen nahm den Gesang wieder auf. Vielmehr nervten sie sich wahrscheinlich, dass dieser eine immer noch nicht begriffen hat, wie der Choral geht. Die Husky-Hunde sind trotz ihrer Lebendigkeit überhaupt nicht aggressiv. Sie lassen sich streicheln und umarmen. Gibt man ihnen aber etwas zu fressen, schnappen sie so schnell zu, dass sie nicht garantieren können, niemals die Finger zu treffen. Daher wirft man ihnen das Fressen besser in den Fressnapf.
Elche, Lachse und Huskys
Auf dem Grundstück wohnen auch Elche. So ein kapitaler Elch könnte einem auf Augenhöhe ansehen, d.h. inkl. Geweih dürfte er bis 3 Meter hoch sein. Es empfiehlt sich, den Tieren den nötigen Respekt entgegenzubringen und Abstand zu wahren. Die Tiere kommen bis zur Haustüre. Vor allem im neuen Haus auf dem Hügel hat Martin immer wieder Elche im Garten. Einmal, als wir zum neuen Wohnhaus hoch gingen, wofür wir ca. 10 Minuten benötigten, empfingen uns zwei Elche vor dem Haus. Vor dem Haus hat es einen Zierteich, der für die Tiere attraktiv ist. Jeder Alaskaner hat das Recht, pro Jahr einen Elch zu schiessen und 40 Lachse zu fischen. Allerdings muss Jäger den Elch selber ausnehmen, zerlegen und abhängen lassen. Dazu braucht es neben Fachkenntnissen auch einen geeigneten Kühlraum. Zusätzlich erhält jeder Alaskaner ein wesentliches bedingungsloses Grundeinkommen aus der Erdölförderung. Mit Grundeinkommen, Elch und Lachse liesse sich gut leben, aber viele Menschen in Alaska scheuen den Aufwand und versaufen das Grundeinkommen, ohne einer geregelten Arbeit nachzugehen. Das ist ein Problem der alaskanischen Gesellschaft.
Als wir in Anchorage ankamen, wurden wir von Martins Frau Kathy abgeholt und nach Big Lake gefahren. Dort hat Martin bereits schöne Elchsteaks auf dem Grill. Kathy stammt zwar aus New Orleans, unterstützte Martin in den 40 Jahren immer tatkräftig. Sie hat in Alaksa eine Schule gegründet und betätigte sich als Lehrerin. Ihre Schulkinder fertigten z.B. die Pfotenschoner an, die die Huskys auf dem Race tragen, um sich gegen messerschafe Eiskristalle zu schützen. Pfotenschoner, Kraftfutter und Stroh kann der Musher, wie die Schlittenhundeführer heissen, vorgängig auf die Checkpoints verteilen, von denen es über 25 gibt, je nach Streckenführung. Es gibt eine Nord- und eine Südroute, die sich stets abwechseln. Die Checkpoints sind meisten in kleinen Siedlungen. Für die Menschen dort ist das Iditarod die einzige Abwechslung im Jahresverlauf. In den Checkpoints sind auch Veterinäre anwesend, die das Befinden der Hunde immer wieder kontrollieren. Sie vergeben einen Award für gute Hundehaltung, den Martin ein paar Mal gewonnen hat. Es gibt Kritiker, die meinen, das Rennen sei ein Leid für die Hunde. Das Gegenteil ist der Fall! Ich habe gesehen, wie gerne die Huskys rennen und eine Last ziehen und wie viel Freude es ihnen anscheinend macht, im Rudel ein Ziel zu verfolgen, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass die Tiere leiden.
Das letzte Abenteuer
Für Martin kommen die Hunde in erster Linie. Wenn er sieht, dass es den Hunden nicht gut geht, dann rennt er nicht auf Sieg, sondern schaut zu, dass die Hunde wohlbehalten nach hause kommen. Unter Umständen wird ein Hund schon mal auf den Schlitten gesetzt, um sich schonen zu können. Gestartet wir das Rennen mit 16 Hunden. Muss das Gespann eine Pause machen, werden zuerst die Tiere versorg. Sie bekommen zu fressen, werden mit Stroh warm gerieben und erhalten ein Strohbett, auf dem sie ruhen können. Das ist nicht immer in den Checkpoints, sondern kann durchaus auch während der Nacht, mitten im Wald, bei tiefen Temperaturen sein. Von Zeit werden einzelne Hunde von einem Checkpoint zurückgeflogen, so dass die Musher das Rennen mit wenigen Hunden beenden.
Die Auswahl der Hunde für das Team des nächsten Rennens, nimmt Martin stets sehr sorgfältig vor. Er übt mit den Hunden während des Winters und beobachtet jeden einzelnen. Diejenigen, die den besten Eindruck machen, nimmt er in das nächste Schlittenteam. Daneben hat er weitere Schlittenteams, z.B. eines mit dem Nachwuchs, das von einem seiner Helfer geführt wird und den Auftrag hat, das Rennen auf einem Rang zu beenden, der möglichst weit hinten liegt, um die jungen Tiere nicht zu überfordern. Auch Martins Sohn Rohn hat einmal mit einem Team am Iditarod teilgenommen, natürlich mit Tieren aus der väterlichen Zucht. Als wir dort waren, wohnte auch ein Norweger im Haus, der in Skandinavien ebenfalls Schlittenhunde hat und von Martin einen kaufen wollte. Er schaute sich die zum Verkauf verfügbaren Hunde genau an, bevor er ishc für einen der Huskys entschied und diesen stolz nach Hause transportierte.
Das Iditarod dauert ungefähr 10 Tage. Es wird als „das letzte Abenteuer“ bezeichnet, denn es ist hart. An einem Iditarod lernt man, was VUCA bedeutet (Volatility-Uncertainty-Complexity-Ambiguty). Einmal zog kurz bevor die ersten in’s Ziel fuhren ein Schneesturm auf, der die Situation völlig durcheinander brachte. Ein andermal sass ein Elch auf dem Trail und die Gespann mussten warten. Es gibt fast in jedem Rennen etwas Unvorhergesehenes, das jede Planung zunichte macht. Martin hat denn seine Erfahrung auch schon mal mit Managern geteilt. Es ist eine gute Idee, sich einmal den Wikipedia-Artikel über das Rennen zu Gemüte zu führen.
Touristen
In den Sommermonaten kommen täglich mehrere Busse mit Dutzenden von Touristen, die einmal einen Champion von Nahe sehen wollen. Zunächst führt er sie in ein Auditorium, das er gebaut hat und in welchem er ihnen einen persönlichen Vortrag hält und ein professionelles Video vorführt. Dann können die Besucher die Huskys besuchen, sie streicheln und umarmen. In einer Arti Amphitheater führt ein Helfer den Touristen vor, wie der Schlitten gepackt und die Tiere angespannt werden. Eine eher alte Huskydame dient dabei als Model. Sie weiss genau, was als nächstes kommt und hält prophylaktisch die Pfote hin, damit man ihr die Finken aus Jeansstoff anlegen kann. Dass sie kein Rennen zu erwarten hat, sondern alles bloss Show ist, ist ihr sonnenklar.
Die nächste Station für die Touristen ist eine Vorführung einer Schlittenfahrt. Es werden jeweils 5 Hunde ausgeählt, die für ein paar Runden auf dem Vorplatz einen Fourwheeler ziehen dürfen. Die Hunde wissen genau, wann die Selektion beginnt und heulen, was das Zeugs hält. Jeder will genommen werden. Die fünf, die ausgewählt werden, sind derart nervös, dass sie Darm und Blase nicht mehr kontrollieren können.
Sie tänzeln und jaulen, dass man ihnen am liebsten Baldrian verabreichen möchte. Martin muss sie am Halsband hochziehen, damit sie von ihrem Häuschen bis zum Schlitten nur auf den Hinterpfoten laufen können. Andernfalls würden sie ihn zu Boden reissen. Die paar Runden dauern bloss etwa fünf Minuten, aber das finden die Tiere bereits Anlass genug, um in höchste Erregung zu verfallen. Danach ist wieder Ruhe im Karton, sprich Hundegehöft.
Schliesslich findet der Höhepunkt für die Touristen statt: das Liebkosen der Puppies. Es gibt oft einen frischen Wurf, und das Knuddeln ganz junger Hunde löst bei den Besuchern ein Glücksgefühl aus. Damit sind sie dann entlassen und denken gerne an das Erlebnis im „Happy Trails Kennel“ zurück, wie Martins Einrichtung heisst.
Fourwheeler, Drohnen und Videos
Einmal durfte ich auf einer Trainingsfahrt mitfahren. Martin spannte an die 10 Hunde vor einen Fourwheeler und lud mich ein, Platz zu nehmen. Zuerst wollte ich ihn bei seiner Arbeit nicht stören, aber als er dann darauf bestand, freute ich mich über die bevorstehende Fahrt. Das war grossartig! Die Hunde gingen wieder mit dem üblichen Elan ab. Aber im August ist eigentlich keine Trainingszeit, denn es ist zu warm. Manchmal wurde es 20 Grad (am Schatten, d.h. an der Sonne kann es eben schnell mal gegen 25 Grad werden oder höher). Huskys lieben niedere Temperaturen. Es ist Blödsinn, in Mittel- oder gar Südeuropa einen Husky zu halten.
Einmal schaute ich ihm zu, wie er gerade mit einem 10er- oder 12er Trainingsgespann wegfuhr. Die Hunde waren so aufgeregt, dass sie sich verhedderten und Martin die Fahrt abbrechen musste. Er schimpfte wie ein Rohrspatz mit den Hunden, die ganz betreten auf den Boden schauten, wie Schulbuben. Sie wussten genau, dass sie eine schlechte Leistung erbracht haben. Ich musste lachen.
Ein anderes Mal gingen wir in die Heidelbeeren. Dazu fuhren wir mit je einem Fourwheeler über Steppe und Moorboden. Als Nichtautofahrer war ich nicht an ein motorisiertes Gefährt gewohnt, hatte aber ungemein Freude am Fourwheelerfahren. Vor allem durch boreale Wälder und über Moor- und Steppenböden zu fahren, machte unwahrscheinlichen Spass. Auf dem Moor sollte man einfach nicht zu lange stehen bleiben, sondern stets darüber gleiten. Weil es mir so Spass machte, begleitete mich Martin während eines halben Tages auf einem Fourwheeler-Ausflug. Das hat „gfägt, wie-n-e Moore“, wie Berner sagen würden.
Im Übrigen hatten wir auf der Stelle ein paar Kilo Heidelbeeren gewonnen, was abends einen guten Dessert gab. Oft assen wir bei Kathy und Martin. Kathy hat immer sehr gut gekocht, meist Lachs oder Elch. Sie haben eine grosse offene Küche mit einer Bar, an der wir jeweils ein Aperitiv-Bier tranken.
Martins zwei Söhne sind nach den Iditarod-Checkpoints Nikolai und Rohn benannt. Rohn wohnt auf Martins Grundstück, in einem Cabin, das Martin ganz am Anfang als Unterkunft diente. Er hat ebenfalls an einem Iditarod teilgenommen. Daneben ist er Helikopter- und Drohnenpilot. In Alaska gibt es keine bürokratischen Einschränkungen zum Drohnengebrauch, wie in anderen Ländern. Selbstverständlich müssen Sicherheitsbestimmungen beachtet werden, aber sonst kann man beliebig herumfliegen, auch wenn die Drohne nicht mehr sichtbar ist.
Als wir einmal bei ihm ankamen, trainierte Rohn gerade, einen Parcour mit Hindernissen zu durchfliegen. Wir durften Virtual Reality Brillen anziehen und konnten damit den Flug miterleben, als sässen wir in der Drohne. Oft duckten wir uns unvermittelt oder zuckten zurück.
Am Freitag war immer Kino. Dazu holten wir Pizza in der Pizzeria um’s Eck und hielten auf dem Rückweg bei der Videothek, wo wir das bestellte Video abholten. „Um’s Eck“ ist etwa 20 Km entfernt, ein Katzensprung in Alaska. Mit Pizza und Bier setzten wir uns in das Auditorium, das tagsüber den Gästen zur Verfügung steht und sahen uns den Video an. Das war jedesmal ein Gaudi.
Martin hat auch einen See, der vielleicht einen Kilometer Durchmesser hat. Wir ruderten manchmal mit dem Kanu zum anderen Ufer des Sees, wo wir Biber beobachten konnten. Überhaupt dient der See Kathy und Martin als ihr eigenes Naherholungsgebiet. Im Frühling geniessen sie die ersten Sonnenstrahlen. Martin erlaubt seinem seiner Nachbarn das Wassern seines Privatflugzeugs auf dem See. Viele haben in Alaska ein kleines Flugzeug, um die weiten Strecken zu überwinden.
Übrigens, wer mehr über Martin Buser und das Iditarod lernen möchte, kann sein Buch lesen: Dog Man, Chronicles of an Iditarod Champion. Raven’s Eye Press, Durango, Colorado. ISBN 978-0-9907826-3-6
Das Leben im Happy Trails Kennel ist spannend und beruhigend zugleich. Es hat uns dort sehr gefallen. Das nächste Mal schreibe ich über unsere Ausflüge und Erlebnisse in Alaska.