Wer Freiheit will, muss mit Ungewissheit umgehen können!

Kürzlich habe ich Zygmut Baumans „Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit“ gelesen[1]. Bauman ist ein Soziologe polnischer Herkunft und pessimistischer Kritiker der Postmoderne.

Kontrolle gegen Ungewissheit?

Bauman beschreibt pointiert, in welcher Weise die Komplexität der Welt zugenommen hat und wie die Menschen dadurch immer mehr in die Ungewissheit getrieben werden. Diese Ungewissheit ruft nach Stabilität und Sicherheit, was sich z.B. in Kontrollwut und Überwachung äussert. Die Staaten verlieren u.a. durch neoliberale Deregulierungen die Macht und werden von Globalisierungsmächten ausgehöhlt, was auch zum Abbau sozialer Sicherungssysteme beiträgt. Dadurch wird der Ruf nach sicheren und kontrollierten Lebensräume noch verstärkt.

Schnelle Veränderungen zwingen die Menschen laufend dazu, Entscheidungen zu treffen, für die sie die Verantwortung gar nicht mehr übernehmen können, weil sie die Konsequenzen und Risiken nicht überblicken und daher nicht beeinflussen können. Die Demontage staatlicher und kollektiver Schutzmechanismen betont den Individualismus dadurch, dass wir individuelle Lösungen für gesellschaftlich erzeugte Probleme suchen muss.

Halten wir die Freieheit, die wir wünschen, überhaupt aus?

Wir haben uns Freiheit gewünscht und erfanden dafür Liberalismus, Individualisierung, Globalisierung und das Internet. Diese Utopien erweisen sich nun als Dämonen. Die Ungewissheit, die mit der Freiheit einhergeht, halten wir nicht aus und verkehren sie in das Gegenteil.

Der bekannter Journalist sagt in einem Interview[2]:

Das Internet hat uns das grosse Versprechen der Befreiung und Demokratisierung gegeben. Das kommunikative Netzwerk sollte den Bürgern ermöglichen, Machtmissbrauch gemeinsam zu bekämpfen. Nun ergreift der Überwachungsstaat die Macht im Netz. Er will dieses Werkzeug der Freiheit in sein Gegenteil verkehren, in ein Werkzeug der Kontrolle. Wir stehen am Scheideweg

Ungewissheit gebiert immer Angst, sowohl in kleinen Projekten, als auch in geopolitischen Zusammenhängen. Ungewissheit kann weder durch ein Vorgehen in kleinen Schritten noch durch verstärkte Kontrollprozesse vermieden werden. Es sieht vielmehr so aus, dass jede Massnahme, die Ungewissheit vermindern soll, sie nur verstärkt. Es ist die Logik der Verschlimmbesserung. Peter Senge nennt es den Archetypus von „Fixes that Fail“.

Einzig das Vertrauen in die eigenen Problemlösungsfähigkeiten kann uns helfen, mit ungewissen Entwicklungen umzugehen. Aber komplexes Problemlösen muss gelernt werden. Es hilft uns auf der Gratwanderung zwischen der Ungewissheit der Freiheit und dem Gefängnis des Kollektivismus.

[1] Zygmunt Bauman: Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit. Hamburger Edition (Hamburg) 2008. 167 Seiten. ISBN 978-3-936096-92-7.
Rezension von Yolanda Koller-Tejeiro

[2] Florian Klenck. Ich wusste, dass der Fall ein Beben auslösen würde. Tagesanzeiger, 2.11.2013

Eine Antwort auf „Wer Freiheit will, muss mit Ungewissheit umgehen können!“

  1. Ich mag Bauman sehr. Er kann gut denken und sehr gut schreiben.
    Ich habe von ihm das Projekt der Moderne kennengelernt, der Versuch alles zu ordnen, das Chaos in Ordnung zu bringen. Das Fremde wird immer übersetzt in Freund und Feind usw.
    Mir scheint dein Gedankengang da ähnlich. „Ungewissheit gebiert immer Angst“. Und es wird versucht damit umzugehen.
    Ich frage mich nur, ob die Vorstellung von „Problemlösung“ nicht genau dieses moderne Projekt ist, das versucht immer wieder Ambivalenzen, Ungewissheiten, Fremdheiten, Chaos usw. aufzulösen, in den Griff zu kriegen und dabei immer nur neue Ungewissheiten produziert.

    Liebe Grüße

    Ingo

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.