Von Delhi nach Jaisalmer
Vor genau einem Jahr bereisten wir Kalabrien und Apulien. Diese Reise habe ich hier in Kalabrien im November und Apulien im Dezember in vier Beiträgen dokumentiert. Diesmal soll es – vom 4. bis am 22. November 2023 – durch das indische Rajasthan gehen. Ich teile den Reisebericht in drei Blogbeiträge auf:
- Teil I: Delhi bis Jasalmer (dieser Beitrag)
- Teil II: Wüste Thar und Damodra bis Pushkar
- Teil III: Pushkar bis Delhi
Tag 1: Delhi – Mandawa
Frühmorgens um 8 Uhr holt uns unser Driver mit einem komfortablen Auto in Delhi ab. Ziel ist der Ort Mandawa in Rajasthan, ca. 250 Km, aber dennoch 5 Autostunden von Delhi entfernt.
Nicht, dass die Strassen so schlecht wären, im Gegenteil. Manchmal fährt man auf 6spurigen Autobahnen – in einer Richtung! Also insgesamt 12 Spuren! Einmal kommen sogar zwei solch breite Strassen zusammen. Und alles ohne Schutzplanken oder sonstigen Trenneinrichtungen. Das sieht dann aus, wie ein Paradeplatz. Riesig!
Aber es gibt immer wieder Radfahrer und Fussgänger auf den Strassen, die den Verkehrsfluss stören. Kühe sowie herrenlose Hunde überqueren zuweilen auch ganz gemütlich die Fahrbahn. Plötzlich kommt uns sogar ein Wagen entgegen. What the heck! Dann noch einer und schliesslich sogar Lastwagen. Ach so, auf der Gegenfahrbahn wird gebaut! Also wird der Verkehr umgeleitet und eine „unserer“ Spuren gehört hier dem Gegenverkehr. Wie gelehrig die (indischen) Menschen doch sind! Nach nur wenigen entgegenkommenden Fahrzeugen und einem Blick auf die Baumaschinen auf der Gegenfahrbahn, kombinieren sie haarscharf, was Sache ist. In Europa wird die temporäre Umleitung und Bausituation mehrfach mit riesigen Plakaten und mit vielen blinkenden Lampen signalisiert. Damit dürfte wohl klar sein, weshalb hier trotz guter Strassen im Durchschnitt nicht mehr als 50 Km pro Stunde zurückgelegt werden können.
Ab und zu überholen wir Kamelfuhrwerke. Das sind meist runde, bauchige Wagen, die offensichtlich mit Getreide gefüllt sind und von einem Kamel gezogen werden. Leider kann ich ein solches Fuhrwerk nicht fotografieren, da wir zu nahe und zu schnell daran vorbeifahren. Immer denke ich, dass das nächste bestimmt bald kommt und so ist es denn auch. Und zack, vorbei sind wir wieder. Es wird sich sicher bald eine Gelegenheit ergeben. Wir befinden uns hier ja nahe der Wüste Thar, wo wir bestimmt noch einen Kamelritt vor uns haben,
Auffallend viele sehr buntgekleidete Frauen sind hier sehr fleissig unterwegs. Sie tragen Lasten, oft auch auf dem Kopf balancierend, arbeiten auf den Feldern oder auf Baustellen. Und stets sind sie wunderschön gekleidet, in luftige und farbenfrohe Tücher. Zwar bin ich mir das aus verschiedenen Teilen Asiens gewohnt, aber hier fällt es mir besonders auf, vielleicht weil sie gegen den sandigen und kargen Hintergrund besonders gut kontrastieren.
Gegen 1 Uhr mittags treffen wir in Mandawa ein. Es ist immer noch recht warm hier, gemäss Wetterapp über 30 Grad, aber es kommt mir weniger vor, denn es ist eher trocken und sandig. Abends geht die Temperatur auf 22-23 Grad zurück. Der Ort Mandawa war früher ein wichtiger Stützpunkt für die Karawanen zwischen China und dem Nahen Osten. Später wurden die Karawanen durch Schiffe ersetzt und die Kaufleute, die hier lebten, verliessen ihre prächtigen Havelis und zogen an die Küste. Die verlassenen Prachtbauten, die oft wunderschön bemalt sind, wurden an Einheimische vermietet oder aufgegeben. Auch unser Hotel, das Mandawa Kothi, war einst so ein Haveli. Es präsentiert sich heute fast wie ein Märchenschloss.
Leider verpassen wir dank einer wohltuenden Siesta den Sonnenuntergang und das Dorfleben. Wir werden es morgen früh nachholen.
Tag 2: Mandawa – Nagaur
Nachdem wir um 6 Uhr aufgestanden, den Sonnenaufgang abgewartet und die vielen Havelis im Ort in der Morgensonne bestaunt haben, wartet der Driver vor dem Hoteleingang. Heutiges Ziel ist Nagaur. Man spricht „N-a-g-o-o-r“. Das ist schon phonetisch, also jetzt nicht etwa „Nagur“ sagen! Es wird wohl am ehesten Französisch ausgesprochen; keine Ahnung, was die Franzosen damit zu tun haben. Sie haben sich bekanntlich viel weiter östlich zu schaffen gemacht.
Die Reise wird etwa 4 Stunden dauern. Auch heute sind wir wieder zum grössten Teil auf Schnellstrassen unterwegs und werden nur von Kühen und Hunden gebremst. Zum Glück fahren wir nie in der Dunkelheit! Die dunkelbraunen Kühe, die auf der Strasse stehen, könnte man nur schwer ausmachen. Der Fahrer bestätigt, dass die frei laufenden Kühe ein grosses Problem für den Strassenverkehr in Indien darstellen.
In den Dörfern, die alle paar dutzend Kilometer auftauchen, wird die Schnellstrasse durch enge Strässchen unterbrochen, die oft unvermittelte Haken schlagen. Nicht selten gibt es enge Kurven, die die Strasse mehr als 90 Grad abwinkeln. In genau einer solchen Kurve tauchen plötzlich zwei riesengrosse Lastwagen auf. Also müssen wir zurücksetzen. Aber wir sind nicht alleine; vor uns ist auch ein LKW, der zurücksetzt und wir müssen sicherstellen, dass er uns nicht rammt. Zu allem Unglück hält noch eine Kuh Maulaffen feil, die gleich hinter uns steht. Weitere PW schliessen auf, die mit den vorhandenen Tuktuks und Motorräder zu einem perfekten Blech- und Motorsalat werden. Nach einer guten Viertelstunden können die zwei entgegenkommenden LKW passieren und der Verkehr in unserer Richtung verflüssigt sich wieder. Die Maulaffen feil haltende Kuh schaut uns noch lange verblüfft nach.
Wie schon gestern treffen wir auch heute wieder auf Kamelfuhrwerke. Ich habe dem Driver gesagt, dass ich einmal so ein Fuhrwerk fotografieren möchte und ihn bitten werde, anzuhalten. Mal sind wir zu schnell an einem vorbei gerast, mal gibt es keine Haltegelegenheit und wir befinden und gerade in einem gewagten Überholmanöver. Doch dann kommen diese drei Kamele mit den vielen buntgekleideten Leuten. Ich bat den Driver anzuhalten. Kommt es mir nur so vor, als ob er zögerte? Noch bevor ich ganz ausgestiegen bin, höre ich ein freudiges Gejauchze. Ich kann mich noch gerade durch die herannahenden Menschen hindurchzwängen, um meine Fotoposition zu suchen, schon ist unser PW umzingelt. Die buntgekleideten Mensch, die entweder auf dem Wagen gesessen hatten, den die Kamele zogen oder neben ihm hertrotteten, betteln rund ums. Auto, was das Zeug hält. Barbara kramt alle kleinen Scheine zusammen, die wir noch haben, kann damit aber nur paar wenige der bettelnden Hände befriedigen. Der Driver sagte uns dann, das seien „very poor and homeless people“. Das tat mir so leid. Aber vermutlich sind es nicht die einzigen Armen hier. Wir geben zwar oft und reichlich, aber alle können wir einfach nicht erreichen. Zudem sind monetäre Almosen immer ein Tropfen auf einen heissen Stein. Wenigstens sind Schulen und Ärzte/Spitäler kostenlos. Gewisse klerikale Einrichtungen sind darauf spezialisiert, täglich für zig tausend Menschen zu kochen. Dort bedeutet „eine Prise Salz“ einfach mal einen 5Kg-Sack. Wer Hunger hat kann sich einfach hinsetzen und satt werden, ungeachtet seiner Religion. Nicht nur die Zubereitung der Speisen, sondern die ganze Organisation ist eine logistische Meisterleistung!
In Nagaur angekommen, finden wir das Hotel im Zentrum eines Forts (in Europa würde man von einer Burg sprechen), das sich im Zentrum der Stadt befindet. Das Fort diente einer Reihe von Sultanen als Palast…oder waren es Maharadschas oder Mogule? Es ist alles ein wenig kompliziert. Aber ich glaube verstanden zu haben, dass der grösste oder derjenige, der während der Blütezeit der Macht dieser Herrscherfamilie auf dem Thron sass, etwa zur selben Zeit regiert hat, wie in Frankreich der Sonnenkönig Louis XIV. Beide bauten sich imageträchtige Paläste, die heute öffentliche Erholungs- und Kulturstätten sind. Z.B. fliesst hier durch den Thronsaal ein künstliches Gewässer, das der Kühlung und Unterhaltung diente. Gleichzeitig trennte es Audienznehmer und Thron und hält den Audienznehmer davon ab, dem Herrscher zu nahe zu treten. Das Gewässer kommt über zwei steinerne Rampen in den Saal, die aussehen wie ein Waschbrett. Das erhöht die Kühlwirkung und den akustischen Effekt. Auf dem Dach ist ein Windfänger, der die Luft durch einen Schacht in den Thronraum leitet, was ein Ventilationseffekt bewirkt. Neben dem Thronraum gibt es warme und kalte Bäder und sogar ein Jacuzzi. Die Luft wurde wahrscheinlich von Bediensteten hineingepumpt. Die ganze Anlage ist fast 250’000 Quadratmeter gross und von einer Wehrmauer umgeben. Im Inneren hat es zahlreiche Gebäude, die ein König halt so braucht. Ihre Architektur ist umwerfend. Viele Säulen, viele Erker, viele Wandmalereien. Warum es aber im Königinnengemach Bilder von badenden, tanzenden und sich unterhaltenden Frauen gibt, statt von Männern, hat sich mir nicht erschlossen. Die Frauenbilder gehören doch in die Gemächer des Königs! Zumindest bei den Römern war das so. Und wenn sie jetzt finden, Rom sei ob soviel Dekadenz auch unter gegangen: das Reich dieser Maharadschas oder Sultanen gibt es heute auch nicht mehr.
Die 90 Minuten dauernde Führung endet mit der Beobachtung des Sonnenuntergangs auf der Wehrmauer. Danach haben wir ein Bier verdient. Sogar die Papageien suchen ihren Schlafbaum auf und streiten sich lauthals um den besten Schlafplatz.
Tag 3: Nagaur – Jaisalmer
Nach einem wunderbaren Frühstück in unserem Märchenschloss sind wir für die Reise in die Wüstenstadt Jaisalmer bereit, die über 6 Stunden dauern soll (man spricht „Tschaisselmer“). Dieser bisher längste Streckenabschnitt ist mir ein wenig ungeheuer. Es ist gar nicht so leicht, den Ausgang aus Nagaur zu finden. Und nun, da wir uns auf der Ausfallstrasse befinden, entpuppt sich diese als ein Band Asphalt auf dem Sandboden, mehr nicht. So kriegen wir die Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 km/h nie hin, denke ich. Aber das Asphaltband ist dafür meist schnurgerade und wir sind mit den Kühen fast alleine, so dass der Driver gut vorwärts kommt. Ab und zu durchfahren wir ein kleines Dorf. Sicher sind die meisten Dorfbewohner noch nie weiter als bis ins Nachbardorf gekommen, geschweige denn, dass sie das Meer gesehen haben. Vor, in und nach so einer Siedlung hat es auf der Strasse riesige Bodenschwellen zur Geschwindigkeitsbegrenzung. Wer sie übersieht und mit der normalen Geschwindigkeit darüber fährt, wird hoch hinauf katapultiert. Unser Driver sieht sie immer und bremst brav ab. Vor Zahlstellen, sogenannten „Tall Gates“, gibt es sogar regelrechte „Waschbretter“ mit 6 – 10 hintereinander gereihten „Hopsern“. Das schüttelt uns jedes Mal gehörig durch, obwohl wir mit bloss 2-3 km/h darüber fahren. Natürlich gibt es auf dem Asphaltstreifen keine Zahlstellen, aber nach ungefähr 150 Km taucht unvermittelt eine Schnellstrasse vor uns auf, „Tall Street“ genannt. Aber sie hält nicht lange. Schon nach paar Kilometern geht sie wieder in den gewohnten Asphaltstreifen über.
Die Landschaft rechts und links der Strasse wird immer flacher, sandiger und steppenähnlicher. Einmal, auf der Schnellstrasse, halten wir an, da der Driver eine Pause und etwas zu essen braucht. Plötzlich kommt es mir einen kurzen Moment lang vor, als wären wir auf der Route 66 im Westen der USA. Nur die stampfenden Ölförderpumpen fehlen.
Sehr häufig kreuzen wir Wagen mit einer bauchigen Last. Die Last ist in einer Plane eingepackt, die dreimal so hoch ist, wie der Wagen selbst und auf der Seite je um Wagenbreite heraus baucht. Der Fahrer erklärt uns, dass da Viehfutter eingebracht wird. Ich erinnere mich an die Landschaft, die wir vorgestern angetroffen haben und ausschaute, als wären es Olivenhaine. Damals belehrte uns der Driver, dass es sich um eine bestimmte Baumsorte handle, deren Blätter die Tiere mögen. Ich frage mich bloss, wo die vielen Tiere sind, für die man spezielle Bäume hegt und die so viel Futter benötigen. Für die herrenlosen und herum streunenden Kühe, die den Verkehr behindern, wird sich ja wohl niemand Arbeit machen. Und für die paar Kamele und Pferde, die wir hier und da sehen, würde auch ein Zehntel des Futters reichen.
Hingegen gibt es entlang der Strasse immer wieder Baumwollfelder, in denen rot gekleidete Damen arbeiten. Das wäre natürlich eine Fotografie wert, aber ich kann nicht alle paar hundert Meter die Fahrt unterbrechen, wenn ich ein lohnendes Motiv sehe. Gelegentlich versuche ich es aus dem fahrenden Auto, aber das ist natürlich suboptimal. Einmal sehen wir einen Containerwagen, der randvoll mit Baumwolle gefüllt ist. Es sei eine qualitativ hochstehende Baumwolle.
Ab und zu passieren wir Strassensperren, an denen Militär mit vorgehaltener Maschinenpistole steht. Sobald sie sehen, dass wir Touristen sind, winken sie uns beruhigt durch. Der Driver erklärt uns, dass es immer wieder Leute gibt, die bundesstaatenübergreifend Bargeld in grösserer Menge transportieren, um Politiker ihrer Wahl zu unterstützen. Das ist verboten und wird eben durch Strassenkontrollen geahndet. Sachen gibt’s!
Apropos „Militär“: Je näher wir an die pakistanische Grenze kommen, desto mehr Militärbewegungen sehen wir. Zwei oder dreimal kommt uns ein Artilleriekonvoi entgegen. Das ist angesichts der bewaffneten Krisen unserer Zeit und der schwelenden Gefahr, dass die beiden Atommächte Indien und Pakistan aufeinander losgehen könnten, etwas gruselig.
Ankunft in Jaisalmer
Nun sind wir doch schon in Jaisalmer angekommen. Die Zeit verging im Fluge (oder in der Fahrt), weil es so viel zu sehen gab. Da wir mit Bargeld ausgeschossen sind, um im Militärjargon zu bleiben, müssen wir in der Grossstadt Jaisalmer dringend an einen ATM. Der erste hat keinen Strom. Also zum nächsten. Der steht frei in einer Schalterhalle mit einer Traube Männer davor. Ein Soldat ist dran und wird aufgefordert, seine Kontonummer einzutippen. Es sucht mühsam nach seinem Portemonnaie, welchem er einen Zettel entnimmt, auf dem die Kontonummer aufgeschrieben ist. Er tippt sie fein säuberlich in den ATM ein. Danach ist einer an der Reihe, der drei oder viermal nacheinander 10’000 Rupien abhebt (ca. 120 Franken oder so). Dann drückt einer rein und tippt etwas in den Bankomat, ohne eine Karte reinzustecken. In der Zwischenzeit entfernte sich ein älterer Mann, in einem weissen langen Nachthemd gekleidet, aus der eher gedachten, als real existierenden Warteschlange und drückte später wieder herein. Sitten sind das! Er sagt etwas zu demjenigen, der ohne Karte getippt hatte. Offenbar ist das ein Bankangestellter, der jetzt dem Weissen hilft. Aber was will er? Eine PIN-Generierung. Du meine Güte! Muss das jetzt sein. Als er aufgefordert wurde, einen neuen PIN einzugeben, hat er nicht einfach etwas erfunden. Nein, er musste ebenfalls sein Portemonnaie hervor klauben, um ihm einen Zettel zu entnehmen, auf dem der PIN steht, den er verwenden will. Sicher hat er sich nächtelang überlegt, welche Zahlenkombination wohl die sicherste ist, um ihn für den Rest seines Leben als PIN seiner Bankkarte zu begleiten. Alle sahen ihm gebannt über die Schulter, wie wohl dieser ominöse PIN lautet. Aber keiner hat ihn notiert.
Jetzt werde ich von einem fremden Mensch angesprochen, wie das hier so üblich ist. Ich könnte auch im Hotel wechseln. Stünde nicht Barbara daneben, würde ich den Fremden kaum wahrnehmen, weil ich jeweils nur unter grosser Anstrengung verstehe, was er sagt und ich jetzt gerade zu müde bin, um mich anzustrengen. Barbara meint, es wäre vielleicht besser, wenn wir unser Schweizergeld wechselten. Der Mann neben ihr sei übrigens der Manager des Hotels, in dem wir die nächsten zwei Nächte bleiben. Er erklärte uns, dass wir mit dem PW nicht zum Hotel fahren können, weil es zu schmal sei. Er habe ein Tuktuk mitgebracht und wir müssten jetzt unser Gepäck vom PW ins Tuktuk hieven. Item, einige Minuten später sind wir in unserem Zimmerchen des Hotels, das sich wieder direkt im Fort befindet. Nur ist diesmal alles ein wenig enger und kleiner.
Im Hotel wird uns ein Guide zugeteilt. Eigentlich sind Guides nicht so meine Sache. Wenn ich in einer neuen Stadt bin, dann schlendere ich gerne darin herum, um die Stimmung zu erspüren. Oft nehme ich mir ein Ziel vor, z.B. ein Shop für farbige Schnürsenkel. Die würde ich in einem Schuhladen suchen. Also suche ich in Google Maps nach „Shoe Store“. Route für Fussgänger einschalten und los geht’s! Die Schnürsenkel sind mir eigentlich egal. Hier ist tatsächlich der Weg das Ziel. Sehenswürdigkeiten sind für mich selten von Interesse, vor allem in asiatischen Städten, denn ihre Kultur ist nicht meine Kultur. Ich kann einfach mit einem Mausoleum für z.B. Mogul Akbar III nichts anfangen; aber mit einer stinkenden Gasse in der Altstadt von Nagaur schon, vor allem, wenn dort noch Kinder mit verschmiertem Mund spielen, schimpfende Mütter versuchen, ihre Kinder zu bändigen und halbverfallene Villen schon bessere Zeiten gesehen haben.
Der Guide nimmt uns sofort in Beschlag. Er verabredete sich auf 17 Uhr mit uns, um uns die Altstadt zu zeigen. Sobald wir die Fortanlage verlassen haben, läuft er mit uns eine Tour ab, die ich auch alleine gemacht hätte. Es gibt viel zu sehen und zu fotografieren. Ich habe das 75mm/f1.8 Fixobjektiv mitgenommen, weil ich hoffe, blurrige Stadthintergründe einfangen zu können. Es gelingt mir aber nicht zu meiner Zufriedenheit, weshalb ich die Kompaktkamera häufiger benutze, die ich immer in der Handtasche mittrage.
Nach einer guten Stunde erinnere ich den Guide daran, dass er uns ein Roof Top Restaurant zeigen wollte. Wir haken nach, dass wir nichts zu Mittag gegessen haben und jetzt hungrig seien. Nach ein paar Hausecken stehen wir vor einem schönen vegetarischen Restaurant. Der Guide begleitet uns hinauf auf die Dachterrasse. Ich befürchte, dass er noch mit uns essen will. Aber nach der Verabredung für morgen Vormittag, wenn er uns durch das Fort führen will, entfernt er sich.
Das Essen ist sehr gut. Barbara hat sich ein Gericht bestellt, das aus Reis und mehreren Schälchen mit Spinat, Kichererbsen und Dumplings besteht. Ich habe mir ein Brinjal bestellt, ein Topf mit gebratenen Auberginen. Beides ist ausgezeichnet und nicht zu scharf.
Nach dem Essen schlendern wir zu Fuss zum Hotel zurück. Der Guide meinte zwar, dass der Weg sehr kompliziert zu finden sei und wollte uns ein Tuktuk bereit stellen, aber mit Google Maps ist das kein Problem. Leider sind wir beide etwas verschnupft.
Tag 4: Jaisalmer
Beim Aufwachen eröffnete ich Barbara, dass sie alleine auf die Führung durch das Fort gehen müsse. Ich habe Halsschmerzen und nicht so gut geschlafen. Sie erwiderte, dass sie auch nicht mag und so stornierten wir die Tour. Auf der Dachterrasse des Hotels essen wir ein wenig Früchte, trinken einen Kaffee und geniessen die Aussicht auf das Fort und die Altstadt. Danach legen wir uns wieder hin. Ich übertrage noch meine Fotos auf eine Festplatte und schreibe an diesem Blog. Für 17 Uhr wäre eine weitere Tour zu einem See angesagt. Mal sehen, ob wir bis dahin wieder mögen.
Nachdem wir mit geschwollenen Hälsen herum gelegen waren, gehe ich nun alleine mit dem Guide an das gegenüber liegende Ende der Stadt, wo wir einen schönen Ausblick auf das Fort haben. Offenbar haben wir uns missverstanden. Um an den See zu gehen, hätten wir uns früher treffen müssen. Klar, Sunset ist bereits um 17.40 Uhr, bei dem Woher-auch-immer-Nebel (es ist nur dreckiger Smog), sieht man die Sonne spätestens 17.30 Uhr nicht mehr. Aber anyway: mir ist es recht, nicht zu lange mit dem Guide unterwegs zu sein. Nach dem Aussichtspunkt führt mich er noch zu einem alten Haveli, das vor 200 Jahren vom Premierminister gebaut wurde. Die Bauausführung unterlag zwei Architekten, die sich im Groben abgesprochen haben, jeder aber seine Haushälfte unabhängig vom anderen gestaltete.
Heute lebt einer der Nachfahren des Premierministers im Haus und hat es in einen grossen Souvenirladen verwandelt. Viele Schächtelchen und Elefäntchen sind aus Kamelknochen gefertigt. Ich erkläre ihm, dass ich nichts davon gebrauchen kann, gebe ihm dennoch etwas an den Unterhalt des Hauses, nachdem er mich überall herum führte, an den privaten Schlafgemächern vorbei in den ersten Stock, wo ich den Balkon zu Innenhof hin betreten durfte und die unendlich ziselierte Arbeit an einer Teakholztüre bewundern konnte.
Der Guide besteht nun darauf, zum Hotel zurück zu gehen und zu versuchen, Barbara zu überreden, morgen Vormittag mit ihm zum Schmuck und Kaschmir zu gehen. Er habe mitbekommen, dass sie das interessiere. Aber Barbara fühlt sich noch nicht gut genug und so entlasse ich den Guide mit einem angemessenen Trinkgeld. Schliesslich gehe ich noch im Restaurant nebenan auf die Dachterrasse, wo ich ein Dal Tadka und ein Bier bestelle.
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