Kürzlich wurde das Buch Wenn Sie wollen, nennen Sie es Führung – Systemisches Management im 21. Jahrhundert irgendwo auf dem Web empfohlen und richtig, es ist wirklich ein hochspannendes Buch und sehr lesenswert. Der Autor widmet ein Kapitel der epistemologische Frage, ob es „da draussen“ so etwas wie eine Realität gibt und wie wir diese allenfalls wahrnehmen können. Dass sich ein Buch über Führung Gedanken zu einem grundlegenden philosophischen Thema macht, ist umso lobenswerter, als dass sich die meisten Manager bei ihren Entscheidungen keinen Deut um solche Grundlagen kümmern. Anders sind die wirtschaftlichen Zusammenbrüche der letzten Jahre (Swissair, UBS, etc.) nicht zu erklären. Schliesslich entscheiden wir aufgrund unserer Überzeugungen und Glaubenssätze.
Es gibt einige grosse Strömungen, wie z.B. der Empirismus oder der hypothetische Realismus. Modern ist z.Zt. der Konstruktivismus, der davon ausgeht, dass wir alle Wahrnehmungen nur konstruieren, also schlichtweg erfinden. Der Autor hält dem Konstruktivismus vor, dass er
– wie jeder Versuch, die Zweiteilung von Mensch und Umwelt aufzuheben – … die Komplexität unserer Lebenswirklichkeit … zu Lasten von Erklärungschancen [reduziert]1
Interessant ist die Bemerkung, dass es um die Aufhebung der Zweiteilung von Mensch und Umwelt geht. Ich glaube, das ist eine falsche Perspektive. Es gibt keine Zweiteilung von Mensch und Umwelt. Solange wir „aus uns heraus“ auf die Welt schauen, sind wir nicht in der Lage, die Erkenntnisfrage möglichst unparteiisch anzugehen. Der Mensch gehört zur Welt, wie der Raum und die Zeit auch. Der Mensch ist Raum! Leider sehen viele Manager „ihr“ System so: Ich bin hier wie der Kutscher auf dem Bock und muss das System dort mit den Zügeln lenken. Für den Projektmanager gibt es ein Projekt, dessen Zahlen (Budget, Termine) und dessen Stakeholders (Kunden, Lieferanten, Management, etc.) es zu zähmen gilt.
Das erinnert an Luhmanns Standpunkt, nach dem es keinen direkt kausalen Zugriff auf Systeme von aussen gibt. Systeme sind nach Luhmann operativ geschlossen und bestimmen aufgrund eigener Operationen, was systemrelevant ist und was nicht. Das finde ich zumindest für das Projektmanagement ein gefährlicher Standpunkt. Ganz gewiss bestimmt nicht das Projektsystem aufgrund eigener Operationen, was systemrelevant – sprich: projektrelevant – ist. Es gibt kein „Aussen“. Die Unternehmung ist die Welt!
Systemgrenzen sind immer etwas Subjektives. Wo endet ein Billardsystem? An der Tischkante? Vielleicht nehmen wir noch die Spieler dazu…. Irgendwo habe ich gelesen, dass die Bahn einer Billardkugel sogar durch einzelne Atome beeinflusst wird, die Milliarden von Kilometern entfernt sind. Also würde demnach ein Billardsystem das ganze Universum umfassen, es sei denn, Bahnabweichungen von Milliardstel Millimetern nach 15 und mehr Stössen interessieren Sie nicht. Dann werden Sie von sich aus andere Systemgrenzen ziehen.
1Cyrus Achouri. Wenn Sie wollen, nennen Sie es Führung – Systemisches Management im 21. Jahrhundert. Gabel Verlag (ohne Angabe eines Erscheinungsjahres, dürfte aber 2011 erschienen sein), S. 94, 978-3-86936-174-1
In der Tat hochspannend! Muss mir das Buch auch mal anschauen.
Wozu brauchts denn überhaupt noch Projektleiter? Das Projekt leitet sich selbst, resp. jeder einzelne Mitarbieter hat an der „Leitung“ Teil. Oder ist das zu vereinfacht?
Ja, ganz bestimmt sollte jeder Mitarbeiter an der Führung teilhaben. Das nennt man laterales Führen.
Aber einer muss die nötigen Vorbereitungen treffen, den Überblick über die Anstrengungen der Einzelnen haben und koordinieren und bei anstehenden Entscheidungen den Stichentscheid geben. Er ist eigentlich der Diener aller.