Im Siebenjährigen Krieg hatte sich Friedrich der Grosse gegen Österreich, Frankreich, Russland und das übrige Deutschland gestellt. Eigentlich hätte Preussen gegenüber der zahlenmässigen Übermacht seiner Gegner keine Chance gehabt.
Der Zufall kommt zu Hilfe
Dennoch glaubte Friedrich in enormer Selbstüberschätzung an einen Sieg. Er verstand zwar, dass er sich in einer Alles-oder-nichts-Situation befand, glaubte aber daran, dass die Siegeschancen nicht zu gering seien.
Zufälligerweise starb die Zarin, während ihr Nachfolger als Bewunderer Friedrichs mit Preussen sofort einen Friedens- und Bündnisvertrag schloss. Das hatte Signalwirkung und schwächte die Koalition der Preussengegner dermassen, dass sie zerfiel und der Krieg mit der Festsetzung des Status quo ante bellum beendet wurde.
In einer Friederich-Dokumentation, die der Sender ZDF_neo am Donnerstag, 3. April 2014, ab 08:05 Uhr, ausstrahlte, sagte ein Historiker über Friederichs Auseinandersetzung gegen eine Übermacht:
Daraus hat die Nachwelt im Ersten Weltkrieg, im Zweiten Weltkrieg, geschlossen, dass wenn man nur die richtige Einstellung hätte, wenn man so handeln würde wie Friedrich, wenn solche Personen an der Spitze sind, dann könne man die Gesetze von Zahl und Wahrscheinlichkeit erneut ausser Kraft setzen
Wird das nicht sogar in Führungsseminarien gelehrt? Geniessen heute nicht „charismatische Persönlichkeiten“ und „Macher mit Selbstvertrauen“ grosses Prestige?
Genügt allein der feste Glaube, um alles zu erreichen?
Mir scheint, dass wir in den letzten Jahrzehnten wenig dazu gelernt hätten. Noch immer wird propagiert, dass man alles erreichen könne, wenn man nur fest daran glaube. Das ist Quatsch und fördert Selbstüberschätzung, die nicht nur zu aussichtlosen Projekten verleitet, die scheitern müssen, sondern auch grosse wirtschaftliche Schäden und sogar unsägliches menschliches Leid verursachen können.
Immerhin forderte der Siebenjährige Krieg über eine halbe Million Soldatenopfer und nochmals so viele zivile Opfer. Die Zahl der Kriegsversehrten ist unbekannt, dürfte aber die Zahl der Toten weit überschreiten. Armut und Hunger verbreitete sich. Für die Bevölkerung waren die Kriegsfolgen katastrophal. Der Bankrott des Königreichs Frankreich hat der Siebenjährige Krieg mitverursacht. Der Bäckermeister Abelmann aus Hannover schrieb:
Verheerte Länder, in welchen die Dörfer von Menschen leer… Thränende Augen! Blutende Wunden! verstümmelte Glieder zu Tausenden! … Gemißhandelte, Barbarisch Gemißhandelte!
In „Selbstüberschätzung ist positiv“ erklärt P.M. Online, dass Forscher herausgefunden haben wollen, dass Selbstüberschätzung von der Evolution begünstigt wurde.(1) Das ist zweifellos richtig, und ohne Selbstüberschätzung wären wir nicht da, wo wir heute sind, sondern würden vielleicht immer noch in Höhlen wohnen. Damals befähigte sie uns, ein Haus zu bauen.
Das heisst aber nicht, dass Selbstüberschätzung für immer und ewig positiv bleiben muss. Ich behaupte, dass sie heute nicht mehr vorteilhaft ist.
Wie weit können wir uns auf unsere Intuition verlassen?
Die Überschätzung der Intuition und Infragestellung der Rationalität geht mitunter auf den Eindruck zurück, der Friedrichs Handeln angesichts einer Übermacht hinterlassen hat. Seine Intuition sagte ihm, dass er gegen alle Vernunft die Gesetze der Wahrscheinlichkeit aushebeln könne. Dass seine Intuition falsch war und er nur aufgrund von Zufällen – also gerade dank der Wahrscheinlichkeit – vor einer Niederlage verschont blieb, interessiert im Nachhinein offenbar niemand mehr.
Die Überschätzung der Intuition verhindert ein analytisches Hinterfragen von Zusammenhängen und verleiht falsche Sicherheit. Das ist meines Erachtens in einer Zeit hochkomplexer technischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Systeme gefährlich. Der alte Fritz hätte die Verhältnisse vielleicht noch halbwegs überblicken können. In unserer Zeit ist das definitiv vorbei. Wir sind auf unsere Ratio und denkunterstützende Werkzeuge angewiesen!
(1) Dräger, Juliane. Selbstüberschätzung ist positiv. P.M. Online, 27.03.2013
Das hat für mich und das sagt mir mein Gespür für Relevanz in komplexen Systemen, mehr mit Spiritualität als mit Charisma zu tun 😉
Interessanter Post, Peter, danke.
Lese gerade ein Buch von Phil Rosenzweig (2014): Left Brain, Right Stuff. Darin sagt er in etwa (sehr verkürzt dargestellt): viel Selbstvertrauen (das objektiv evtl. als Selbstüberschätzung anzusehen ist) ist gut für das Ergebnis unseres Tuns, wenn wir das Ergebnis tatsächlich beeinflussen können. Im Fall Friedrichs war’s wohl einfach nur Glück: natürlich hatte er als König von Preussen Einfluss auf das Geschehen, aber Naturgesetze und Wahrscheinlichkeitsrechnung konnte er trotzdem nicht beeinflussen.
Hallo Peter,
nach dem Lesen habe ich mehrere „Themenzugänge“…
1.) (charismatische) Persönlichkeit:
Hier möchte ich auf das Model vom Wertequadrat hinweisen.
(vgl: http://www.schulz-von-thun.de/index.php?article_id=72)
Wenn man es zugrundelegt, sollte bei einer Selbstüberschätzung
der entgegengesetzte positive „Wert“ als Entwicklungsziel stehen….
(An dieser Stelle würde ich über „Demut“ & Rückzug nachdenken
– Darüber kann man aber vortrefflich streiten)
Prinzipiell glaube ich, dass unsere Stärken, Stärken sind, die auch eine Gruppe (Netzwerk) stärker machen -> Allerdings steht die Frage im Raum wie man diese Eigenschaften einsetzt. Ein Hammer kann Werkzeug und Waffe sein…
2.) Glaube
Wenn man von etwas nicht weiß, ob es funktionieren wird und vielleicht noch nicht mal, ob es einem gefällt und um fast alle NEUEN Dinge anzugehen, benötigt man erstmal den Glauben, man kann es nämlich (noch) nicht Wissen.
Bedenklich wird es me, wenn man Zweifel übergeht oder nicht wahrnimmt.
Ein starker Glaube (an sich selbst), dass man etwas (Neues) schafft,
bewerte ich in diesem Kontext eher positiv und motivierend.
3.) Intiution
Die Intiution ist für mich unabdingbar,
da ich sie sowohl für die Entscheidung der Richtung meiner
(Persönlichkeits)Entwicklung benötige (Dafür gibt es meines Wissens keine Formeln / Problemlösungsparameter), als auch für das Wahrnehmen zB der Zweifel, wenn ich Etwas (vlt falsches) tue oder etwas NEUES (Systemfremdes) tun möchte.
Dennoch sollte klar sein, dass nur durch die Integration von Ratio und Intiution „vernünftiges“ Handeln entstehen kann.
Für die Überbewertung der Intuition würde ich wieder auf das Wertequadrat hinweisen.
Aus meiner Sicht lohnt sich die Betrachtungsweise / Fragestellung:
Was benötigen „selbstbewusste Menschen“, um „dem Ganzen“ „Gutes“ zu verleihen?
Bzw Im Ganzen Gutes zu bewirken…?
Ansonsten glaube ich sehr wohl, dass Charismatische Persönlichkeiten die Gesetzte von Zahl und Wahrscheinlichkeit austricksen können – und sei es, indem Sie andere „bezahlen“ lassen.
Viele Grüße,
Bernd
🙂 Ja, „andere bezahlen lassen“, wie dies Friedrich eben tat. Damit sind aber die Gesetze der Zahl und Wahrscheinlichkeit nicht ausgetrickst, sondern bloss verdrängt.
Keine Angst, niemand will Dir die Intuition madig machen. Sie ist ohnehin da und kann gar nicht unterdrückt werden. Jede Entscheidung basiert auf Gefühlen und Intuition. Hingegen kann man natürlich rationale Analyse überspringen und ausschalten. Und viele meinen, dass das Weglassen von Rationalität dasselbe sei, wie das Einsetzen von Intuition. Die beiden sind aber komplementär und nicht dual (im Sinne der Logik).
Aber sei auf der Hut, wenn Du Intuition zum Wahrnehmen von Zweifeln einsetzen willst. Das Gehirn versteht es vortrefflich, der Intuition Zweifeln vorzuenthalten.
@Andreas: „….wenn wir das Ergebnis tatsächlich beeinflussen können“. Und ich behaupte: Je komplexer das System, desto weniger können wir bewusst beeinflussen. Pfadabhängigkeiten und lange Feedbackschleifen beeinflussen uns, bevor wir zur Beeinflussung des Systems kommen.
Ich weiß leider nicht mehr wie der kluge Mann (Controler war er glaube ich) hies,
der herausgefunden hat, dass die realen Kosten eines Vorhabens weniger durch die Tätigkeiten, als viel mehr durch die Machtstrukturen beeinflusst werden 😉
….wenn viele Zahlen müssen, kann das schonmal teuer werden…
Zur Intuition und „Analyse“ bin ich leider nicht so optimistisch wie Du.
Ich glaube, dass sowohl die Intuition, als auch die „Analyse“ leider oft nicht getätigt bzw nicht wahrgenommen werden.
Me kommen meist einfache schnell gelernte Muster zum Zug (glaube ich)…
Die Unterbrechung (die analytisches Denken und Intuition (zB aufmerksames hinspüren) voraussetzt) findet nicht statt, da sie zu anstrengend bzw. zu unangenehm erscheint.
In Abwandlung fällt mir noch ein Spruch ein:
Wenn man heute Hunger hat, ist die beste Zeit einen Baum zu pflanzen vor 20 Jahren gewesen…
In diesem Sinne
Alles Gute!