Menschen verhalten sich wie spezifische Mustererkenner

Beim Mittagessen erklärte ich, was man in Operations Research unter einem „Transportproblem“ versteht. Die Zuhörer wunderten sich ein wenig über die Fragestellung und fanden sie „zu theoretisch“. Damit haben sie selbst eine grundlegende Frage aufgeworfen, die mich auch immer wieder umtreibt: Inwieweit soll man eine praktische Aufgabe analytisch oder doch bloss intuitiv angehen?

Die Art der Präsentation einer Aufgabe

Zunächst nehme ich einmal an, dass meine Zuhörer nicht „theoretisch“, sondern eher „analytisch“ meinten. Es gibt ja nichts Praktischeres als eine gute Theorie. Wie sonst will man wissen, was in der Praxis zu tun ist. Die Theorie oder zumindest das Modell gibt uns quasi das Rezept zum Handeln.

Hingegen verstehe ich, wenn meine Zuhörer meinten, man könnte doch so ein Transport auch einfach intuitiv abfertigen. Einer sagte: „Ich lade den LKW einfach bis er voll ist“.  Nun ja, vielleicht hätte ich ihm doch eine Transporttabelle aufzeichnen sollen. Wer nicht in der Logistik tätig ist, kann sich vielleicht zu wenig vorstellen, welche Optimierungsnotwendigkeiten sich dort stellen.

Drei Verhaltensebenen

Muss ich im Alltag eine praktische Aufgabe lösen, dann versuche ich es leider zunächst auch rein intuitiv. Nachdenken im Sinne von analytischem Durchdringen ist aufwändig und energieintensiv. Daher greift man in den meisten Fällen auf regelbasiertes Wissen und Handeln zurück. James Reason hat ein dreischichtiges Verhaltensmodell vorgestellt (1).

reasonDie unterste „fähigkeitsbasierte Ebene“ enthält quasi die Automatismen der Routine.

Auf der „regelbasierten Ebene“ sucht man vertraute Muster und wendet gespeicherte Regeln an. Das ist die Ebene der Experten und des intuitiven Managements.

Erst auf der obersten „wissensbasierten Ebene“ werden abstrakte Beziehungen zwischen Struktur und Funktion analysiert, diagnostiziert und optimiert.

Ein Handlungsplan ist eine Theorie von der Welt

Jeder Mensch geht eine Aufgabe zuerst rein intuitiv auf der regelbasierten Ebene an. Die Entscheidung, ob die Aufgabe nun gelöst sei, findet zunächst auf der Basis dürftiger Daten statt, denn Langzeitauswirkungen liegen noch keine vor. So werden z.B. internationale Konflikte gelöst, einheitliche Währungsräume geschaffen oder komplizierte Handelsabkommen konstruiert. Manifestieren sich später Instabilitäten und Probleme, wird wider besseren Wissens an der ursprünglichen Lösung festgehalten. So sind wir halt!

Wer bei der Frage, ob das ursprüngliche Problem gelöst sei, bewusste Zweifel hat, dem werden sie schnell wieder ausgetrieben, denn in der regelbasierten Ebene gibt es „mächtige kognitive … Kräfte, die sich zusammentun, um den Problemlöser glauben zu machen, der solle unangemessene oder unvollständige Lösungen an dieser Stelle als zufriedenstellend akzeptieren“, schreibt Reason.

Intuitiven Lösungen komplexer Probleme misstrauen

Eine interessante Erfahrung habe ich mit meinen Studierenden gemacht. Frage ich „out of the blue“, wie teuer das Flaschenglas sei, wenn die Flasche Wein Fr. 10.50 koste und der Wein 10 Franken teurer sei, als das Glas, dann antworten die meisten Leute intuitiv und falsch. Taucht die Frage aber in einem Aufgabensatz über Gleichungen auf, dann stellen die Studierenden wie selbstverständlich die Gleichung auf, lösen sie und gelangen zum richtigen Resultat.

Wir sind einfach (noch) nicht bereit, die Merkmale unserer immer komplexer werdenden Aufgabenstellungen im Rahmen eines integrierten mentalen Modells zu interpretieren. Ich selbst ertappe mich immer wieder, dass ich eine Aufgabe „praktisch“ angegangen bin, obwohl ich das theoretische Rüstzeug gehabt hätte, sie auch auf wissensbasierter Ebene zu lösen. Wie nur kann ich mein Gehirn dazu bringen, intuitiven Lösungsansätzen zu misstrauen?

(1) Reason, James. Menschliches Versagen – Psychologische Rsiskofaktoren und moderne Technologien. Spektrum Akademischer Verlag. Heidelberg 1994. S.93ff.

7 Antworten auf „Menschen verhalten sich wie spezifische Mustererkenner“

  1. Die Unterscheidung zwischen „intuitivem“ Handeln und „wissensbasiertem“ Hadneln erinnert mich sehr an die Beobachtungen von Kahneman („Schnelles Denken, langsames Denken“). Von daher müsste eigentlich noch genauer fragen: Wie kann ich erkennen, wann das schnelle Denken/Handeln mir große Nachteile bringt? Es ist ja nicht immer falsch, oft notwendig, manchmal nicht gerade optimal und manchmal massiv fatal. Es würde für den Alltag reichen, die massiv nachteiligen intuitiven Entscheidungen herauszufiltern.
    Dem steht nicht nur entgegen, dass das langsame Denken aufwendig ist, sondern auch, dass die menschliche Seele unglückseligerweise kurzfristige Belohnungen gegenüber viel später eintretenden Vorteilen bevorzugt (Problem des Vorsorgeverhaltens – man schafft das praktisch nur, wenn man es automatisiert, also so handhabt, dass man nie wieder neu entscheiden muss).
    Mit dem Problem der komplexen Entscheidungen beschäftigen sich übrigens inzwischen auch Software-Lösungen. Für die einfachen Fällen von Komplexität gibt es z.B. http://www.proofler.com/.
    Extrem aufwendig und wissenschaftlich tief unterfüttert ist das Eidos-System von Parmenides ( https://www.parmenides-foundation.org/application/parmenides-eidos/ ) , das sich an Vorstände und Stabsstellen großer Unternehmen richtet und dort für einen erstaunlichen Rationalitätsschub in Fällen von Entscheidungssituationen sorgen soll, wo die einzelnen Faktoren und Bedingungen für selbst intelligente Einzelhirne kaum noch deutlich zu überblicken sind. Was ja auch ein interessanter Aspekt: Bei intuitiven Entscheidungen kann uns eigentlich keiner helfen (Astrologie-Business basiert darauf, Kirche, Coaching-Busness), bei wissensbasierten Entscheidungen kann Hilfe durch gegenseitigen Austausch an Rationalität entstehen (Beratungsgeschäft, Wissenschaft).

    1. Vielen Dank für diesen ergänzenden Kommentar. Das ist alles ganz in meinem Sinn. Ja, die Unterscheidung ist eigentlich dasselbe, wie Kahnemans schnelles und langsames Denken. Ich wollte Kahneman noch erwähnen, vermied es dann aber, um nicht noch länger zu werden.

      Das schnelle Denken – oder die Intuition – ist selbstverständlich immer dann angezeigt, wenn es schnell gehen muss und wir keine Zeit haben, zu überlegen.

      Das rationale Denken kommt dazu, wenn man Zeit hat, z.B. im Management oder Projektmanagement.

      Deine Frage, wann „mir“ das schnelle Denken Nachteile bringt, würde ich anders formulieren. Schnellschüsse bringen eben leider nicht nur mir Nachteile, sondern u.U. einer grösseren Gruppe. Sollte sich z.B. der Entscheid, Europa zu einer Währungsunion zu machen, als Fehlentscheid entpuppen, leiden vermutlich nicht (mehr) in erster Linie die Entscheider, sondern viele Unbeteiligte. Ich meinte, dass jeder Entscheid Vorteile und Nachteile mit sich zieht.

      Es geht also vor allem um Fern- und Nebenwirkungen von Entscheidungen und Handlungen. Negative Auswirkungen können nie vorausgesehen und ausgeschlossen werden.

      Deine Links sind sehr interessant. Ich habe mir proofler angeschaut. Dort geht es aber vor allem um „grosse“ Entscheide, z.B. welches Auto ich mir kaufe. Mich interessieren aber vielmehr die alltäglichen Entscheide, die gar nicht als Entscheide wahrgenommen werden: ich muss eine Aufgabe machen, also pack’n wir’s! Und dann geht man so intuitiv drauf los, ohne sich bewusst zu sein, dass man hier laufend Entscheide trifft.

  2. Hallo Peter,

    ich bin immer wieder erstaunt, wie unterschiedlich man ähnliche Themen betrachten kann.

    In meinem Verständnis steht irgendwie auch die Frage im Raum:
    Wie kommt man „Outside the Box“?
    (Also raus aus seinen gewohnten Verhaltens- und Denkmustern)
    vgl: http://www.harvardbusinessmanager.de/blogs/a-772382.html

    Unter Intuiton verstehe ich etwas komplett Anderes,
    als Du es beschreibst.
    (Das ist „normal“ – Es existiert keine einheitliche Definition dazu und eine Diskussion darüber „lohnt nicht“… )

    Intuition ist für mich Etwas, dass es ermöglicht „Outside the Box“ zu kommen. Quasie eine „Eingebung“ (oder „Aha-Effekt“), die sich einstellt, nachdem man sich intensiv mit einem Thema beschäftigt hat, zur Ruhe kommt und dann die eigenen, alten (Denk)Muster durchbricht… (Für mich ist Intuition also ein Teil der Lösung)

    Oft ist es praktikabler „Inside the Box“ zu bleiben.
    Es spart Energie und schafft (vermeintlich) Sicherheit…
    Inside the Box zu bleiben heißt, in der Komfortzone zu bleiben und seine Muster „ablaufen zu lassen“.
    Hier ist es viel effektiver „einfach (wie immer) zu machen“ – statt „nochmal darüber nachzudenken“ – oder sich damit überhaupt zu beschäftigen…
    Da müsste das Gehirn schon direkt nach der Anstrengung einen positiven Stimulus ;o) erhalten (glaube ich).

    Viele Grüße,
    Bernd

    1. Ich denke nicht, dass wir zwei verschiedene Vorstellungen von Intuition haben. Kahneman erklärt sehr präzise, was Intuition ist. Es ist Wiedererkennen. Wenn Du ein Aha- Erlebnis hast, dann, weil etwas, was im Verlauf der bisherigen Lösungsanstrengungen in Deinem Gedächtnis verschüttet war. Mit der Beschäftigung mit dem Thema kommt nun das Verschüttete/Vergessene langsam wieder zum Vorschein. Wenn Du Dich dann wieder daran erinnerst, wird eine Brücke zum aktuellen Problem geschlagen und das ist dann der Aha-Effekt.

      Intuition ist insbesondere nichts mystisches oder gar göttliches. Intuition ist eben genau auf der regelbasierten Ebene angesiedelt. Intuition ist nicht immer etwas, das mit Pauken und Trompeten passiert, wie ein Aha-Effekt. Beispielsweise verhältst Du Dich in einem Konflikt vermutlich intuitiv (richtig), ohne dass Du dabei denkst: „Jetzt fällt mir wie ein Blitz ein, wie ich mich richtig verhalten muss“.

      Wer z.B. im Rahmen eines Projekts eine (kleine) Aufgabe zu erledigen hat, macht das zuerst ohne viel zu überlegen, weil er sich eben auf seine Intuition verlässt.

      Ein Manager, der vor ein Problem gestellt wird – z.B. die Konkurrenz macht etwas besser – sagt dazu, was ihm gerade in den Sinn kommt und was er (intuitiv) für richtig hält. Vielleicht entscheidet er sofort, dass dies und das zu machen sei. Wenn sich dieser Entscheid als „richtig“ herausstellt, dann wird er eine Flasche Champagner öffnen und sagen: „Ich hatte intuitiv den richtigen Riecher gehabt“.

  3. Wie gesagt, denke ich nicht, dass Intuition „der schnellen Denke“ entspricht. Im Gegenteil…. !!!
    Intuition basiert in meiner Vorstellung im Wesentlichen auf der Fähigkeit zur Emphatie und der Fähigkeit zum „inneren Beobachten“.
    Daher ermöglicht sie uns nicht nur aus Problemen 2ter Ordnung auszusteigen (statt mehr desselben zu praktizieren), sondern auch gute Entscheidungen zu treffen, selbst wenn sie uns vom Verstand her zunächst unlogisch erscheinen müssten. (Weil sie für „das Ganze“ zwar gut sind, für uns selbst aber eher weniger… ZB )

    Das hat für mich auch nichts mit Mystik oder Religion zu tun.
    Vielleicht echer mit der Fähigkeit „externe Quellen“ mit interen Vorgängen abzugleichen (ums mal so auszudrücken).

    1. Intuition wird oft mit „Ganzheitlichkeit“ in Verbindung gebracht. Von den Teilen zu abstrahieren um das Ganze „sehen“ zu können, ist offenbar auch eine wichtige Betätigungsform des Hirns.
      Man sollte sich aber nicht um die Begriffe streiten – ganz egal ob man Inution, Instinkt oder was auch immer gerade nutzt. Interessant sind die Sachverhalte und da vor allem jener, dass es augenscheinlich Arbeistformen im Hirn gibt, die sich nicht so einfach der Beobachtbarkeit darbieten wie das „langsame Denken“. Die Existenz des „schnellen Denkens“ kann man quasi nur von ihren Ergebnissen her voraussetzen – „ich habe gar nicht nachgedacht und habe einfach die Scheibe eingeschlagen…“ … wirklich nicht nachgedacht oder nur schneller, als es das „langsame Denken“ nachvollziehen könnte?
      Vor eingier Zeit kam mir sogar die Vermutung, es könnte ein superschnelles Denken geben, das extrem schnell aus Bekanntem Neues herausholt (Entscheidungen, Einsichten, Vorstellungen). Ich kam darauf, weil jemand fragte: Wie kann es sein, dass ich mir im Traum Vorgänge vorstelle, die eine halbe Stunde oder noch längern „dauern“, das Träumen davon dauert aber nur wenige Sekunden? Man weiß von Spezialfällen wie Autisten, dass bei den Menschen offenbar einiges weit schneller laufen kann, als normal. Aber auch andere Dinge im Wahrnehmungsbereich laufen ja mit einer ungeheuer hohen Geschwindigkeit -so schnell, dass uns das tatsächlich nicht einmal zu Bewusstsein kommt. Z.B. soll man im Bruchteil einer Sekunde jemanden aus dem Gesicht ablesen können, wie jemand zu uns steht oder ob er gerade gut oder schlecht gelaunt ist. Natürlich liegen da Abgleiche mit Mustern vor, aber diese Abgleiche funktionieren rasend schnell. Ich könnte mir von daher gut vorstellen, dass dieser ominöse Bereich des Gefühlsdenkens zum einen stark mit Bildern und unbegrifflichem Denken verbunden ist und zudem auf Operationen beruht, die einfach zu schnell sind, als dass sie uns zu Bewusstsein kommen könnten. Vermutlich wäre es sogar gar nicht auszuhalten, wenn diese Prozesse bewusst abliefen.

      1. vermutlich… (Ich glaube das jedenfalls auch)

        Vielleicht noch 2 ergänzende Überlegungen bzw. Fragen:

        ****
        Man kann Gedanken anderer Menschen NICHT wahrnehmen
        und fast nur über die Sprache (also reduziert) transportieren…
        Davon abgesehen gibt es „Grundemotionen“ die (über Gestik, Mimik, Körperhaltung etc.) WELTWEIT (also Kulturunabhängig) und zeitlos – SOFORT wahrnehmbar sind!

        ****

        Wenn uns dies im Alltag so wenig bewusst ist, kann es dann nicht auch hilfreich sein, das eigene Bewusstsein „zu trainieren“, um seine „Muster“ zu verändern?
        Liegt unsere Aufmerksamkeit vielleicht manchmal auf einer eher einschränkenden Sichtweise?

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