Planungsunsicherheit durch Covid-19

Angeblich haben viele Menschen allerlei Ängste. In dieser Hinsicht kann ich nicht mithalten. Klar habe ich auch so meine Ängste, aber diese sind im Vergleich zahlenmässig überschaubar. Z.B. gebe es Menschen, die Angst vor Mathematik haben sollen. Obwohl ich durchaus nicht empathielos bin, kann ich eine Angst vor einem Schulfach überhaupt nicht nachvollziehen. Was soll denn das?

Gute und schlechte Veränderungen?

Auch Veränderungen machen vielen Menschen Angst, sagt man. Das kann ich schon eher nachvollziehen, denn Veränderungen könnten einem ja zum Nachteil gereichen. Aber, nicht wahr, wer darauf hofft, dass irgend etwas besser werden wird, muss eigentlich Veränderungen lieben, denn wenn nichts ändert, kann auch nichts besser werden. Nicht jede Veränderung kann man so auf die Schnelle als „gut“ oder als „schlecht“ identifizieren. Z.B. freuen sich auch veränderungsresistente Menschen über eine Beförderung mit Lohnzuwachs, weil sie meinen, das sei eine „gute“ Veränderung. Quatsch! Sie werden mehr exponiert und somit mehr der Kritik ausgesetzt sein. Und die grössere Verantwortung kann ihnen den Schlaf rauben und sie zermürben.

Die aktuellen Veränderungen durch Covid-19 stufen die meisten Menschen wohl negativ ein. Es ist ja auch eine perfide Bedrohung, weil unsichtbar und abstrakt. Ist das vielleicht auch der Grund, weshalb Menschen Angst vor der Mathematik haben? Weil sie abstrakt ist? Im Falle von Covid-19 kommt noch dazu, dass niemand irgend eine effektive Abwehrstrategie hat. Zu der Angst kommt also noch Hilflosigkeit.

Kompetenzhygiene

Wie reagieren Menschen auf Ängste und Hilflosigkeit? Hilflosigkeit demonstriert Kompetenzschwäche und macht Angst. Also muss man irgendetwas tun, um sich selber zu beweisen, dass man durchaus kompetent ist. Strohschneider/Dörner identifizieren zwei Strategien: die eine ist Suche nach Bestimmtheit, indem man z.B. Informationen umdeutet oder neu gewonnene Informationen abwehrt. Das sehen wir aktuell sehr gut, wenn z.B. behauptet wird, dass die Informationen, welche die sogenannte „Qualitätspresse“ bereitstellt, absichtlich gefälscht seien. Man folgt dann lieber suspekten Informationsquellen, die diejenigen Informationen bereitstellen, die man sich wünscht. Die Leugnung des Virus‘ ist direkte Umdeutung der Informationen: wenn man glaubt, dass es gar keine wirkliche Bedrohung gibt, dann gibt es auch keinen Grund, Angst zu haben.

Die andere Strategie der Kompetenzhygiene ist es, Handlungen vorzunehmen, die Effizienz demonstrieren oder zumindest weiteres Abrutschen in die Ineffizienz vermeiden. Das können aggressive Akte sein, z.B. Teilnahme an (aggressiven) Demonstrationen, Beleidigung und Verunglimpfung von Regierungsbeamten oder Unterstützung geheimer Kampforganisationen. Aber auch die Flucht in unwesentliche Details gehört in diese Kategorie. Z.B. wird aktuell über Dinge diskutiert, die nun wirklich keine akute Relevanz haben, wie z.B. ob Schutzmasken nützlich oder gar gefährlich seien oder ob das Sars-CoV-2 Virus weniger gefährlich sei als andere Viren.

Diese Strategien werden alle von unserem Unterbewusstsein gesteuert und sind uns kaum bewusst. Angst durch Kompetenzverlust kommt vor allem in der Planung von Projekten vor. Der Schüler von Dietrich Dörner („Die Logik des Misserfolgs“), Stefan Strohschneider, hat schon vor geraumer Zeit einen sehr informativen Artikel zum Thema publiziert, auf den ich in meinem Blog mehrmals hingewiesen habe. Der Artikel ist so hilfreich, dass ich ihn auf meinem Server abgelegt habe: Ja, mach‘ nur einen Plan!

Planungsunsicherheit

Die momentane Covid-19-Krise (die eigentlich mehr Gelegenheit als Krise ist), führt zu manchen Veränderungen und eben gerade das macht vielen Menschen Angst. Sie wissen nicht, wie ihnen passiert. Eine der Veränderungen ist Planungsunsicherheit. Nicht nur Projekte, überhaupt das ganze Leben wird durch Planungsunsicherheit durchzogen. Plötzlich braucht alles viel mehr Zeit. Sie wissen z.B. nicht, ob Sie nicht durch eine zweiwöchige Quarantaine aufgehalten werden. Sie können nicht planen, weil Lieferungen Verzögerungen erfahren und Vereinbarungen kurzfristig über den Haufen geworfen werden. Die Covid-Massnahmen können Ihnen zu jeder Zeit und überall einen Strich durch die Rechnung machen, einen Grund mehr, die Epidemie einfach zu leugnen. Nur, so einfach ist das nicht. Und anstatt die Veränderung anzunehmen und sich endlich mit Unbestimmtheit und verminderter Planungsfähigkeit auseinanderzusetzen, entscheiden sich noch immer viele Menschen, lieber ihre Kompetenzhygiene zu pflegen. Das ist durchaus ein persönlicher Entscheid, aber wer jetzt die Herausforderung annimmt und sein Leben neu auf Planungsunsicherheit umstellt, wird mit der Zeit die Nase vorne haben. Das fängt z.B. damit an, dass man neu für jeden Schritt viel mehr Zeit einrechnet und ständig davon ausgeht, dass dieser Schritt vereitelt wird. Es genügt nicht, für diesen Fall einen Plan B zu haben. Vielmehr braucht es eine „wir werden sehen“-Haltung. Improvisationskompetenz ist angesagt. Das ist eine ganz andere Kompetenz, als die Durchsetzung einer geplanten Handlung.

Die Schutzmaske betrachte ich als Insignum dieser neuen Kompetenz. Wer sie verweigert, gehört zu denen, die die Veränderung nicht annehmen. Die Maske hat aber noch andere Vorteile. Das wissen vor allem die Asiaten, die auch schon vor Covid-19 bei jeder Gelegenheit eine getragen haben. Man kann mit der Maske Schönheitsfehler abdecken, muss sich nicht darum kümmern, ob der andere den Knoblauch riecht, den man gestern zum Nachtessen hatte und kann eine gewisse Distanz bewahren. Ich nutze die Maske auch einfach zum Wärmen der Nase. Haben Sie schon einmal beachtet, dass die Nase juckt, wenn man eine kalte Nasenspitze hat? In einer Studie von 2015 konnten Wissenschaftler an der Yale University School of Medicine an Schleimhautzellkulturen der Atemwege von Mäusen zeigen, dass sich Rhinoviren bei kühlen Temperaturen schneller vermehren. Wenn dann die Nase juckt und Sie niesen müssen, haben die Erkälungsviren ihre Arbeit begonnen und können sich in den Rachen hinunter ausbreiten. Dann haben Sie eine veritable Erkältung. Eine Schutzmaske hält meine Nasenspitze warm und bewahrt mich dadurch auch vor Rhinoviren. Praktisch, nicht?

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