Umgang mit Komplexität

Gewöhnlich setzt man Komplexität mit Ungewissheit, Unübersichtlichkeit, Intransparenz und Vernetztheit gleich. Ich will das in diesem Artikel einmal so stehen lassen und mich vielmehr nach der Herkunft von Ungewissheit usw. fragen. Menschen bilden Hypothesen, wie die Objekte und Systeme, mit denen sie zu tun haben, funktionieren. Darauf aufbauend machen sie Prognosen über die zeitliche Entwicklung dieser Objekte und Systeme. Ein Projektplan ist nicht die einzige Prognose im Projekt. Der Projektleiter macht laufend Prognosen, wie sich das Projekt in den nächsten Stunden oder Tagen entwickeln wird. Wir bilden unsere Hypothesen und Prognosen jedoch weitgehend unbewusst. Stimmen die Prognosen oft und frappant nicht mit der Wirklichkeit überein, empfinden wir diesen Umstand als ungewiss und intransparent, also als komplex.
Das führt oft zu beträchtlichen Kompetenzzweifeln, und wir beschäftigen uns nurmehr mit der Pflege der Kompetenzhygiene, anstatt dass wir uns um die Verbesserung unserer Prognosen kümmern würden1.

Was fördert gute Prognosen? Erfahrung – Wissen – Glauben.

  • Erfahrung nützt in erstmaligen Situationen wenig. Projekte sind per Definitionem erstmalig.
  • Unter Wissen ist nicht Faktenwissen, sondern Struktur- und Systemwissen gemeint. Leider vermitteln die lokalen Bildungsinstitute kaum Systemwissen.
  • Unter Glauben verstehe ich unsere Glaubenssätze, Überzeugungen, Kulturwurzeln, Werte, Weltanschauung und Heuristiken.

Was hindert gute Prognosen? Zielgenauigkeit – Methodengläubigkeit

  • Je genauer und starrer das Ziel, desto kleiner die Wahrscheinlichkeit, dass wir es treffen, und umso ungenauer unsere Prognosen.
  • Je sturer wir uns an Methoden halten, desto weniger Entwicklungsmöglichekiten können wir uns vorstellen, und desto eingeschränkter unsere Prognosen.

Wie können wir unsere Prognosefähigkeit stärken?

  • Unsere Prognosebildung bewusst werden lassen; uns beim Prognostizieren „zuschauen“.
  • Achtsam schwache Signale wahrnehmen, die die Objekte und Systeme, mit denen wir zu tun haben, am Anfang einer Entwicklung aussenden.
  • Wahrgenommene noch so schwache Signale aktiv und bewusst in unsere Prognosen einbeziehen.
  • Periodischer Rückzug aus unserer üblichen Betätigungsumgebung in separierte Denkräume, um über das Geschehen zu reflektieren.

1Stefan Strohschneider. Ja mach´ nur einen Plan … . Institut für Theoretische Psychologie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. 28. März 2001

3 Antworten auf „Umgang mit Komplexität“

  1. Danke für diesen Artikel. Ist Systemwissen nicht Erfahrung? Wie kann ich lernen die Komplexität von Systemen einzuschätzen, ohne jegliche Erfahrung selbst zu machen? Kann man Systeme überhaupt ausreichend beurteilen, oder sollte man nicht auch respektvoll bereit sein zuzugeben, nicht alles verstehen und beeinflussen zu können.
    Freundliche Grüße, Sabine Hecker-Ermann

  2. Hallo Sabine Hecker-Ermann

    Vielen Dank für die interessanten Fragen. Mit Erfahrung ist hier – wie soll ich das nennen? – „Sach-Erfahrung“ gemeint. Vom Leiter eines Bauprojekts wird erwartet, dass er Bau-Erfahrungen hat, vielleicht schon einmal ein Haus gebaut hat. Aber Unvorhergesehenes, Unerwartetes kann nicht immer mit simpler Sach-Erfahrung gelöst werden. Manchmal ist gerade die Unerfahrenheit in Sachfragen kreativen Lösungen förderlicher.

    Unbedingt sollte man bereit sein zuzugeben, nicht alles verstehen und beeinflussen zu können. Das kann ich so dreimal und mit breitester Feder unterzeichnen. Man beachte bitte, dass ich hier nicht Rezepte feil halten will, sondern bloss beschreiben will, weshalb man manchmal das Gefühl hat, die Situation sei komplex (ungeachtet dessen, ob es wahr ist oder nicht). Menschen werden eben nervös, wenn sie nicht alles verstehen und beeinflussen können. Ich kennen kaum jemand, der in der Lage ist, in turbulenten Situationen die Ruhe zu bewahren und zu sagen: „Ich kann halt nicht alles beeinflussen“. Vor allem kennen ich keine Manager, die so denken. Denen wollte ich hier einen Spiegel vorhalten.

    Gruss,
    Peter

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