Ende 2016 wollten wir von Bangkok nach Penang, von Thailand nach Malaysia, umziehen. Wir nahmen uns dafür knapp 3 Wochen Zeit, blieben in Phuket eine Woche, setzten den Weg via sechs Inseln in der Andammanensee fort und blieben auf jeder Insel je zwei Tage. Damit mussten wir durchschnittlich alle drei Tage eine neue Unterkunft beziehen, in einem anderen Bett schlafen, verschiedene sanitäre Einrichtungen bedienen und uns an gegebene Essgelegenheiten anpassen.
Die Veränderung wird zur Gewohnheit
Wir stiegen natürlich – wie immer – in AirBnB ab und da weiss man nie so recht, was man antrifft. Jede Ankunft enthält Unsicherheiten. Ist das Bett lang genug? Funktionieren die sanitären Einrichtungen? Ist das Dach dicht, wenn es regnet? Jede Unterkunft unterscheidet sich von der vorhergehenden und verlangt ein Umdenken und ein Umorganisieren. Das sind zwar jedesmal Kleinigkeiten, aber sie erfordern eben ständige Anpassung und Neuorientierung. Wer z.B. an ein spezielles Essritual gewöhnt ist, muss das vermutlich schnell aufgeben, weil es nicht überall möglich ist, dieses Ritual zu durchlaufen. Manchmal gibt es bloss zu einer bestimmten Zeit Wasser oder Elektrizität.
Dann muss man seine Waschgewohnheiten auf diese Zeiten verlegen und die Taschenlampen, Devices und Powerbanks aufgeladen haben. Es kann sein, dass die Unterkunft in einer sehr lärmigen oder sehr belebten Umgebung liegt und man keine Möglichkeit hat, dies zu ändern. Kurz: in jeder neuen Umgebung muss man gewisse Dinge in Kauf nehmen, die einem nicht passen. Und bevor man sich daran gewöhnt hätte, zieht man schon wieder weiter, was ein erneutes Umgewöhnen erfordert.
Auf diese Weise bleibe ich flexibel, agil und geistig fit. Es gibt für mich nur eine Gewohnheit und das ist die Veränderung. Ich bin mir gewöhnt, dass sich alles immer wieder ändert.
Unvorhergesehenes
Was ich hier auf die alltäglichen kleinen Umgebungsdetails bezogen habe, setzt sich im grösseren Rahmen fort: z.B. ist es nie klar, ob wir die Unterkunft überhaupt finden, den Schlüssel erhalten und einziehen können. Einmal waren wir z.B. in einer Wüstenstadt, die den Anschein machte, im Sand beinahe zu versinken. Nur mit Mühe fanden wir unser AirBnB, aber den Schlüssel mussten wir am anderen Ende der Stadt suchen. In den verschiedenen Ecken der Welt kann allerlei passieren. Der Eintritt von Unvorhergesehenem ist an der Tagesordnung.
Unterwegs kann viel passieren. Es könnte kein Wasser geben, Tiere könnten unsere Fahrhabe zerstören, wir könnten abseits von pharmazeutischem oder ärztlichem Beistand krank werden oder einen Unfall haben, Transporte könnten nicht funktionieren, ganz zu schweigen von bösartigen Angriffen, etc. Zwar hatten wir bisher stets Glück und waren von gröberem verschont gewesen, aber ab und zu lagen wir auch schon mit einer Magensache oder einer Grippe für zwei oder drei Tage im (fremden) Bett. Die Genesung muss auch in einer fremden Umgebung funktionieren.
Je mehr ich herumkomme, desto mehr liebe ich die Menschen. Das Leben in völlig unterschiedlichen Kulturkreisen ist ungemein lehrreich. Wenn Sie von Europa nach Alaska umziehen, danach via Kalifornien nach Hawaii, so treffen Sie vier Kulturkreise an, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Für mich äussert sich das im Verhalten der Menschen und deren Erwartungen an mich, aber auch in den Infrastrukturen der jeweiligen Gesellschaften, den (öffentlichen) Transportsystemen, den Angeboten und Öffnungszeiten der Läden, den Ge- und Verboten und vor allem eines ungeschriebenen und unausgesprochenen Kodex.
Vorurteile abschleifen
Auch in Asien gibt es Kulturkreise, die höchst unterschiedlich sind. Das Leben in einer arabischen oder chinesischen Grossstadt, im Mekongdelta, in Indien oder in Sri Lanka ist jeweils ganz divers, auch unabhängig von den lokalen Religionen, die dort intensiv gepflegt werden. Die Zivilkulturen sind immer durch religiöse Elemente geprägt. Aber Buddhismus ist nicht einfach Buddhismus. Er wird in jedem buddhistischen Kulturkreis anders interpretiert und gelebt. Dasselbe gilt für alle anderen Religionen auch. Die schnelle Anpassung an diese Unterschiede generiert noch mehr Veränderung, als jede Nacht in einem anderen Bett zu schlafen.
Und da Menschen, die dort wohnen, ihre Kultur machen, bleibt uns nichts übrig, als ihre Kultur zu akzeptieren. Ich musste lernen, dass Menschen etwas aus ihrer Sicht heraus machen und es so viele Sichtweisen wie Menschen gibt. Und überall haben Menschen feste Überzeugungen und Rituale, die sie von ihren Eltern übernommen haben, und die vielleicht einmal Sinn machten, aber heute auf einen Aussenstehenden anachronistisch wirken. Dennoch halten die Menschen dort daran fest und es ist ihnen klar, dass ihre Überzeugungen wahr und richtig seien.
Auch wenn ich diese Überzeugungen nicht teilen kann und sie mir zuweilen sogar lächerlich erscheinen, musste ich lernen, sie zu respektieren. Ich lernte sogar noch mehr: ich habe ebenso Überzeugungen, deren Mief aus der Tiefe der europäischen Geschichte heraufweht. Zwar wusste ich das auch schon vorher, aber zwischen „wissen“ und „spüren“ ist ein Unterschied. Ich lerne auf unseren Reisen die Menschen lieben und entwickle ein globales Verständnis für ihre Unterschiedlichkeit. Das hält Rassismus und Hass fern!
Die tägliche Erfahrung lehrt, daß diejenigen, welche viel reisen, an Urteilskraft gewinnen; daß die Gewohnheit – fremde Völker, Sitten und Gebräuche zu beobachten, den Kreis ihrer Ideen erweitert und sie von manchen Vorurteilen befreit.
François Pierre Guillaume Guizot
Daheimbleiben aus Bequemlichkeit
Früher blieb ich stets zu Hause und lachte über diejenigen, die ständig auf Achse waren. Ich hielt mich an Immanuel Kant mit seinen tiefschürfenden a priori Ideen, obwohl er zeitlebends in Königsberg blieb. Ich sprach vom „inneren Ausland“, das ich in meinen Gedanken bereise und behauptete, dadurch zu ebenso tiefen Einsichten zu gelangen, als wie wenn ich in’s „äussere Ausland“ reisen würde.
Gelegenheiten, mit meiner Familie eine Weile im Ausland zu leben, um dort zu studieren nahm ich ebenso wenig wahr, wie ich später eine Stelle annahm, die viel Reisen verlangte. Rückblickend ist klar, dass dies bloss Verhinderungsstrategien waren, weil ich Angst hatte vor den Veränderungen, die ein Ortswechsel mit sich bringen, auch wenn es nur ein temporärer ist.
Die Weigerung, den Lehrjahren Wanderjahre folgen zu lassen, hat mir nicht nur manche berufliche Gelegenheiten verschlossen, sondern auch meine Weltsicht verengt. Es war ja letztendlich Bequemlichkeit der Grund, zuhause zu bleiben, denn Reisen ist unbequem und mühsam. Auf Reisen ist man gezwungen, ständig über den eigenen Schatten zu springen.
Reisepsychologie
Die (Reise-)Psychologin Barbara zählt in ihrem Blog reisepsycho.com einige Persönlichkeitsentwicklungen auf, die durch Reisen induziert werden können:
- Fremde Kulturen verstehen
- Selbstvertrauen stärken
- Offenheit und Gelassenheit entwickeln
- Sprachen lernen
- Genügsamkeit erfahren
- etc.
Natürlich kann man eine fremde Kultur auch dann nicht verstehen, wenn man sie jahrelang beobachtet und studiert. Aber man kann lernen, sich in ihr zu bewegen und sie zu respektieren. Und man kann verstehen, dass „es“ auch in dieser Kultur funktioniert und die eigene Kultur nicht über alle anderen erhaben ist. Natürlich „versteht“ man das auch, wenn man ein Video über die fremde Kultur liest. Aber im etwas Kopf verstehen und etwas im Gefühl zu haben sind eben zwei verschiedene Qualitäten.
Als „Sprachidiot“ habe ich natürlich keine Ambitionen, z.B. in Sri Lanka Singhalesisch zu lernen. Aber ich gebe mir Mühe, immer wieder neue singhalsische Vokabeln zu kennen, die ich in Interaktionen mit der Bevölkerung des Landes einstreuen kann. Sie freuen sich sehr, wenn ich z.B. auf dem Markt nach „Väldödang“ frage, statt nach „Passionfruit“. In jedem Land lerne ich sofort zumindest „Danke“ zu sagen, obwohl es in vielen asiatischen Kulturen gar nicht üblich ist, sich zu bedanken (man könnte dabei ja das Gesicht verlieren!). Aber ich bin ein Fremder, der als Gast gekommen ist und nicht als Kolonialist.
Literaturhinweis (reisepsych.com):