Was ist an der Welt falsch, wenn sie sich nicht gemäss meiner Hypothese verhält?

Wer aufmerksam ist, entdeckt täglich kleine Fehlleistungen des Kognitionssystems, die meistens harmlos sind, wie das folgende Beispiel zeigt. In wichtigen Entscheidungssituationen können sich aber genau diese Fehlleistungen fatal auswirken.

Hier ein Beispiel für unseren Hang zur Bestätigung1 einmal getroffener Annahmen und Hypothesen (Confirmation Bias):

Ich trete mit meiner Partnerin eine mehrstündige Bahnreise an. Im Tickettäschchen befinden sich

  • ein Ticket
  • eine Reservation für die Hinfahrt
  • eine Reservation für die Rückfahrt
  • weitere Dokumente

Vor einer Reise ist man immer ein wenig aufgeregt oder hat mindestens erhöhte Aufmerksamkeit, damit man keinen Anschluss verpasst und auch sonst alles klappt. Auf dem Bahnsteig vergewisserte ich mich nochmals, welche Sitzplätze wir haben und ordnete die Dokumente im Tickettäschchen so, dass zuoberst das Ticket liegt, gefolgt von der Reservation.

Wir sind in Wagen 2 und haben Sitze 45 und 46.

Dann  kam die Lautsprecherdurchsage, dass der Zug heute mit „leicht geänderter Wagenkomposition“ verkehre.
„Na, prima!“, ging es mir durch den Kopf, erfahrungsgemäss kann das heissen, dass die Reservationen durcheinander geraten und obsolet geworden sind.

Der Zug fuhr ein, wir stiegen in den Wagen 2 ein. Plätze 45 und 46 gehörten zu einem Viererabteil und waren mit Gepäckstücke belegt, die den beiden anderen Reisegästen gehörten, die in diesem Viererabteil Platz genommen hatten.

Wir setzten uns schon mal auf die beiden Einzelsitze daneben. Diese waren zwar laut Anschrift ebenfalls reserviert, aber erst ab einer kommenden Station. Natürlich mussten wir darauf bestehen, dass sie ihre Gepäckstücke von uneren reservierten Plätzen nehmen, aber eigentlich wären wir lieber auf Einzelsitzen.

Da schaute ich mir die Anschrift der Plätze 45 und 46 an. Auch diese sind ja falsch angeschrieben. Die Anschrift stimmt nicht mit unseren Reservationsdaten überein! Also hat die „leicht veränderte Wagenkomposition“ die Reservationen doch durcheinander gebracht. Nichts stimmt mehr!

Meine Partnerin warf auch nochmals einen Blick auf die Dokumente im Tickettäschechen. „Wozu auch?“, dachte ich. „Ich habe die aktuelle Reservation doch genau studiert und weiss genau, wo unsere Plätze sind“.
„Aber wie haben jetzt die Plätze 11 und 12. Die Sitzplätze 45 und 46 haben wir dann auf der Rückreise“, belehrte mich meine Partnerin.

Was ist geschehen? Zuerst bildete ich mir die Hypothese:

„Wir haben auf der Hinreise die Plätze 45 und 46. Das bestätigt die Reservation, die ich gleich nach dem Ticket in das Tickettäschchen gesteckt habe. Ich habe die Reservation so genau studiert, dass ein Fehler ausgeschlossen ist“.

Als dann Fakten auftauchten (Anschrift der Sitzplätze 45 und 46), die entschieden gegen meine Hypothese sprachen, war ich nicht bereit, sie zu hinterfragen oder gar zu verwerfen. In meinem Hang zur Bestätigung erfand ich lieber eine reduktive Zusatzhypothese: „Die veränderte Wagenkomposition ist schuld daran, dass die Reservationen durcheinander geraten sind“.

Das wurde verstärkt durch das Gefühl der Enttäuschung, in einem Viererabteil sitzen zu müssen, anstatt auf zwei Einzelsitzen Platz nehmen zu können. Gefühle sind die Basis all unserer Handlungen!

Man beachte, dass verschäftes Controlling und Prozesse („die Dokumente werden so geordnet, dass nach dem Ticket gleich die gültige Reservation folgt“) zu der ersten Hypothese geführt hat, die „unantastbar“ war. Fakten, die dagegen sprachen, mussten daher auch falsch sein.

1z.B. Taleb, Nassim. Der Schwarze Schan – Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Carl Hanser Verlag. München, 2008. Kapitel 5: Der unstillbare Durst nach Bestätigung.

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