Wie entscheiden Sie?

Der Biologe und Hirnforscher Gerhard Roth erklärt sehr konkret, wie gute Entscheidungen zustande kommen: Nicht rational und nicht im Bauch, sondern als aufgeschobene intuitive Entscheidungen des Vorbewussten.
Roth unterscheidet

  • automatisierte Entscheidungen
  • Bauchentscheidungen
  • rationale Entscheidungen
  • aufgeschobene intuitive Entscheidungen

Eine automatisierte Entscheidungen ist es z.B., mit welchem Bein man anfängt zu gehen oder worauf man auf einer Herbstwanderung bei Kilometer 5,774 seine Aufmerksamkeit richten will.

Zeitkritische Bauchentscheide sind vor allem dann angebracht, wenn es um Leben und Tod geht und die Situation schnelles Handeln erfordert. Das war vor allem in einer Zeit wichtig, als man noch von Säbelzahltigern und Höhlenbären gejagt wurde. Meistens berät uns das Gehirn in komplexen Situationen falsch, wenn es spontan entscheiden muss.

Im Rahmen des Rational-Choice-Modells der Ökonomen und Manager ist eine Entscheidung umso besser, je mehr sie verstand- und vernuftgeleitet ist. Tatsächlich sind solche rationalen Entscheide nach Roth nur in Situationen von geringer Komplexität geeignet. Gefühle gelten bei rationalen Entscheidungen als störendes Beiwerk. Natürlich gibt es keine rein rationalen Entscheide.

Die Letztentscheidung wird immer emotional getroffen, und dies bestimmt die Motive unseres Handels1

Es sind nicht „Ziele“ oder „Visionen“, die unser Handeln bestimmen, sondern einfach nur Gefühle, Hoffnungen, Ängste. Und die sitzen tief! Sie können sie kaum formen oder sonstwie darauf Einfluss nehmen.

Roth behauptet, dass in wirklich komplexen Situationen nur die aufgeschobenen intuitiven Enscheidungen weiterhelfen. Sie kommen dadurch zustande, dass wir uns bewusst intensiv mit der Situation befassen, rationale Argumente suchen, uns mit anderen beraten, etc., danach „darüber Schlafen“ – d.h. das Problem ein paar Stunden ruhen lassen – und schliesslich intuitiv entscheiden.

Aufgeschobene intuitive Entscheidungen sind nicht zu verwechseln mit Bauchentscheidungen! Roth lokalisiert sie im Vorbewussten, das alles umfasst, was gerade nicht oder nicht mehr bewusst ist. Hierzu gehört das, was mit uns passiert ist und was wir an Wissen (passiv) verfügbar haben. Im Bewusstsein können wir zu einem Zeitpunkt nur wenige Einheiten verarbeiten und überblicken. Was grad nicht Platz hat, lagern wir ins Vorbewusste aus und vergessen oft, es wieder ins Bewusstsein zurück zu holen. Das Vorbewusste ist also eine Zwischenzone zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein.

Unser Gehirn arbeitet mit vollkommener Konsequenz ökonomisch. Es versucht alles nach Möglichkeit zu vereinfachen und schonend mit seinen Ressourcen unzugehen. (S. 7f)

Ich denke daher, dass alles, was einmal ins Vorbewusste abgleitet, gebündelt und vereinfacht wird, und dass unser Gehirn daraus bestimmte Handlungsregeln erstellt. Daher identifiziere ich das Vorbewusste mit Reasons regelbasierter Ebene2.

Entscheidungen und Handlungen sind das Resultat konkurrenzierender Prozesse in unserem Gehirn. Dieses Konkurrenzgeschehen läuft weitgehend unbewusst ab. Zunächst sind viele gleichstarke Strömungen vorhanden, die alle in einer anderen Richtungen ziehen. Vielleicht und hoffentlich setzt sich die eine oder andere Strömung als eine Art Mode durch und „versklavt“3 die anderen Strömungen. Wenn das bei einem Menschen nicht eindeutig geschieht, gilt er als entscheidungsschwach.

Im Bewusstsein erscheint von diesem Prozess nur so viel, wie dazwischengeschaltete Zensoren es erlauben. Auf die Bewertung der Zensoren haben wir bewusst keinen Einfluss. Freilich kann sich der Mensch durch Lernen verändern, und durch diese Erfahrungen werden auch andere Entscheidungen begünstigt (S. 8 )

Das bedeutet für mich, dass es sinnvoll und wichtig ist, wenn Manager systemtheoretische Grundlagen lernen, wie z.B. Verzögerungskategorien, Unterschiede zwischen Korrelation und Kausalität, Unterschiede zwischen Fluss- und Bestandesgrössen, etc.

Somit können wir für Manager folgendes Fazit bereitstellen:

  1. Permanentes lernen und trainieren systemischer Zusammenhänge, die ruhig ins Vorbewusste absinken dürfen (3-5 Stunden pro Woche)
  2. Entscheide in einem 1-2 tägigen Workshop aufbereiten („aufkratzen“), danach ein paar Stunden nicht mehr daran denken („überschlafen“) und schliesslich intuitiv entscheiden (der Workshop sollte jedoch „hirngerecht“ moderiert sein).

1Roth, Gerhard et al. Kopf oder Bauch – Zur Biologie der Entscheidung. Vandenhoeck und Ruprecht. Göttingen, 2010
2
https://www.anchor.ch/wordpress/denkmuster/wo-kann-in-projekten-und-unternehmen-etwas-schief-gehen
3
Ein Begriff aus der Theorie der Selbstorganisation. Aus vielen kleinen gleichstarken Fluktuationen setzt sich eine Mode durch, was dazu führt, dass sich das ganze System nach dieser Mode ausrichtet. Siehe https://www.anchor.ch/wordpress/komplexitat/komplexitat-revisited-2

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