Wie entsorgen Sie weisses Porzellan?

Bei der Altglassammelstelle am Bahnhof Oerlikon beobachtete ich gestern um 17.30 Uhr einen jungen Mann, der mit einer Kiste Altglas daher kam. Wahrscheinlich musste er für ein Restaurant oder ein Take away das Altglas entsorgen. Er ging zuerst zum Container für weisses Glas. Als er fälschlicherweise nach einer grünen Flasche griff, legte er diese wieder ordentlich zurück, denn dieser Container ist ja ausschliesslich für weisses Glas bestimmt. Er arbeitete also durchaus sorgfältig. Dann allerdings warf er noch ein paar Stück weisses Porzellan in diesen Container. Der Mann hatte wohl den Auftrag, das weisse Porzellan mit dem weissen Altglas zusammen zu entsorgen. Vermutlich dachte sein Chef: „Weiss ist weiss und wenn man es fallen lässt, zerbricht das Porzellan wie Glas, also kann man es wie weisses Glas behandeln“. Aber ich traute meinen Augen nicht, denn ich war mir fast sicher, dass damit das Altglas in diesem Container für jegliches Recycling verloren war und nur noch in einer Grube der Endlagerung zugeführt werden kann. Es braucht nicht viel Phantasie sich vorzustellen, was passiert, wenn die Glasschmelze von Altporzellan verunreinigt ist. In der Tat fand ich einen Artikel unter dem Titel Keramik und Porzellan gefährden Glas-Recycling, in welchem der Autor schreibt: Zu Problemen bei der Wiederverwertung von Altglas sorgen immer wieder Keramik und Porzellan, die im Altglascontainer liegen. Solche Fremdstoffe lassen sich auch mit moderner Technologie nicht aussortieren und führen bei der Glasschmelze zu unbrauchbaren Flaschen mit Fehleinschlüssen. Klar, Porzellan ist Grubengut und gehört in den entsprechenden Container, der bei öffentlichen Abfallsammelstellen bereit steht. Unter dem Titel Trennverfahren lese ich allerdings, dass es sogenannte KSP-Abscheider gibt, die Keramik-, Stein- und Porzellanteile im Altglas erkennen und sie mit Druckluft entfernen. Nun gut, also hat der Mann noch einmal Glück gehabt, obwohl es ihn wahrscheinlich herzlich wenig interessierte.
Diese Geschichte zeigt sehr schön, was James Reason Enkodierdefizite nennt1. Das ist ein Fehler auf der regelbasierten Ebene. Sie erinnern sich an Reasons Dreiebenenmodell, das ich am 29. Juli 2008 im Beitrag Wo kann in Projekten und Unternehmen etwas schief gehen? vorgestellt habe. Entweder sind bestimmte Eigenschaften des Problemraumes überhaupt nicht oder sie sind ungenau enkodiert. Er berichtet, dass Ellingstadt, Hagen und Kimball 1970 Kontrollausübungen erfahrener Autofahrer mit denen von Anfängern verglichen. Anfänger mit weniger als zehn Stunden Fahrerfahrung neigten dazu, die Aufgabe zu vereinfachten, indem sie die Kontrolle der Geschwindigkeit praktisch ignorierten2. Das entspricht genau unserem Mann an der Glasentsorgungsstelle. Er blendete einfach die Materialfrage aus und bog die Regel „Wenn weisses Glas, dann in den Container, auf dem Weisses Glas steht“ einfach um zu „Wenn weiss und zerschlägt wie Glas, dann in den Container, auf dem Weisses Glas steht“.
Der Sinn von PMI- und IPMA-Zertifizierungen ist es, dem Projektmanager Regeln zur Hand zu geben, die in Projekten universell anwendbar sind, so dass er in kritischen Momenten nicht auf die langsame wissensbasierte Ebene hinauf gehen muss. Das ist der Sinn von jeder Ausbildung schlechthin. Reason berichtete auch von einem Experiment, das Siegler 1983 durchführte. Er liess fünfjährige Kinder ein Training durchlaufen, in welchem sie auf die Bedeutung des Abstands eines Gewichts vom Aufhängepunkt einer Waage aufmerksam gemacht wurden, nachdem er fand, dass die Kinder diesen Faktor ständig ausblendeten und daher an Aufgaben zu Balkenwaagen scheiterten3. Solange es den Kindern nicht gelang, auf den Abstand zu achten, konnten sie ihn nicht enkodieren. Er kam in den Regeln, mit denen sie Balkenwaageprobleme lösten, nicht vor.
Genau das kann passieren, wenn erfahrene Projekt- und andere Manager auf der regelbasierten Ebene ihre Projekte und Unternehmen führen. Wenn sie einen Faktor antreffen, der in den ihnen bekannten Regeln nicht vorkommt, biegen sie die Regel so, dass sie sofort weiter arbeiten können, anstatt dass sie versuchen, das Problem auf der wissensbasierten Ebene zu lösen. Klar kann man Porzellan einfach in den Container werfen, auf dem Weisses Glas steht. Aber zu einem späteren Zeitpunkt wird die falsche Anwendung einer Regel zu einem Riesenproblem führen. Vor allem in Projekten kann das dann ganz schön unangenehm sein.

1James Reason. Human Error. Cambridge University Press 1990.
2James Reason. Menschliches Versagen – Psychologische Risikofaktoren und moderne Technologien. S. 114. Spektrum Akademischer Verlag. Heidelberg 1994.
3ebenda, S. 113

2 Antworten auf „Wie entsorgen Sie weisses Porzellan?“

  1. Also ganz so geregelt ist es nicht.
    Porzellan und Steingut haben eine viel höhere Dichte so das eine Flasche Steingut ca. 900 g wiegt Verteilt auf einen 5 to Altglascontainer mag es nicht viel erscheinen da es ja lediglich 0,0002 % sind.
    Das problem jedoch ist das es viele so machen und die Masse machts. Abgesehen davon das im Glasgranulat nur 25g /t enthalten sein dürfen. Das heißt das bei einer Flasche bereits die 7 fache Menge enthalten ist. Zudem bricht die Keramik nicht wie Glas, sondern wird beim Brechen rundlich und dadurch wird die Auslese durch einen KSP abscheider sehr erschwert.

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