Wie man eine Organisation der nächsten Generation managen könnte

Blogparade Thesen zur naechsten Gesellschaft

Mitte November findet in Berlin eine Konferenz statt zu der Frage

Wie müssen Organisationen (heute) im Kontext einer nächsten – vom Computer geprägten Gesellschaft – gedacht, entworfen, beraten und letztendlich auch gemanagt und geführt werden?

Näheres unter Thesen zur nächsten Gesellschaft. Niemand kann diese Frage abschliessend beantworten, denn die Zukunft ist immer offen. Jedoch lassen sich mögliche Szenarien aufzeigen. Tatsächlich ist die Gesellschaft und Wirtschaft schon längst von Informationstechnologie durchtränkt und geprägt, so stark, dass ein Zusammenbruch dieser Technologie gleichzeitig einen Zusammenbruch der gesellschaftlichen und politischen Systeme nach sich ziehen würde. Es sind gerade die Errungenschaften der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT), die unsere Welt derart komplex machen. „Komplex“ bedeutet hier das Ausmass der dynamischen Vernetzung und der dynamischen Abhängigkeiten.

Offensichtlich gibt es noch andere Technologien, die sicher auch zur Komplexität beitragen. Allerdings wären sie marginal, wenn sie selbst nicht auch auf den ICT basieren. Beispiel: Flugzeugtechnologie. Gewiss, man konnte um die Welt fliegen, bevor es Computer gab. Das war aber sehr teuer, und man konnte damals noch keinen koordinierten Flugplan finden, der die Anschlussflüge aufeinander abgestimmt hätte. Die grosse Anzahl der Fluzeuge, die heute gleichzeitig in der Luft sind, ist nur mithilfe von satellitengestützter ICT möglich. Werfen Sie mal einen Blick auf den flightradar oder den radarvirtuel, um einen Eindruck zu bekommen, wie dicht der Flugverkehr dank ICT ist geworden ist.

Die erhöhte Komplexität unterwirft die soziologischen Systeme einer weltweiten Mode, was zur Folge hat, dass unsere wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Systeme ihrer einmal eingeschlagenen Entwicklungslinie immer träger folgen und die Fenster, in denen ein Pfadbruch möglich wäre, immer schmäler werden. Dadurch zeigen einzelne Entscheidungen und Handlungen meistens kaum Auswirkungen, manchmal aber können sie grössere Auswirkungen auf die Umwelt haben, als ursprünglich beabsichtigt war.

Das ist das Entscheidende! Es genügt in künftigen Unternehmen und Projekten nicht mehr, einfach mal gefühlsmässig drauf los zu „zimmern“, ohne sich Rechenschaft abzulegen, welche Neben- und Fernwirkungen die durchgeführten Aktionen haben. Doch wie erreichen wir das? Gerade weil die Zukunft offen ist, müssen wir immer unter Ungewissheit entscheiden.

In Wie entscheiden Sie? habe ich daran erinnert, dass wir im Wesentlichen vier Arten von Entscheidungen kennen:

  • automatische Entscheide
  • Bauchentscheide
  • verzögerte intuitive Entscheide
  • rationale Entscheide

Da unser Bewusstsein sehr beschränkt ist (die Entwicklung zu einem „brauchbareren“ Bewusstsein dürfte noch einige Millionen Jahre in Anspruch nehmen), sind rationale Entscheide in komplexen Umgebungen nicht geeignet. Daher müssen wir uns wohl oder übel mit den aufgeschobenen intuitiven Entscheide begnügen. Das sind Entscheide, die zustande kommen, nachdem wir uns z.B. in einem Workshop intensiv mit den relevanten Fragen beschäftigt haben und unserem Gehirn dann Zeit lassen, die Fakten zu verarbeiten, indem wir ein paar Stunden nicht mehr bewusst an den Problemkreis denken, also z.B. darüber schlafen.

So machten wir das schon immer. Wahrscheinlich haben schon die Römer auf diese Art ihre Entscheidungen getroffen und ihre Systeme gemanagt. Ich glaube, das genügt heute nicht mehr. Vorbewusste intuitive Enstcheide reichen in einer derart komplexen Welt nicht mehr. Die Komplexität stammt hauptsächlich aus der Verwebung unserer gesellschaftlich-ökonomischen Strukturen mit den moderenen Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese haben wir mit unserem Verstand entwickelt. Also müssen wir auch unseren Verstand einsetzen, um damit umzugehen.

Conant und Asby zeigten schon vor fast 40 Jahren, dass jeder Regulator eines komplexen Systems ein Modell dieses Systems sein muss1. Daraus ergibt sich für künftige Organisationen ein Entscheidungs- und Managementprozess, der eine Kombination aus intuitiven und rationalen Elementen umfasst und laufend unterhalten wird:

  1. Ca. vier Stunden moderierte intensive Beschäftigung mit der aktuellen Situation und den sich daraus ergebenden Fragestellungen sowie Review der in der vergangenen Woche getroffenen Entscheide, inklusive
  2. Erarbeitung/Weiterentwicklung eines Modells der Situation und ihrer Umwelt
  3. Ca. zehn Stunden Ruhephase
  4. Schneller intuitiver Entscheid
  5. Rationales Überdenken des Entscheids z.B. durch den Moderator (nicht durch den Entscheider!) und Simulation von Fern- und Nebenwirkungen im Modell
  6. Umsetzen (oder Korrektur) des Entscheids und Restart mit Schritt 1.
Aus dem Blog von Gerald Biribauer, http://bcnewsblog.wordpress.com/
Aus dem Blog von Gerald Biribauer, http://bcnewsblog.wordpress.com/

Gerald Biribauer hat in seinem Blog ein ähnliches Szenario vorgestellt. Die nebenstehende Grafik stammt von ihm. Sein Artikel Fallbeispiel: NICHT-lineares Prozess-Management – ein nachhaltiges Zukunftsmodell trägt viel zu der Originalfrage des Kongresses bei.

Da die meisten Entscheide geringfügig und kaum der Rede wert sind, ist man versucht, obigen Prozess nur ausnahmsweise bei Anstehen wichtiger und angeblich einschneidender Entscheide zu durchlaufen. Es sind aber gerade die unwichtigen, geringfügigen Entscheide, die eine Organisation in Groove bringen. Daher ist es wichtig, dass obiger Prozess allwöchentlich durchgeführt wird. In Schritt 2 wird immer mit demselben Modell gearbeitet, dieses ergänzt und korrigiert. Während man am Anfang noch ein einfaches kleines Modell hat, wächst es mit der Zeit und wird immer „brauchbarer“.

1Contant, R.C. & Ashby, W.R. Every God Regulator of a System Must be a Model of that System. International Journal of System Science, 1970, vol. 1, No. 2, p. 89-97

4 Antworten auf „Wie man eine Organisation der nächsten Generation managen könnte“

  1. Hallo Peter, ich merke, dass Du Dich in Deinen letzten Posts vermehrt mit dem Thema Entscheidungen beschäftigst. Sehr gut, weil ich bei vielen Managern und Führungskräften in Unternehmen vermehrt 2 Phänomene beobachte.

    1. Entweder sie schieben Entscheidungen auf, weil sie glauben noch mehr Daten zu benötigen.
    2. Oder sie sitzen Entscheidungen aus.

    Ersteres ist unsinnig, weil Du ja auch in Deinem Post sinngemäß beschreibst, dass wir niemals die Situation erreichen können, ALLE Daten, die für eine Entscheidung notwendig sind, zu besitzen. Auf der einen Seite ist das rein ökonomisch nicht möglich. Auf der anderen Seite könnten wir die Frage nach Vollständigkeit niemals beantworten.

    Zweiteres geht nicht, denn auch wenn wir nicht zu entscheiden glauben, entscheiden wir, dann allerdings mit weit mehr negativen Implikationen.

    Ich bin ebenfalls gerade dabei, meine Gedanken und Ideen zum Thema Entscheidungen in Unternehmen zu sortieren und dabei auf System Dynamics als Kommunikaktionsmittel und -methode einzugehen.

    Denkerische Grüße,
    Conny

  2. Hallo Conny

    Ja, eigentlich geht es immer um Entscheidungen, bzw. Handlungen. Da aber jeder Handlung eine Entscheidung vorausgeht, kann man sich auf Entscheidungen beschränken.

    Es geht immer nur um Entscheidungen, und wenn ich z.B. über Ziele nachdenke und zum Schluss komme, dass die westliche Zielorientierung schädlich ist, dann auch nur im Hinblick auf die Frage, wie wir entscheiden. Projekt- und andere Managementmethoden sind für mich auch nur insefern interessant, als dass sie unsere Entscheidungen beeinflussen.

    Deine beiden Punkte sind für mich ein und dasselbe, denn eine Entscheidung mit dem Vorwand hinausschieben, dass man noch zu wenig Daten hat, ist eigentlich dasselbe, wie die Entscheidung aussitzen. Ich verstehe Dich doch recht, dass „aussitzen“ die Hoffnung bezeichnet, die Entscheidung werde mit der Zeit hinfällig?
    Beide Strategien zielen in der Richtung, nicht entscheiden zu wollen. Das hat natürlich nichts mit Leadership zu tun. Ich habe in meinem vorletzten Artikel „Wie entscheiden Sie?“ die Biologie der Entscheidungsschwäche erwähnt.

    Roth’s „verzögerte intuitive Entscheide“ hat nichts mit Hinausschieben anstehender Entscheide zu tun. Es ist eher eine Entscheidungstechnik. Man denkt über das Problem nach und schläft dann darüber (oder macht eine ausgiebige Wanderung oder geht Ski fahren, oder was auch immer). Ungefähr 10 Stunden später, nachdem das Vorbewusste Zeit hatte, das Zeugs zu vferarbeiten, entscheidet man dann ziemlich spontan.

    Herzliche Grüsse,
    Peter

  3. Hallo,
    zusätzlich finde ich wichtig, einen Prozessschritt zu haben, in dem geklärt wird, WER entscheidet.

    Entscheidungen von Führungskräften alleine sind suboptimal, da sie selten Experten sind (bezogen auf das Entscheidungsthema). Entscheidungen von Teams/Gruppen sind sehr von deren Zusammensetzung abhängig, auch hier sind regelmäßig zu viele Personen zu uninteressiert am oder zu laienhaft bezogen aufs Thema. Deswegen finde ich zweistufige Entscheidungen gut:

    1. Jedes Gruppenmitglied entscheidet für sich, ob es a) aktiv mit entscheiden möchte, b) die Entscheidung nur beobachten möchte oder c) weder noch.

    2. Anschließend werden Fishbowl-mäßig zwei Kreise gebildet: innerer Kreis mit den Entscheidern, der den eigentlichen Entscheidungsprozess führt, außen rum Beobachter.

    Dann kann man noch gucken, ob/wie Wechsel zwischen den Kreisen während des Prozesses möglich sind, aber das finde ich nachrangig.

    Wichtig ist, dass damit implizit ein Plenum/Kollektiv dem Entscheidungskreis Vertrauen und Vollmacht schenkt und jeder Beteiligte über seine eigene Verantwortlichkeit einmal befinden muss.

    Der Entscheiderkreis kann dann wiederum (anstelle von Abstimmungen zu einem „Konsens“) soziokratisch/holokratisch vorgehen, d.h. nicht Zustimmung, sondern Abwesendheit von Vetos in den Fokus stellen.

    Liebe Grüße
    Bernd

  4. Hallo Bernd

    Das Vorgehen ist interessant, in gewissen Kreisen aber sicher gewöhnungsbedürftig. Ich kann mir vorstellen, dass die „Spielregel“, frei entscheiden zu können, nicht an einem Entscheidungsprozess teilzunehmen, vorher sehr explizit festegelegt werden muss.

    Angenommen, ein Projektleiter ruft sein Team zusammen, um ein Problem zu diskutieren, das eine Lösung verlangt. Das Team soll also am Schluss er Sitzung eine Lösung entscheiden. Wenn nun ein Mitarbeiter sagt, er wolle nicht mitentscheiden, sondern nur beabachten, wird er bei der heute vorherrschenden Unternehmenskultur schnell als Bremser, Miesmacher und negative Stimmung Verbreitender eingestuft.

    Um diese Möglichkeit zu akzeptieren und noch – fishbowlmässig – als Struktur zu etablieren, müssen einige Leute über ihren Schatten springen, was selbstverständlich nicht schaden täte.

    Peter

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