In Wie man Kosten, Zeit und Ärger spart habe ich einige typische Denk- und Handlungsfallen aufgezählt, wie sie im Unternehmens- und Projektmanagement häufig auftauchen. Einer nennt sich Rückschaufehler und führt schnell zu der Illusion, die Kontrolle über das Geschehen zu besitzen. Wenn wir nach gehabtem Schaden die Ereignisse Revue passieren lassen, dann haben wir oft das Gefühl, dass „es uns wie Schuppen von den Augen fällt“ und es eigentlich ganz einfach gewesen wäre, hätten wir nur dann und dann auf das und das Signal geachtet. Erfahrene Regeln verallgemeinern wir gerne und erzeugen so eine Kontrollillusion. Aber wenn wir uns mitten im Schlamassel befinden, dann ist nichts einfach oder klar. Alles stürtzt auf uns ein und wir wissen nicht, worauf achten und wo wehren.
Der Artikel Hinten und Vorne nicht drauskommen… der Mathematikpädagogin und -therapeutin, Margret Schmassmann enthält eine einfache Geschichte, die zeigt, was ein Rückschaufehler ist. Erfahren hat ihn ein fünfjähriger Stefan, über den wir uns hier amüsieren können, weil wir seine Unbeholfenheit als „süss“ empfinden. Schmassmann schreibt: Stefan zog sein Lieblings-T-Shirt an, das mit der Katze vorne drauf und stellt sich erwartungsvoll vor den Spiegel. Aber die Katze ist nirgends zu sehen….Er dreht und wendet sich …. und entdeckt [die Katze] plötzlich [am Rücken]. Da er sie ja vorne haben will, zieht er … das Leibchen wieder aus, legt es mit dem Katzenbild nach oben vor sich auf den Boden und schlüpft hinein. Aber die Katze ist wieder nicht da… Er geht nun systematisch vor: Er zieht das Leichen aus, hält es … an seinen Oberkörper, legt es dann umständlich und sorgfältig auf den Boden und schlüpft schnell hinein…. Der Aufwand hat sich gelohnt…. Er hat sich ein Stück Raum-Vorstellung erarbeitet und erwartet, dass sich diese nun bei ähnlicher Gelegenheit anwenden lässt…. Diese Angelegenheit kam gleich darauf in Form einer Strumpfhose, bei der es sehr störend im Schuh ist, wenn die Fersen, statt hinten an ihrem Platz zu sein, verwurstelt vorne in Falten liegen und drücken. Er legt also die Strumpfhose so vor sich auf den Boden, dass die Rückseite sichtbar ist und die Öffnung zu ihm zeigt. Er schlüpft hinein. Die Verwirrung ist gross! Denn was für’s T-Shirt galt, gilt für die Strupfhose nicht mehr.
Da können wir schmunzeln. Klar ist es nicht dasselbe, schliesslich schlüpft man von unten in’s T-Shirt, in die Strupfhose aber von oben. Was man mit fünf doch nicht alles lernen muss! Dabei hat Stefan bloss eine „best practice“ angewendet, wie wir das auch oft tun. Sind wir zuweilen nicht gleich „süss“ wie Stefan, wenn wir in einer viel komplexeren Situation Tatsachen antreffen, die für uns genau so verwirrend sind, wie die Raumvorstellung für Stefan? Im Nachhinein sind wir immer klüger und erleichtert, dass wir beim nächsten Mal wissen, wie wir vorzugehen haben. Aber das ist eine Illusion. Beim nächsten Mal erkennen wir nicht einmal, dass sich die Regel hier nicht anwenden lässt, weil es sich um eine andere Situation handelt und handeln völlig unbeholfen. Schmassmann schreibt, dass viele Dinge nicht gelernt, sondern erfahren werden. In den meisten Situationen, die der Mensch in den letzten paar Millionen Jahren angetroffen hat, hat er durch Erfahrung gelernt. Wir haben uns durch Erfahrung Regeln zurecht gelegt und sie im Langzeitgedächtnis gespeichert. Befinden wir uns auf der regelbasierenden Ebene, können wir auf die Regeln zurück greifen. Aber für die heutigen komplexen Situationen funktioniert das nicht mehr auf diese Weise. Um diese zu meistern ist es unumgänglich auf die wissensbasierte Ebene zu gehen, die Situation zu analysieren und Lösungen neu zu erfinden, ohne im Langzeitgedächtnis zu kramen. Natürlich kann die neue Lösung Komponenten gespeicherten Wissens enthalten, ist aber niemals vorgefertigt. Weil wir immer wieder versuchen, „best practices“ anzuwenden, die in der Vergangenheit erfolgreich waren, nehmen Denklücken und mit ihnen auch Zusammenbrüche und Misserfolge in Projekten zu.
Erfahrungen, die wir in komplexen Situationen gemacht haben, müssen zuerst aufbereitet werden, bevor wir sagen können, dass wir sie gelernt haben. Die Aufbereitung ist wissensbasiert und bewusst und kann mit Hilfe von Modellen geschehen, wie z.B. Senges Archetypen1.
1z.B. William Braun. The System Archetypes. 2002