Kalabrien im November – 1. Teil

Eigentlich wollten wir während des Sommers viel Zeit an der italienischen Riviera und die strengsten Wintermonate im Süden Sri Lankas verbringen. Aber es kommt immer wieder etwas dazwischen. Im Winter 2020/21 machten uns die Corona-Massnahmen einen Strich durch die Rechnung. Und in diesem Jahr waren wir froh, als wir im Frühjahr aus Sri Lanka abreisen konnten, denn es gab täglich mehrstündige Stromunterbrüche und die Versorgungslage verschlechterte sich zusehends. Der darauffolgende Sommer war in Sri Lanka besonders heiss, kam es doch zu Volksaufständen gegen die Regierung, die für den Staatsbankrott verantwortlich gemacht wurde. Wir rechneten damit, dass sich die Lage in Sri Lanka nicht so schnell erholen wird und zogen einen Plan B aus der Tasche, den wir dort schon lange stecken hatten: ein paar Wochen oder gar Monate im wirklichen Süden Italiens zu verbringen. Damit meinen wir Kalabrien, Basilicata und Apulien. Und weil’s grad am Weg liegt, ev. auch gleich noch einen Monat Neapel. Zwar stellten wir uns stets vor, dass unsere Reise möglichst angenehm sein sollte, aber im Sommer hatten wir einfach nie Zeit. Im kommenden Winter 2022/23 hätten wir zwar gerade Zeit, aber Süditalien im Winter? Wir haben in Camilleris Geschichten um Commissario Montalbano gelesen, dass es in Sizilien kalte Winter gibt. So wiklich feucht-warm wie in Sri Lanka wird es im Winter wohl nirgends in Europa. Eine andere Frage betrifft das Transportmittel. Ich selbst fahre nicht Auto und habe nie einen Führerschein gemacht. Kann und will Barbara die ganze Strecke selber fahren? Sie hatte dann die Idee, von Genua nach Palermo wieder die Fähre zu nehmen, wie schon 2018, als wir Sizilien bereisten. Die Fahrt quer durch Sizilien nach Messina, nimmt bloss 3-4 Stunden in Anspruch. So könnten wir die lange Reise durch den langezogenen italienischen Subkontinent sparen.

Vorbereitung

Wochen vor dem Antritt der Reise, der anfangs November stattfinden sollte, bereiteten wir uns darauf vor, indem wir Youtube-Videos schauten und einschlägige Blogs lasen. Ein wichtiger Punkt unserer Vorbereitungen betraff das Gepäck, vor allem die Kleider. Ich packte viele sehr warme Wintersachen ein, nahm sie wieder heraus, packe sie wieder ein usw. Schliesslich sagte ich mir, dass ich keine Kleider benötige, die ich in der Schweiz bei Minusgraden anzog. In Süditalien gibt es mindestens Maximaltemperaturen um 10 Grad. Wenn die Sonne scheint, ist es schnell mal 20 Grad warm. Wir werden sehr viel wandern oder in Städten und Orten herumlaufen. Das gibt warm! So „kristallisierte“ sich dann ein Gepäck heraus, das Kleider für die Übergangsjahreszeiten mit Temperaturen zwischen 7 und 15 Grad beinhaltet. Ich bin gespannt, ob es passen wird.

Eine andere Vorbereitungsbaustelle betraf die Stromversorgung mit Sonnenenergie. Ursprünglich evaluierte ich einen Solargenerator, um die Stromunterbrüche in Sri Lanka abzufedern. Dann hatte ich die Idee, auch hier in Europa mit einer kleine Powerstation wenigstens die IT-Mittel aufzuladen. Ich beschaffte mir eine Goal Zero Yeti 200X mit knapp 200 Wh und ein Solarpanel Nomad 50 mit 50 Watt Ausgangsleistung. Zuhause lud ich das Teil jeden Tag auf der sonnigen Dachterrasse auf und lud in der Nacht alle meine Laptops, Tablets und Handys auf. Das funktionierte sehr zufriedenstellend, aber mir war schon klar, dass wir unterwegs nicht immer südseitsgeneigte Sonnenterrassen und freundliches Wetter haben werden.

Unabhägiger Strom mit der Powerstation

Eine weitere „Baustelle“ betrifft die Drohne. Schon lange hatte ich den Wunsch nach einer Drohne, um Fotos aus einer ungewöhnlichen Perspektive zu schiessen. Aber mit einer Drohne ist man immer mit einem Bein im Gefängnis. Nun bin ich über meinen eigenen Schatten gesprungen und kaufte das „Fly More Combo“ Pack der Mini 2 von DJI. Das Ding hat ein Abfluggewicht von 249 Gramm, liegt also in der Kategorie der Flugobjekte unter 250 Gramm. Zwar heisst das nicht, dass man damit wie mit einem Spielzeug herumfliegen darf, aber immerhin braucht es keinen Pilotenschein. Trotzdem muss ich die Flugverbotszonen auf mehrere Karten genau studieren, bevor ich zu einem Flug starte. Neben den gesetzlichen Vorschriften gibt es auch andere Hindernisse. Da ich oft in Meeresnähe bin, muss ich auch stets damit rechnen, dass mein Fluggerät den Zorn von Möwen oder anderen Raubvögel auf sich zieht. Im Winterhalbjahr kann es auch rechte Böen geben, die das Fluggerät vom Kurs abbringen könnten. Und natürlich ganz zu schweigen von Personen, die sich derart wichtig nehmen, dass sie glauben, ich würde nur ihretwegen fliegen, um sie (im Winter) im Badekostüm zu fotografieren oder sonst etwas Langweiliges wie dieses im Schilde führe. Von solchen Personen geht ebenfalls eine grosse Gefahr aus, denn sie können einem gerichtlich das Leben ganz schön versauern. Dennoch testete ich meine Neuanschaffung und registrierte sie in der Schweiz und in Italien, um die pittoresken italienischen Orte auch mal aus der Luft zu fotogafieren oder mit besonderer Perspektive in der Rubrik Fineart Beach Photography zu experimentieren.

Nördlich Messina auf Sizilien, mit der Drohne aus ca. 12 Meter Höhe aufgenommen

Überfahrt

Am 3. November 2022 fuhren wir also Richtung Genua los, den kleinen Fiat randvoll gepackt. Da Barbara glücklicherweise gerne kocht, haben wir auch viele Küchenutensilien dabei. So brauchen wir nicht jeden Tag auswärts zu essen, was die kulinarische Vielseitigkeit enorm steigert. Um 23 Uhr wird unser RoRo-Schiff (oder besser „Ro-Pax“) in Genua die Leinen lösen, ab 21 Uhr soll man auf das Schiff rollen können. Wir stellten uns darauf ein, um ca. 18 Uhr irgendwo unterwegs etwas zu essen, um danach gemütlich zum Quai zu fahren und dort den Einlass abzuwarten. Aber wie immer kam’s anders. Die meisten Restaurants öffnen frühstens um 19 oder gar 19:30 Uhr. Eines, das bereits um 18 Uhr öffnet war in Google Maps an der Stadtgrenze zu Genua angegeben. Als wir dort waren, existierte es aber nicht (mehr). Also suchten wir etwas anderes und fanden auf die Schnelle etwas, das mehr im Zentrum liegt. So mitten in der Stadt stellt sich ja auch immer das Parkproblem. Das Lokal war eine Pizzeria, die sich auf Lieferdienst eingerichtet hat. Wir setzten uns also an eines der paar schäbigen Tischchen. Wein gab’s keinen, bloss Bier. Die Pizza war ok, wenn sie nur nicht so viel von dieser industriellen Tomatensauce enthalten hätte, die palettweise in 3 Liter Büchsen herumstand. Der Vorteil war, dass wir innerhalb von 10 Minuten am Quai ankamen, an dem unsere Fähre schon bereits stand. Und gerade als wir uns in die Warteschlange eingliederten, begann es dermassen an zu regnen, wie ich es selten gesehen hatte. Etwa so musste es gewesen sein, als die Tierpärchen vor der Arche Noah Schlange standen (sicher war auch ein Schlangenpärchen in der Schlange).

Beim Verladen der Fähre nach Palermo (23 h)

Uns wurde ein Platz auf Deck A zugewiesen, in der tiefsten Bilge! Von dort musste man mit all dem Gepäck, das man für die nächsten 20 Stunden brauchte, über enge Industrietreppen hochsteigen, bis man endlich ein zivilisierteres Stockwerk erreichte, dessen Boden mit Teppichen belegt und dessen Wände mit Spiegeln verkleidet waren. Dort war auch eine Rezeption, die uns unsere Kabine nannte. Selbstverständlich haben wir noch etwas im Auto vergessen. Während Barbara mit dem Gepäck wartete, versuchte ich, unseren Wagen zu finden. Ich musste mich ein wenig orientieren, fand aber den Weg schliesslich. Einmal jedoch versuchte ich, eine Rampe hinunter zu gehen, anstatt den Weg über die Treppe zu nehmen. Da es beim Verladen so stark geregnet hat, waren die Rampen auch im Inneren des Schiffs nass. Das Wasser vermischte sich mit dem Öl der Fahrzeuge, was zu einem schmierseifenähnlichen Belag führte. Natürlich rutschte ich aus und fing statt Hämatomen bloss schwarze Schmierflecken an Kleidern und Schuhe ein.

Die Kabinen auf einem Roro-Schiff sind klein, aber funktional. Es gibt für ungefähr ein Drittel der Gäste, die auf einer solchen Fähre Platzt finden, Kabinen. Die meisten verbringen die Nacht auf irgendeinem Stuhl oder in einem der Restaurants, die ein wenig an Bahnhofrestaurants erinnern. Die Überfahrt war ruhig, das Schiff schaukelte angenehm, so dass wir gut schlafen konnten. Wir hatten uns zuhause in den diversen TV-Mediatheken ein paar Filme heruntergeladen, von denen wir anderntags profitieren konnten, denn die Ankunft war für ca. 19 Uhr geplant. 90 Minuten bevor die über 200 Meter lange Fähre anlegte, mussten sich die Passagiere in verschiedenen Ecken des Schiffs versammeln, je nachdem, in welchem Deck sich ihr Wagen befand. Nachdem die RoRo-Fähre angelegt hatte, konnte man auf Lautsprecheranweisung zum Auto gehen und ausfahren. Nach einer Nacht in Palermo fuhren wir dann nach Messina, mit einem Zwischenhalt in Cefalu.

Ankunft in Palermo – Cefalu – Messina

Zwischen Scilla & Cariddi

Wir befinden uns an der Strasse von Messina. Der griechische Geschichtsschreiber Thukydides schrieb in seiner Abhandlung „Der Peloponnesischen Krieg“ über die Strasse von Messina:

Dieser Sund ist das Meer zwischen Rhegion und Messene, wo Sizilien vom Festland den kürzesten Abstand hat. Dies ist auch die sogenannte Charybdis, durch die Odysseus durchgefahren sein soll. Die Enge, wo die Wasser weiter Meere, des Tyrrhenischen und des Sizilischen, aufeinanderstoßen und Strömungen bilden, galt mit Grund als gefährlich.

https://de.wikipedia.org/wiki/Charybdis?wprov=sfla1

„Messene“ ist das heutige Messina, wo wir uns aktuell aufh alten. „Rhegion“ heisst heute „Reggio Calabria“, das wir nächste Woche besuchen werden. Sizilien hat vom Festland den kürzesten Abstand im Capo Peloro, das vermutlich der östlichste Punkt der Insel ist. Torre Faro ist der schmucklose Ort, der sich auf dem Cap befindet.

Die Meerenge am Cap Peloro, wo Charybdis wohnt. Im Hintergrund, auf kalabrischer Seite, das Städtchen Scilla

Hier wohnt also Charybdis, ein Meeresungeheuer, angeblich unterhalb eines Felsens auf dem ein Feigenbaum steht. Sie saugt dreimal am Tag das Meerwasser ein, um es danach brüllend wieder auszustoßen. Schiffe, die in den Sog geraten, sind verloren. Als Charybdis das Schiff von Odysseus einsaugt, klammert er sich am Feigenbaum fest, bis es wieder ausgespien wird, und rudert auf den Trümmern mit den Händen davon. Ein Pfundskerl, dieser Odysseus!

Charybdis wäre heute demnach eine über 3000 Jahre alte Dame und vermutlich zahnlos, jedenfalls nicht mehr gefährlich. Deshalb wagten wir uns auch, zum Capo Peloro zu laufen, entlang der beiden Brackwasserseen und der Badehäuser und Strandrestaurants, die im Sommer sicher sehr belebt, jetzt im November hingehen geschlossen und verlassen sind.

Das Capo Peloro mit dem Strommast und dem Leuchtturm

Einen Felsen gibt es dort vorne nicht und schon gar keinen Feigenbaum. Es gibt zwar eine Festungsruine, die vielleicht auf einem felsigen Untergrund gebaut ist. Wenn darauf aber ein Feigenbaum gestanden hätte, wäre der jetzt weg. Die Festung datiere ich in’s Mittelalter. Leider finde ich nur dürftige Informationen darüber.
Das Capo selbst läuft in einem schönen breiten Sandstrand aus, auf dem es vereinzelte Palmbäumchen hat, aber keine Feigen. Auf dem Strand sieht man gegenüber das Städtchen Scilla (wo eben das Meeresungeheuer Skylla wohnt – nomen est omen), wo wir uns nächste Woche aufhalten werden. Die kalabrische Küste setzt sich gegen Norden in einer Art Tafelberg fort und verschwindet hinter dem Capo Vaticano. Weiter hinten kann man noch die Küste des Stiefels sehen, wenn es klar ist wohl bis gegen Neapel. Im Westen ragt der Stromboli am Horizont auf.

Auffallend auf dem Capo ist ein riesiger rot-weisser Hochspannungsmast, der allerdings unbelegt ist. Jenseits des Kanals, also auf kalabrischer Seite, steht das Ebenbild. Wikipedia weiss auch hierzu eine Antwort: Zwischen 1955 und 1994 trugen die beiden Masten in der Tat eine Starkstromleitung. Sie wurde 1994 durch ein Seekabel ersetzt. Der über 230 Meter hohe Mast ist ein eindrückliches Bauwerk und erinnert an den Eiffelturm. Aber natürlich gibt es keinen Plattformen und schon gar keinen Aufzug. Wer etwas an der Spitze des Masts zu tun hat, muss eine abenteuerlich Leiter hoch klettern.

Die Torsion zwischen dem Grundriss und dem Träger wurde später bei der Elbkreuzung in Deutschland übernommen

In der Strasse von Messina hat es immer viel Schiffsverkehr. An der engsten Stelle versuchen vor allem Fischerboote ihr Glück. Dabei müssen sie aufpassen, nicht zu nahe an die gewaltige Strömung zu kommen, die sogar vom Strand aus sichtbar ist. Es sieht so aus, als ob das Wasser dort koche. Ein Denkmal erinnert an ein Unglück vom 23. April 2008, als zehn Fischer um’s Leben kamen. Ich habe nicht herausgefunden, was genau passiert ist, vermute aber, dass ihnen die Strömung zwischen Skylla und Charybdis zum Verhängnis wurde. Ich beobachtete ein grösseres Frachschiff, das von Catania nach Genua unterwegs war und die Meerenge passierte. Das Schiff wurde von der Strömung förmlich mitgerissen. Jedenfalls war es bedeutend schneller, als am Eingang zur Meeresenge. Gegen Süden konnte ich den regen Fährverkehr sehen, der zwischen Messina und dem kalabrischen Villa San Giovanni herrscht. Eine Fährfahrt dauert 20 Minuten. Ich wage zu bezweifeln, dass der Fährbetrieb in den nächsten Jahren durch eine Brücke abgelöst wird, denn das würde fest etablierte wirtschaftliche Strukturen durcheinander bringen.

Eine Fähre kreuzt die Strasse von Messina

Messina ist eine interessante und moderne Stadt, wenn auch nicht so bunt und romantisch verzweigt wie eine vergleichbare Stadt im italienischen Norden. Gemäss seiner Lage erlebte Messina unter immer wieder wechselnden Herrschern Blütezeiten und Nöte. 1908 wurde fast die ganze Stadt durch ein Erdbeben zerstört, was sich in der Architektur äussert, die keine historische Tiefe aufweisen kann. Messina wurde bereits im 800 Jahre vor Chr. durch griechische Siedler begründet, kam dann zu Karthago und durch die Punischen Kriege zu Rom. Es folgten arabische und normannische Regimes. Heute hat Messina knapp 300’000 Einwohner. Wir haben nicht herausgefunden, wie man sie nennt: Messianer, Messiasse oder Messis?

Im Zentrum steht der Dom oder die Kathedrale. Zwar steht sie schon seit 1197 dort, wurde aber in den letzten 800 Jahren immer wieder durch Kriege, Brände und Erdbeben zerstört und dann mehr oder weniger nach dem originalen Vorbild aufgebaut. 1933 wurde ein freistehender Glockenturm errichtet, der

die größte und komplexeste mechanische Uhr der Welt [enthält]. Sie ist ein Gebilde über mehrere Etagen (mit astronomischer Uhr an der Seite), eine Bilderschau, ein Musik. Und sie ist ein Schau-Spektakel, das mittags um 12 Uhr für 12 Minuten erfreut. Während die Glocken läuten, brüllt der 4 Meter grosse Löwe, der über 2 Meter grosse Hahn kräht, Statuen schlagen die Stunde und mechanische Figuren spielen biblische und allegorische Szenen nach. Es ist ein Spektakel, das kein Tourist verpassen sollte.

(aus verschiedenen Touristeninformationen im Web)
Die Zuschauer sind überwältigt – zumindest ein paar

Zu diesem Spektakel ertönt Schuberts Ave Maria, während der Platz vor der Kathedrale voller Touristen ist, die überwältigt sind und am Schluss spontan applaudieren. Immer! Täglich! Aber ohne elektronische Audioeinrichtungen geht nix! Nach der Vorstellung erstieg ich den Kirchturm, vorbei an den Figuren und Maschinen des Glockwerks und entlang der Drahtseile, die die einzelnen Teilwerke verbinden. Oben hat man aus gut 40 Metern einen herrlichen Drohnenblick auf Messina und den Kirchplatz.

Nach dem Mittagsspektakel hat sich der Kirchplatz geleert

Scilla

Nach fünf Tagen Messina, am 10. November, benutzten auch wir die Fähre auf’s italienische Festland. Sie ist ein wenig grösser als die Fähre Meilen-Horgen auf dem Zürichsee und fährt alle 40 Minuten. Die Auffahrt ist einfach und für italienische Begriffe unkompliziert. Lediglich beim Ticketschalter gibt’s ein wenig zu reden, aber dank Barbaras Verhandlungsgeschick schafften wir auch diese Hürde. Nachdem wir auf der Fähre unseren Platz gefunden hatten, sahen wir das Schild, dass man sich nicht auf dem Autodeck aufhalten und nicht im Auto sitzen bleiben darf. Alle Passagiere müssten (für die 20 Minuten Überfahrt) in’s Oberdeck gehen. Selbstverständlich folgten wir den Anweisungen, fragten uns aber, wie denn die Ausfahrt funktioniert, wenn niemand im Auto sitzt. Dann stellten wir fest, dass es einige nicht so eng sahen und auf dem Autodeck herumstanden und diskutierten. Wir gingen dann beim Herannahen des Anlegeortes Villa San Giovanni auch wieder nach unten in unser Auto. Alle Autos in den vordesten Reihen waren besetzt und bereit zur Ausfahrt. Nachdem die Rampe unten war, durften zuerst die Passagiere aussteigen, die ohne Auto reisten.

Mit dieser Fähre setzten wir über die Strasse von Messina nach Kalabrien

Unser BnB ist nicht ganz in Scilla. Vom Ankunftsterminal in Villa San Giovanni waren es aber bloss eine Viertelstunde dauernde Autofahrt. Als Erstes fiel uns auf, wie viel besser hier die Autobahnen sind. In Sizilien sind sie verwahrlost, enthalten Schlaglöcher und Risse und sind teilweise übersäht mit Geröll und Müll. Hier in Kalabrien ist die Autobahn wie sie sein sollten: gepflegt, unterhalten und sauber. Es dauerte eine Weile, bis wir das Haus fanden und nur mit Hilfe eines regen Whatsapp-Dialogs mit dem Vermieter gelang. Als ich ihn bat, doch schnell selber vor Ort zu kommen, antwortete er, er sei in Milano. Das Haus befindet sich 20-30 Meter steil unterhalb der Strasse, direkt an einer Felsküste. Der Auto-Parkplatz war etwa in der Mitte. Wir musste also all unser Gepäck eine lange und unpraktische Treppe hinuter (und bei Abreise) wieder hinauf schleppen. Die Wohnung war zweckmässig und für den Sommer eingerichtet. Der Blick auf die Strasse von Messina und hinüber zum Capo Peloro einerseits und zum Felsen von Scilla andererseits ist fantastisch. Laufend fahren grosse Schiffe vor der Wohnung vorbei, u.a. auch hell beleuchtete Kreuzfahrtschiffe.

Der Ausblick vom BnB nahe Scilla war wirklich einmalig. Links der Blick von der Terrasse zum Felsen von Scilla. Die Schiffe fuhren einem quasi vor der Nase vorbei. Rechts ein schmuckes Kreuzfahrtschiff abends um 19 Uhr, nachdem es die Strasse von Messina verlassen hat und jetzt backbord Richtung Genua abdreht.

Scilla ist ein sehr einladendes Dörfchen. Vorgelagert ist ein 60-70 Meter hoher Felsen, auf dem sich eine Festung und ein kleiner Leuchtturm befindet. Dennoch wird der Leuchtturm in Seekarten mit einer Höhe von 73 Metern angegeben. Das Dorf ist an einer Steilküste gebaut, d.h. von den untersten Häusern am Strand bis zu den obersten sind gut und gern 100 Meter Höhendifferenz. Eine Rippe zwischen dem Fels und dem Dorf zerteilt dieses zusätzlich in zwei Teile. Von Villa San Giovanni herkommend befindet sich auf Meereshöhe ein schöner Badestrand, an dem tatsächlich noch ein paar unerschrockene sonnenbadeten und sogar schwammen. Das Wasser musste so um 20 Grad herum gehabt haben.

Eigenlich wollte wir im Restaurant „Scilla & Cariddi“ („Cariddi“ steht für „Charybdis“) etwas essen, bevor wir das BnB beziehen. Sie wollten aber nicht für zwei Personen die Küche öffnen. Also fuhren wir nach Scilla hinein und parkten gleich vor einem Strandrestaurant, in welchem wir wunderbare Fischmenus fanden und der illustren Männerrunde neben uns zuhörten. Stets hatten wir unser vollbepacktes Auto im Blick. Unter dem Fels verläuft dem Meer entlang eine Galerie zum Hafen. Dort gibt es auch ein Hafenquartier, das einen ganz anderen Charakter hat, als das Badestrandquartier, in dem sich auch der Bahnhof befindet. Das Hafenquartier alleine hat uns einen Tagesausflug geboten. An einem anderen Tag besichtigten wir die Festung, zu der wir für je 3 Euro Zugang erhielten.

Links: Das „Scilla & Cariddi“ mochte nicht für zwei Personen kochen.
Mitte: Diese Rippe teilt Scilla. Im Hintergrund die vorgelagerte Festung, daneben die Kirche.
Rechts: Die Kirche im Vordergrund, rechts unten das Strandquartier, links im Schatten das

Hafenquartier, im Hintergrund der Dorfteil mit dem Dorfplatz und dem Stadthaus.

Nachdem wir am Ankunftstag gegessen hatten, wollte wir noch einen Einkauf machen. Tatsächlich gibt es einen Supermercato, aber dieser befindet sich ganz oben im Dorf. Wir fuhren also über viele Spitzkehren zum Dorfplatz, als befänden wir uns auf einer Passstrasse. Der Dorfplatz hat die Form einer schönen Aussichtsterrasse, mit Blick auf die Strasse von Messina. Am Samstag befindet sich auf diesem Platz ein Wochenmarkt. Gegen den Berg hin ist der Platz durch den Palazzo del Comune abgeschlossen. Hier parkten wir und mussten bis zum Supermercato noch ein ziemliches Stück zu Fuss laufen. Was uns in Scilla, aber auch in allen anderen Orten aufgefallen ist: hier im Süden ist die Architektur nicht so farbig und dekorativ wie im Norden. Der für den Alpennordseitler typische italienische Baustil der romatischen Dörfer, wie sie z.B. Eichendorffs Taugenichts antrifft (zumindest in der Fantasie des Lesers), gibt es im Süden nicht. Hier unten sind die Häuser grau und praktisch-kubisch, teils noch unverputzt oder gar unvollendet, wenn nicht schon verfallen.

R.C. und G.T. – zwei Gegensätze

Von Scilla aus unternahmen wir Touren, z.B. nach Reggio Calabria, kurz R.C. genannt. Sie ist mit fast 200’000 Einwohner die Hauptstadt der Provinz. Bis 1970 war R.C. auch Hauptstadt Kalabriens, musste aber diese Rolle an das viel klenere Catanzaro abtreten. Die Stadt hat wirklich Charme und ist ein Tagesausflug wert. Entlang der eleganten und grossen Strandpromenade gibt es immer wieder Kunst, wie z.B. die riesigen Figuren von Rabarama oder die Drahtsäulen von Tresoldi. Wie immer in einer Stadt sind unsere Ziele völlig nebensächlich und geben bloss die Richtungen für unsere Exkursionen vor. Z.B. suchten wir ein Streetfoodfestival. Dazu mussten wir viele Kilometer durch die Stadt streifen und bekamen viel davon mit. Dass das Festival schon vorüber war oder noch gar nicht angefangen hat, als wir dort angekommen sind, hat uns nicht gestört. Schliesslich geht es immer darum, etwas von der jeweiligen Stadt zu sehen. In R.C. gibt es auch eine schöne Einkaufsmeile mit all den bekannten Markennamen. Die Strasse ist belebt und bietet ein buntes, geschäftiges Treiben. Bei der Suche nach einem Restaurant haben wir ständig dasselbe Problem. Jetzt im Winterhalbjahr sind viele Lokale geschlossen und die wenigen, die noch offen sind, machen entweder ab 14.30 Uhr Pause oder öffnen erst ab 19 Uhr. Wenn wir uns also bis etwa 13:30 Uhr im Ort umsehen und dann gemütlich einen Apero geniessen, kann es vorkommen, dass wir mit dem Lunch zwischen Stuhl und Bänke fallen.

Einmal fuhren wir zum Aussichtspunkt „Le Tre Croci“, wo auf einer Anhöhe eben drei grosse weisse Steinkreuze stehen. Der Blick auf die Strasse von Messina im Westen und den Containerhafen von Gioia Tauro im Osten ist atemberaubend. Hinter den Kreuzen geht es ungefähr 500 Meter steil zum Städtchen Palmi hinunter, das am Meer liegt, was einen Blick vermittelt, als würde ich ddas Dorf mit der Drohne überfliegen. Die Sage geht, dass dort oben ein Einsiedler hauste und vom Teufel versucht worden sei. Der Einsiedler hat aber den teuflischen Handel durchschaut, worauf Luzifer vor Wut als Drachen über’s Meer gesegelt und darin versunken sei, was die Entstehung des Strombolis erkläre.

An einem anderen Tag fuhren wir nach Gioia Tauro, was ich mit „glücklicher Stier“ übersetze. Der Ort ist bekannt für seinen internationalen Containerhafen, der 1970 erbaut wurde, um Arbeitsplätze in der Region zu schaffen. Gemäss Wikipedia wurde der Hafen jedoch von der Mafia unterwandert und als Drogen- und Waffenumschalgplatz missbraucht (siehe hier). Ich weiss nicht, ob es da einen Zusammenhang gibt, aber der Ort macht einen Touristen alles andere als glücklich. Es ist eine bedrückte Stimmung zu spüren. Die Stadt macht grösstenteils einen verwahrlosten und ungepflegten Eindruck. Manchmal versperren Müllberge auf dem Gehsteig den Weg. In manchen Strassen und Quartieren war es mir nicht wohl, mit dem Fotoapparat und dem Handy in der Hand herumzulaufen. Als wir wieder beim Auto waren, gaben wir der Stadt noch eine kurze Chance und liefen ein paar hundert Meter weiter, in der Hoffnung einen Laden und/oder eine Restaurant zu finden, das geöffnet hat. Die Stadt hat die Chance jedoch nicht wahrnehmen wollen. Na dann, nichts wie weg!

Hier geht’s weiter

Eine Antwort auf „Kalabrien im November – 1. Teil“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.