Apulien im Dezember II

Dies ist die Fortsetzung des Artikels Apulien im Dezember I.

Unterwegs

Nachdem Pia zu uns gestossen war, machten wir uns auf nach Matera in der Basilikata. Die Grenze zwischen Apulien und der Basilikata verläuft aber so nahe an Matera, dass wir nicht guten Gewissens behaupten können, die Basilikata zu kennen. Auf dem Weg nach Matera wollten wir Ostuni, Martina Franca, Cisternino, Locorotondo und Alberobello besuchen, was sich aber als zu ehrgeizig herausstellte. Wir haben so viele Orte gesehen, dass ich schon gar nicht mehr weiss, wo ich überall war. Alle sind so liebenswürdige und pittoreske Städtchen, dass man den Finger nicht mehr vom Auslöseknopf des Fotoapparats nehmen kann. Aber sie gleichen sich dennoch sehr. Hätten wir alle 5 Orte besuchen wollen, dann hätten wir pro Städtchen kaum eine Stunde Zeit gehabt und wie der Rasende Roland durch sie hindurch „fliegen“ müssen. Ostuni entpuppte sich bei der Annäherung als weisse Stadt auf einer Anhöhe. Die Innenstadt ist ein Gewirr von Gassen und Treppen zwischen den weiss gekalkten Häusern. Wie alle Orte hier ist auch Ostuni sehr alt und war schon in der Steinzeit bewohnt, aus der überall Spuren gefunden wurden, die jetzt stolz in archäologischen Museen ausgestellt sind.

Im Dezember blühen gelbe Blumen am Strassenrand – Strassen sind oft schnurgerade

Sehr viel profitierten wir von unseren Fahrten über Nebenstrassen und Feldwegen. Wir konnten so einen Blick in Apuliens Landschaft werfen. Am auffälligsten war, dass ein guter Teil des Olivenbaumbestandes abgestorben ist. Pia hat herausgefunden, dass es sich um eine bakterielle Krankheit handelt, die viele Olivenkulturen dahin raft. Der Schaden beläuft sich auf 1.2 Milliarden Euro und viele Olivenbauern, die jahrhunderte alte Kulturen bewirtschafteten, stehen am Rand der Armut. Ein Mittel gegen das Bakterium, das auch Zitrusbäume und Reben befällt, gibt es nicht. Eine EU-Kommission hat nördlich des Salents eine Pufferzone „angeordnet“, in der alle – auch gesunde – Olivenbäume gerodet werden müsse. Aber es ist auch hier so: während die einen dem italienischen Staat vorwerfen, zu spät und zu schwach gehandelt zu haben, behaupten andere, dass es dieses Bakterium gar nicht gebe und alles bloss ein Vorwand von Spekulanten und Lobbyisten sei. Verschwörungstheorien auch hier! Derweil kann sich das Bakterium mit Hilfe einer Zikade weiter ausbreiten und es ist wohl bloss eine Frage der Zeit, bis es auch in Ligurien ankommt.

Tote Olivenbäume weit und breit

Im übrigen gefällt uns Apulien dennoch besser als Kalabrien (siehe meine Blogbeiträge Kalabrien im November). Eine Begründung ist schwierig. Wir finden, dass sich Apulien mehr Mühe gibt, aus dem Land und der Kultur etwas zu machen. Zwar gibt es auch in Kalabrien schmucke Orte, wie Scilla und Tropea und auch in Apulien stehen Kehrrichtssäcke an Autobahnplanken, wo sie von verantwortungslosen Menschen abgestellt wurden. Aber in Kalabrien nimmt man es halt als (gott-)gegeben hin, dass im Winter keine Touristen da sind. Also muss man auch nichts tun und kann Winterschlaf halten, während in Apulien auch im Winter Standortförderung betrieben wird. Vielleicht macht sich in Klabrien auch die Anwesenheit der Mafia bemerkbar, die wie ein schwerer Dunst über der Region liegt.

Alberobello


Speziell in Apulien sind die Trulli. Das waren ursprünglich Unterstände für Hirten, wie es sie auch in Ligurien gibt. In Apulien sind sie rund und haben ein spitzes, kegelförmiges Dach. Das ganze Haus ist aus losen Steinen ausgebaut, wie eine Trockenmauer. Man sieht sie überall zwischen den (teilweise verdorrten) Olivenbaum- und Orangenplantagen. Oft sind sie eingefallen und nur noch ein Haufen Steine. In einer Zeit, als die königlichen Steuern schwer auf den Schultern der Bauern lasteten, gingen diese dazu über, Trulli für sich und ihre Familien zu bauen. Kurz vor einer königlichen Inspektion wurde das Trullo einfach abgebaut und nach der Inspektion wieder aufgebaut.
Im Städtchen Alberobello gibt es ein ganzes Quartier aus Trulli. Das macht Alberobello einzigartig. Es sind wohl hundert oder zweihundert Trulli, dicht gedrängt auf einem abschüssigen Gelände. Alle sind weiss gekalkt und natürlich fest verbaut, also mit Zement und Mörtel. Sie dienen vornehmlich als Ladenlokale oder werden als BnB vermietet. Hier sah ich zum erstenmal nach langem wieder Massen von Touristen. Wo kommen die alle her, bzw. wo gehen sie hin? Als wir dort waren, schien die Sonne und es war recht warm. Alle Lokale hatten geöffnet und Tische und Stühle weit auf den Platz hinaus gestellt, wie sonstwo im Frühjahr. Jeder Platz war besetzt! Ich freue mich für die Wirte und ihr Personal. Der Nachteil war, dass ich kein einziges Trullo fotografieren konnte, ohne dass Touristen im Bild waren.

Die Trulli von Alberobello

Matera

Gegen Abend kamen wir endlich in unserem Quartier in der Nähe von Matera an. Es handelt sich um eine sogenannte Masseria. Die Masserien gehören ebenso zum apulischen Landschaftsbild wie die Trulli. Früher waren es monumentale Gutshöfe, in denen Öl, Wein, Käse und andere Luxusgüter produziert wurden, die auch Pferde für die Jagd hatten und nicht selten Sommerresidenzen des Landadels waren. Es sind Gebäudekomplexe mit Türmchen und Bogengängen, einem Sodbrunnen, Stallungen, Getreidespeichern und grosszügigen Wohnungen. Heute sieht man verfallene Masserien ebenso, wie aufwändig zu Luxushotels oder BnB renovierte Masserien. Wir hatten schon mitten in der Stadt Tarent eine Masserie besucht, die jetzt, saniert und renoviert, als Veranstaltungs- und Eventlokation verwendet wird. Bei Matera hatten wir in einer sehr schönen Masseria je ein Zimmer. Von der Rezeption zu den Zimmern musste man mit dem PKW fahren. Die Unterkunft war in der Tat edel! Die Masseria ist ungefähr 10 Km von Matera entfernt und auf dem Weg in’s Städtchen kann man abbiegen, um auf eine Anhöhe hinauf zu fahren, von der man eine atemberaubende Aussicht auf die „Skyline“ von Matera hat. Diese Anhöhe und das Städtchen sind durch eine canyonartige Schlucht getrennt. Weite Teile Apuliens besteht aus Kalkstein, ähnlich wie der Jura. Wasser löst den Kalk auf frisst sich rein, bildet unterirdische Wasserläufe und Höhlen, die einstürzen und sogenannte Dolinen bilden. Das sind Einsturztrichter, die mehr oder weniger steile Ränder haben können. Einige Dolinen sind nur liebliche, grasbewachsene Wannen, andere sehen fast aus wie Vulkankrater. Diese dolinendurchsäte Karstlandschaft wird in Apulien „Murge“ genannt und Matera liegt genau am steilen Rand der Murgia Timone. Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein Wanderweg angelegt, dessen Aussichtsplattformen einen unverbauten Blick auf die Höhlenwohnungen Materas bietet.

Die Murgia Timone, von Matera aus gesehen

Matera selber ist einzigartig! Auf der Seite zur Murgia hin sieht das Dorf aus, als bestünde es aus lauter leerstehenden und verlassenen Häuser. Das kommt daher, dass die Fassaden bloss Zierde waren. Dahinter befinden sich in den Tuffstein gemeisselte Höhlen, die Sasssi di Matera, in denen die Menschen mitsamt ihren Nutztieren, wie Esel und Hühner, wohnten. Es gab einen grossen und hohen Wohnraum, in dem auch das Bett stand und eine kleine Kochnische mit Rauchabzug, die als Küche diente. Zur Verrichtung der Notdurft gab es im Wohnraum ein Plumpsklo mit darunter gemeisselter Kanalisation in den zur Murge hin entwässerten Bach. Zwar war hinter dem Wohnraum noch ein zweiter, kleinerer Raum in den Stein gemeisselt, aber nicht etwa zu irgend welchen etwas intimeren Dinge, sondern als Vorratskammer und Stall für den Esel. Und wenn ich in der Vergangenheit schreibe: was meinen Sie, in welchem Zeitalter das so war? Tatsächlich wurden erst in den 1960er Jahren die letzten Höhlenbewohner in moderne Wohnblocks umgesiedelt! Bis dahin galt Matera als Schandfleck Italiens, weil dort Menschen ohne fliessendes Wasser und ohne Strom in katastrophalen hygienischen Zuständen lebten. Heute sind die Sassis UNESCO Weltkulturerbe. Die skurrile Kulisse, welche die Sassis bilden, lockt mittlerweile unzählige Touristen und Filmemacher an. Im James Bond Film „No Time to die“ gibt es einige Szenen, die in Matera spielen. Viele ehemalige Sassis sind heute zu BnB umgewandelt. Ein Sassi in ursprünglichem Zustand ist als eine Art Museum erhalten geblieben. Es hat mich unerhört beeindruckt, in diesem Raum zu stehen und zu wissen, dass darin unlängst eine Familie lebte.

Ganz unten der Rand der Murgia, in der Mitte die Sassis und oben die Wohnblöcke, in die die Sassi-
Bewohner umgesiedelt wurden

Lecce

Nach Matera zogen wir weiter nach Lecce, das seiner barocken Architektur wegen auch „Florenz des Südens“ genannt wird. Die Stadt hat gegen 100’000 Einwohner und ist piekfein, sauber, edel, umtriebig, einfach toll! Es ist wunderbar, in der Adventszeit abends durch Lecces Gassen zu ziehen und ab und zu vor einer der unzähligen Bars einen Aperitif zu haben, um den Menschen zuzusehen, die an der Bar vorbeiziehen. Auf dem Hauptplatz gibt es einen riesigen Lichterbaum und darum herum Stände eines Weihnachtsmarktes. Gleich daneben befindet sich ein ausgegrabenes grosses Amphitheater, mittten in der Altstadt. Die Einfallsstrassen laufen durch Torbögen, den Portas. Leider ist es, wie in allen anderen pittoresken Dörfchen mit einem Gewirr aus schmalen Gässchen, nicht möglich, die Citta Vecchia autofrei zu halten. Italiener laufen nicht! Stattdessen müssen die flanierenden Touristen immer wieder ausweichen, wenn ein PKW daherkommt, der kaum schmaler ist als das Gässchen, durch welches er sich zwängt.

In Lecce hielten wir uns insgesamt knapp eine Woche auf. Fast in jeder Häuserecke befindet sich eine Boutique, ein Gewürzladen, ein Café, eine Pasticceria, eine Bar oder ein Restaurant, im Gegensatz zu den den Altstädten von Tropea oder Gallipoli. Für mich ist es jeweils ein Zeichen von Stolz auf die eigene Stadt, wenn diese belebt ist. Eine Stadt, in der nichts läuft oder höchstens immer gerade ein Gottesdienst in einer der zahlreichen Kirchen stattfindet, ist eine traurige Stadt. Sie schämt sich ihrer und hält es nicht für nötig, die Menschen zusammenzubringen und ihnen Lebensfreude zu geben. Das ist nicht ein Vorwurf an die Stadtverwaltung, sondern an alle Einwohner der Stadt. Sie machen die Kultur einer Stadt aus.

Bari und Umgebung

Nach Lecce gingen wir wieder zurück nach Brindisi, um Pia zu verabschieden und unser Gepäck zu holen, das wir dort deponiert hatten. Danach fuhren wir via Monopoli nach Bari, das mit seinen über 300’000 Einwohnern die Hauptstadt der Region Apulien ist. Auch Bari hat eine malerische Altstadt, die jedoch anders organisiert ist, als diejenigen der anderen Orte. Zwar fand ich um unser BnB herum, das sich im Zentrum der Citta Veccia befand, kein Café und wenig lebendiges, dafür in 50 Meter Entfernung eine griechische Ausgrabungsstätte mit 10 korinthischen Säulen. Das ca. 150 Quadratmeter grosse Feld ist umgeben von Wohnhäusern. Eine Frau hat gerade die Wäsche von Ihrem Balkon geholt, von wo aus sie einen direkten Ausblick auf die griechischen Säulen hat. Das unerem BnB nächstgelegene Café war samstagabends um 19 Uhr geschlossen. An der Eingangstür standen die Öffnungszeiten angeschrieben: 8 – 21 Uhr. Nanu? Wenigstens hatte es anderntags frühmorgens geöffnet. Erst am zweiten Tag fanden wir eine Ecke in der Altstadt, in welcher viel los ist. Zuerst kamen wir an Ständen vorbei, die die Einwohner einfach vor ihrer Haustür aufgestellt haben und die Orecchiette, die sie selbst herstellten, feil hielten. Klar, wir Schweizer würden denen Müscheli sagen, aber was soll’s? Dann passierten wir Stände mit wunderbar frischem Gemüse und Früchte (ja, im Süden gibt es auch im Dezember noch Kaki!). Schliesslich kamen wir in eine Gasse voller Restaurants, die in einen Kirchplatz mündete, auf dem sich einige Bars aneinander reihen.

In einer Gasse werden hausgemachte Orcchiette verkauft

Verlässt man im Süden die Citta Vecchia, kommt man in ein Quartier, das in Google Maps mit „Murat“ bezeichnet ist. 1813 erbaute Joachim Murat, der König von Neapel, dem Bari gehörte, die Neustadt, bevor er zwei Jahre später im kalabrischen Pizzo hingerichtet wurde (siehe meinen Beitrag „Kalabrien im November“). In Murat befindet sich die in Grossstädten obligate Flanier- und Einkaufsstrasse Via Sparano da Bari, eine echte Fussgängerzone, wie wir sie in Tarent schon angetroffen haben. Die Strasse war an diesem sonnigen Sonntagnachmittag, 18. Dezember, gerammelt voll mit Leuten. Alle 100 Meter hat ein Café Tischchen und Stühle weit in die Strasse heraus gestellt und alle waren gut besetzt. Was gibt es schöneres, als am vierten Advent an der warmen Sonne in einer Fussgängerzone zu sitzen und einen Kaffee zu geniessen? (leider ohne Sahnehäubchen – die Italiener kennen das nicht; allenfalls ein Milchschaumhäubchen, aber einen Cappuccino am Nachmittag ist hier ebenso verpönt, wie auf dem Viktualienmarkt in München ein Weisswürstel am Nachmittag).

Die Einkaufsstrasse in Bari

Von Bari aus machten wir einen Ausflug nach Altamura, der Brotstadt. Dort soll es das beste Brot Italiens geben. In der Tat ist das Brot sowohl in Kalabrien als auch in Apulien hervorragend. Es ist ein gut gebackenes und gesalzenes, weisses Brot, manchmal (von Kurkuma oder von Maismehl?) etwas gelblich gefärbt. Die Laiber sind meist ein Kilo schwer. Einige Brote sind mit Sauerteig gebacken und daher etwas säuerlich, andere sind wohl nur von Hefe getrieben.

Die Murgia von Altamura

In Altamura besuchten wir weder den alten Mann noch den Dinosauriersteinbruch. Dafür fuhren wir zur ca. 6 Km nordwestlich der Stadt gelegenen Pulo di Altamura. Das ist eine Doline auf der Murge-Hochebene. Es ist die größte Doline in dieser Region und ist fast 100 Meter tief, bei einem Durchmesser von einem knappen Kilometer. Vom Parkplatz aus sahen wir staunend in das Loch hinunter. Der Dolinenboden war von der schon hochstehenden Sonne teilweise beleuchtet. Auf einer Wiese entdeckten wir ein Rudel Grosstiere, konnten sie aber nicht identifizieren. Waren es Säue, Büffel oder Bären? Auf einem Wanderweg fand ich eine Losung, die ich fotografierte und einem befreudeten Jäger schickte. Er bestätigte mir, was ich zuhause durch zoomen meiner Fotos auch feststellte: es war ein Rudel Wildschweine. Ein Keiler mit einigen Bachen und Frischlingen vom letzten Frühjahr. In und um die Gigadoline verlaufen einige Wanderwege, von easy bis hard. Aber beim Anblick des Wildschweinerudels hatte ich keine Lust, in den Kessel hinabzusteigen.

Fazit

Das gibt mir die Gelegenheit, ein Fazit unserer Reise zu ziehen. Ein Ort ist für mich ein lebendiges System mit eigenen Charakter. Diesen Charakter spüre ich schon, wenn ich in den Ort hinein komme. Ich möchte dann den Charakter des Ortes mit allen Sinnen „leben“, d.h. ihn degustieren, wie ich einen Wein degustiere: schauen, riechen, schmecken/hören, spüren. Sehenswürdigkeiten sind für mich zweitrangig und weniger interessant. Ich frage nicht, was man in einem Ort sehen kann. Vielmehr interessiert mich die Natur in und um den Ort. Ich will durch den Ortskern schlendern, den Menschen in’s Gesicht schauen und sie anlächeln. Lächeln sie zurück? Ich will beobachten, wie die Menschen miteinander umgehen, will ihre Stimmen hören und sehen, wie der Metzger das Restaurant nebenan beliefert. Ich will sehen, ob die Menschen in Cafés und Bars gemütlich zusammensitzen können, ob es Theater und Strassenmusikanten gibt. Ich will die Streetarts des Ortes sehen und auf mich wirken lassen. Gerne gehe ich jeweils zu der Universität und betrete die Gebäude. Am liebsten studiere ich die Aushänge und die aktuellen Vorlesungsverzeichnisse. Ich frage, wie die Strassenreinigung und Kehrrichtentsorgung funktioniert. Sind hauptsächlich Männer oder Frauen dafür eingesetzt? Welche Gewerbe herrschen vor? Wie sehen die Läden und Werkstätten aus? Wie sind die Supermärkte verteilt und organisiert? Welchen Stellenwert hat der Verkehr und wie bewegen sich die Verkehrsflüsse durch die Stadt? Ich kann nicht alles aufzählen, was den Charakter eines Ortes ausmacht und worauf ich achte. Es ist immer ein Gesamteindruck, den ich mir mache. DAS ist, was mich an einem Ort interessiert! Touristische Sehenswürdigkeiten dienen mir beim Herumschlendern durch einen Ort als Ziel, um nicht einfach im Kreis herum zu laufen.

Streetart (in Napoli)

Eine andere Dimension ist die Architektur eines Ortes. Damit meine ich nicht in erster Linie die Architektur von sakralen Gebäuden oder von eizenlenen Villen und Palästen. Mich interessiert „der Städtebau“ an sich. Sind die Strassen und Gassen eng und verschlungen oder gibt es Paradestrassen und -plätze? Gibt es Fussgängerzonen? Gibt es spezielle Viertel für Banken, Metallwaren, Kleider und Lebensmittel oder sind alle Branchen durcheinander gewürfelt? Wie manifestiert sich die Macht in der Stadtarchitektur? Wie sieht das Stadthaus aus und wo sind die Ämter untergebracht?

Beim schnellen Besuchen vieler Orte, wie wir es diesmal machten, blieb oft nicht genügend Zeit zum „Spüren“ und „Leben“ eines Ortes. Wahrscheinlich war unser ursprüngliches Konzept „Zwölf Städte in zwölf Monaten“ schon richtig. Um eine Stadt wirklich zu spüren, muss man mindestens einen Monat darin leben. Dazu gehört eben durchaus auch, dass man ab und zu einen „Herumhänge-Tag“ macht und höchstens unrasiert in den Supermarkt um die Ecke einkaufen geht.

Süditalien lässt sich im Winter ganz gut bereisen. Die Temperaturen bewegen sich zwischen 10 und 18 Grad, d.h. es ist etwa so, wie in den Übergangsjahreszeiten auf der Alpennordseite. Oft habe ich im Verlauf des Tages zu warm gehabt und Halstuch und Jacke ausgezogen. Wenn die Sonne scheint, bin ich auch im Dezember oft im T-Shirt herum gelaufen. In Italien ist es abends drinnen jedoch oft frisch. Die dicken Mauern kühlen die Räume aus und die Wärme von eventuellen Heizungen steigt in den hohen Räumen in unerreichbare Gefielde. In Kalabrien war es oft nicht möglich, die Räume genügend warm zu bekommen. Dann tat eine Bettflasche wunderbare Dienste. Die BnB in Apulien waren meist besser beheizbar. Sehr verbreitet ist das Heizen mit der Klimaanlage. Man stellt sie einfach auf eine höhere Temperatur als die aktuelle Raumtemperatur. Aber effizient ist das wohl nicht und wenig nachhaltig. Stellt man die Klimaanlage ab, fällt die Temperatur innerhalb Minuten wieder auf das ursprüngliche Niveau, denn eine umfassende Isolierung mit 20 cm dicken Schaummassen, ist hier meist unbekannt. Auch gibt es meist bloss einmal verglaste Fenster, die mit einem Spielzeugrahmen eingefasst sind. Gut isolierende Fenster sind noch selten, aber im Kommen.
Möglicherweise hat es in den BnB auch zu wenig oder zu dünne Bettdecken. Wir hatten Glück und fanden stets genügend Decken, bzw. hatten gerade genug, um nicht ernsthaft zu frieren. Aber die meisten BnB sind hauptsächlich für den Sommer eingerichtet und so kann es BnB geben, denen winterfeste Ausrüstung fehlt. A propos „Ausrüstung“: es gibt BnB, die haben einfach alles und man findet es auch. Benötigen Sie eine Schnur, einen Bostich oder ein Schneidebrett? Wir waren in BnB, die alles hatten. Andererseits gibt es BnB, in denen Sie nicht einmal ein Schneidebrett finden. Deshalb haben wir viele Küchengegenstände selber mitgenommen.

Noch ein abschliessendes Wort zu den Wifi. In allen BnB hatte wir Wifi-Router, die mit einer Festleitung verbunden waren, ausgenommen in Lecce. Eine der Wohnungen, die wir in Lecce hatten, war nur mit einem SIM-Kartenrouter ausgestattet gewesen. Solange wir mit unseren Handys ein Datennetz hatten, war die Qualität des Wifi zweitrangig, denn wir konnten mit unseren Handys einen privaten Hotspot machen, wenn es ein musste. Eng gebaute Altstädte lassen aber oft kein mobiles Datennetz zu, wie in Lecce und Gallipoli. Dann ist man auf das Wifi angewiesen, vor allem, wenn man, wie wir, abends fernsehen will. Hier muss ich erwähnen, dass wir die BnB-eigenen Fernseher, die es überall gibt, nie anrührten. Erstens wollen wir zum Fernsehen nicht in einem unbequemen Stuhl sitzen, sondern „abgeschmickt“ im Bett liegen, um bei Bedarf sofort einschlafen zu können. Und zweitens wollen wir uns den abendlichen Film selber (aus der Mediathek) aussuchen und nicht auf das laufende Programm angewiesen sein. Deshalb ist uns ein schnelles und zuverlässiges Internet wichtig. In all der Zeit, in der wir in vielen BnB unterwegs waren, hatten wir mehr oder weniger befriedigende Wifi/Daten-Empfang. Aber es gab Ausnahmen, so dass ich während des Tages einen oder zwei Filme herunterladen musste, um sie abends mit Genuss konsumieren zu können.

Es ist jetzt Ende Dezember 2022. Wir verbringen die Weihnachtstage in Neapel, was nicht mehr zu Apulien gehört und worüber ich ein andermal schreiben werde. Unser Süditalienabenteuer geht zu Ende, im Januar gehe wir wieder nach Sri Lanka, worüber ich hier schon verschiedentlich geschrieben habe. Ich wünsche allen Lesern einen guten Rutsch in’s 2023!

9 Antworten auf „Apulien im Dezember II“

  1. Lieber Peter, wie schön ist es die Woche mit Euch noch einmal Revue passieren zu lassen – mit Deinem wundervollen Blog über Apulien.
    Toll geschrieben, wie immer ist es ein Genuss Deine gut recherchierten und schön ausgefeilten Beiträge zu lesen.
    Vielen Dank – auf ein Neues

  2. Hallo Peter, ich habe deinen Bericht über Apulien sehr genossen. Danke dafür. Auch euch beiden einen guten Rutsch ins 2023. weiterhin gute Gesundheit und viel Erfolg bei allen Unternehmungen. Bin gespannt, wie es euch in Sri Lanka geht. Gute Reise und ci liebe Grüsse Elisabeth

    1. Liebe Elisabeth

      Herzlichen Dank für deinen geschätzten Kommentar! Ja, wir freuen uns auf Sri Lanka. Ich werde gerne wieder einen Beitrag über unsere Erfahrungen im Frühjahr 2023 in Sri Lanka verfassen. Ich wünsche auch dir alles Gute im neuen Jahr vor allem so gute Gesundheit, wie nur möglich!

      Herzlichst,
      Peter

  3. Lieber Peter

    Es ist immer wieder so interessant deine Reiseberichte zu lesen und vor allem die fantastischen Fotos einfach genial! Ich kenne Apulien sehr gut – war mit Martin 3x dort und unser Mieter Silvio hat uns seine Heimat jeweils näher gebracht. Ich habe auch wunderschöne Erinnerungen betr. Kultur, Leute und natürlich das feine Essen! Nun habe ich gehört, dass ihr bald nach Sri Lanka geht – ich wünsche euch eine wunderschöne Zeit und mit lieben Grüssen auch an Barbara – herzlichst Ursula

    1. Liebe Ursula

      Vielen Dank für deinen lieben Kommentar! Ja, in gut 2 Wochen sind wir wieder in unserem Haus an der Mawella Beach und müssen uns der Affen erwehren. Wir freuen uns sehr!

      Dir alles erdenklich Gute für 2023! Häb Sorg!
      Peter

  4. Lieber Peter
    Deine beiden Apulien-Berichte zeigen, wie alle Deine Reiseberichte, auf sehr einfühlsame Weise das Leben in den besuchten Orten und Landstrichen – sehr schön.
    Da scheint sich gegenüber 1970, als wir von Brindisi aus mit einer Segelyacht nach Korfu hinüber segeln wollten, und uns eine Ruderhavarie zur Rückkehr nach Otranto zwang, doch Einiges geändert zu haben. Wir fuhren damals ganz vorsichtig und nur bei praktischer Flaute unter Motor von Hafen zu Hafen, immer in der Hoffnung, das Schiff irgendwo reparieren lassen zu können.
    Santa Maria di Leuca, Gallipoli und Taranto wecken bei uns Erinnerungen, welche nicht zu den besten gehören. In Taranto landeten wir in einer Werft im Mare piccolo (ja, sie mussten wegen unseres Mastes die Drehbrücke öffnen), welches damals die Kloake von Taranto war und scheinbar sämtliche Abwässer der Stadt empfing. Apulien aber auch die Basilikata und Kalabrien waren damals nicht nur in Bezug auf den Tourismus völlig unterentwickelt…

    1. Lieber Peter

      Vielen Dank für deine Kommentare! Ja, da scheint sich viel geändert zu haben. Aber war es nicht so, dass ihr vor allem segeln wolltet und nicht so sehr an den Befindlichkeiten der einheimischen Bevölkerung interessiert wart? Dazu kommt, dass Schweizer 1970 immer noch die Klischees von den italienischen Bauarbeitern im Kopf hatten, die den Frauen hinterher pfiffen. Süditaliener sind sehr (gast)freundlich. Ich bin überzeugt, dass sie es schon damals waren.
      Als, das Mare Piccolo war eine Kloake. Aber was war denn in Leuca und Gallipoli? Was habt ihr von dort für (schlechte) Erinnerungen?

      Herzliche Grüsse, einen guten Rutsch und alles, alles Gute für 2023!
      Peter

  5. Fairerweise muss ich meinem vorgehenden Kommentar noch anfügen, dass unsere Aufmerksamkeit damals in erster Linie der Reparatur der Segelyacht galt und sich nicht auf die sozialen, menschlichen, landschaftlichen, architektonischen, historischen und städtebaulichen Eigenheiten dieser Gegend konzentrierte…

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