Mit Ali Baba, Santiago, Tim und Struppi durch Marokko

Bevor wir wieder heim nach Sri Lanka gehen, machten wir einen Abstecher nach Marokko. Dort haben wir zwei Freunde, denen wir schon lange versprachen, sie einmal zu besuchen. Und da uns die Wüste magisch anzieht, fiel es uns nicht schwer, uns für Marokko zu entscheiden. Die nordafrikanische Küste ist ja gegenüber von Italien. Wir denken, dass sie bei klarem Wetter zu sehen sein sollte. Bei Gibraltar sollte man ja so quasi hinüberschwimmen können und bis Gibraltar ist es auch nicht weit, ist Spanien doch ein Nachbar von Italien. Dies zumindest in der Vorstellung zweier Schweizer, die an kleine Distanzen gewohnt sind. Also lag die Fähre als Transportmittel nahe.

Unsere Fähre (typähnlich)

Aber sie benötigt fast 50 Stunden, zwei Nächte inbegriffen! Na gut, dann vorgängig halt genügend Videos auf das Tablet herunterladen. Ich habe auch das Hörbuch „Der Alchemist“ von Paulo Coelho heruntergeladen und auf der Überfahrt gehört. Die Geschichte berührte mich sehr. Wenn immer ich in Marokko Kamele sah, fragte ich mich, ob sie Teil der Karawane seien, mit denen der Protagonist Santiago die Sahara durchquerte, um zu den ägyptischen Pyramiden zu gelangen.

Ob das die Karawane ist, mit der Santiago die Sahara durchquerte?

Auf der Fähre

Die Fahrt von Savona nach Tanger war sehr gemütlich. Da wir kein Auto hatten, konnten wir relativ locker einschiffen und in Tanger das Schiff wieder verlassen. Wir hatten natürlich eine Kabine gebucht, etwas anderes fiel uns gar nicht ein. Wir hatten ja auch all unser Gepäck und konnten es nicht im Auto verstauen. Komisch fanden wir, dass das Schiff eine Kapazität von ungefähr 1500 Fahrgästen hat, gegenüber etwa 250 Doppelkabinen. Wo bleiben die anderen 1000 Gäste? Für weitere 200 Gäste gibt es sogenannte „Schlafsitze“, die in einer Art Kino ohne Leinwand in Reihen angeordnet sind. Allerdings hatten wir beim Augenschein den Eindruck, dass die wenigsten belegt waren. Dafür campierten viele Passagiere in den Gängen des Schiffs, auf und unter den Treppen, im Kinderspielzimmer oder auf den Bänken der zwei Bars.

Zwei Passagiere campieren auf einem Zwischenboden der zentralen Treppe der Fähre.

Sie hatten dort Decken ausgebreitet und mit Kissen verziert. Thermoskrüge, ein- oder schon ausgepackte Esswaren und andere persönliche Effekten umrahmten das Gelege. Es sah teilweise aus, wie auf einem maghrebischen Bazar. Das Spielcasino war während der ganzen Fahrt unbenutzt. Zwar sass eine Lady im Zahlhäuschen, aber ich habe nie jemand gesehen, der an den Automaten sass. Der Pool war leer und abgesperrt. Überall sassen Grüppchen von vornehmlich Marokkanern in ihren traditionellen langen Hemden herum und redeten angeregt miteinander. Das gab mir schon mal das Gefühl, schon fast im Maghreb zu sein. Die meisten gingen nach Europa, um einzukaufen. Die Dächer ihrer Autos waren haushoch mit Waren beladen. Manchmal war das Gepäckbündel grösser als das Auto selber.

Die meisten marokkanischen Fahrgäste gingen nach Europa/Italien einkaufen

Wir erstanden uns an einer der Bars gerne mal ein Bier und tranken es auf Oberdeck mit Aussicht auf das weiter Meer und auf die parallel oder entgegen fahrenden Schiffe. Man konnte alle Arten von Spirituosen haben, aber das Angebot wurde selbstverständlich nur von den paar Europäern genutzt, die an Board waren. Es waren vornehmlich junge Leute, die Marokko mit dem Rucksack am Rücken durchqueren wollten. Ein Girl fragte herum, ob sie mit nach Tanger (und ev. weiter) fahren dürfe. Aber da wir kein Auto hatten, konnten wir ihr nicht helfen. Wir dachten, dass wir sie sicher erst nach dem Zoll aufnehmen würden und nicht bereits nach verlassen des Schiffs! Die Zeit an Board war gemütlich. Wir lagen viel in der Kabine und guckten Videos oder hörten Hörbücher. Draussen gab es nicht viel zu sehen, ausser natürlich beim Zwischenhalt in Barcelona!

Unsere Kabine auf der Fähre

Ankunft

Zwar wurde über ein boardeigenes Wifi informiert, aber das funktionierte natürlich nicht. Wenigstens konnte ich in Google Maps unseren Standort mitverfolgen, da ich vorher ein paar Kartenausschnitte heruntergeladen hatte. Vor Gibraltar schwenkte der Kahn plötzlich backboard und ich fragte mich, warum er denn jetzt nicht Tanger ansteuert. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: wir fahren gar nicht nach Tanger, sondern nach Tanger Med! Das ist eine Hafenstadt, knapp 50 Km östlich von Tanger. Da wir um ca. 1 Uhr in der Früh anlegten, dürfte eine Schlafgelegenheit noch etwas auf sich warten lassen. Seufz! Wir gingen also von Board und wurden gleich von einem Grenzer aufgehalten. Wir mussten warten, bis derjenige mit den nötigen Stempeln kam. Der was aber weit und breit nicht zu sehen und tauchte erst so nach ca. 45 Minuten Wartezeit auf. Er machte wohlwollend seine Stempeln in den Pass und liess uns in’s fast menschenleere Empfangsgebäude gehen. Während Barbara an einem Bankomaten ein Bündel Dirham bezog, fiel mein Blick auf einen Kiosk, der noch geöffnet war. Dort kaufte ich schnell zwei SIM-Karten, die ich im Taxi nach Tanger einsetzte. Welche Wohltat: noch bevor wir im Hotel ankamen, waren wir wieder vernetzt. Das half z.B: bei der Suche nach dem Hotel. Wer morgens um 3:30 Uhr in der Medina von Tanger eine kleine, unscheinbare Pension sucht, ist froh, wenn er zu Google Maps Verbindung hat. Die zwei Jungs, die spontan ihre Führung anboten, konnten wenigstens sagen, welche Gässchen wegen Bauarbeiten gesperrt waren. Als wir gegen 4 Uhr früh beim Hotel ankamen, klebte ein Post-it an der Tür: „Wir warteten bis 1 Uhr auf Sie, aber Sie sind nicht gekommen. Jetzt schlafen wir!“. Also mussten wir uns ein anderes Hotel suchen. Hier erwiesen sich die zwei Jungs als echt hilfreich. Sie führten uns zu einer unscheinbaren Tür, klopften paar Mal und sagten dem Mann, der öffnete, dass wir ein Zimmer brauchen. Dieses erwies sich als hübsch und sauber. Ohne Umwege legten wir uns hin und schliefen uns zunächst mal aus.

Fotomotive

In Marokko ist jede Hausecke und jeder Stein ein Fotomotiv. Wer fotografiert, kommt hier voll auf seine Rechnung. Vor allem so malerische Orte wie Essaouira, Chefchouen oder Asilah, das wir von Tanger aus besuchten, erfordern voluminöse Speicherkarten im Fotoapparat.

Nach zwei Nächten im modernen Tanger fuhren wir mit dem Zug und 250 Sachen nach Rabat, der Beamtenstadt. Dort arbeiten Freunde von uns auf der Schweizerischen Botschaft. Ihr Haus ist wunderschön und ihre Gastfreundschaft unerschöpflich! Nach einigen Tagen starteten wir eine Tour durch das Land, zuerst ostwärts, nach Meknés und Fés, dann in den Süden nach Merzouga in der Wüste, danach in nordwestlicher Richtung durch den Hohen Atlas nach Marrakesch.

Die Tour hat ein anderer Freund von mir organisiert, der sich jedoch kurz vor unserer Ankunft in der Schweiz einer Operation unterziehen musste und wir ihn daher nicht trafen. Schade! Wir fuhren pro Tag einige Stunden. Dazu stelle ich meine DSLR jeweils auf Blendenautomatik bei einer festen Belichtungszeit von mindestens 1/1250 Sekunden. Damit kann ich auch aus dem fahrenden Auto Landschaftsaufnahmen machen. Das ist zwar stümperhaft, aber ich sehe auch beim Fahren so viele Motive, dass ich sie nicht ungeknipst lassen kann. Es gibt genügend Momente, wo ich eine gute Perspektive sehe, die aber passiert ist, bevor ich abdrücken kann. Hier kommt mir das Motto eines Freundes in den Sinn, dass das Leben eine Reihe verpasster Gelegenheiten sei. Ich korrigiere ihn zwar jedesmal und behaupte, dass das Leben eine Reihe wahrgenommener Gelegenheiten sei, aber in der Fotografie hat er zweifellos recht.

Am Abend checkten wir jeweils in ein Hotel oder ein Riad ein. Manchmal hatten wir Glück und das Haus erwies sich als sauber, niedlich und zweckmässig, manchmal waren wir etwas enttäuscht, weil es sich um ein eher schäbiges Haus handelte. Das macht aber nichts und gehört zu so einer Reise. Obwohl alles in Marokko stauneswert ist – Landschaften, Berge, Siedlungen, Tiere, gelogische Formationen, Schluchten – war die Wüste dennoch absoluter Höhepunkt. Wir kamen an einem Abend in Merzouge an, dem Ausgangspunkt in die Wüste. Hinter der Ortschaft erhob sich eine riesige Düne von ca. 50 Meter Höhe.

Die grossen Düne hinter Merzouga ist ein Rummelplatz. In halber Höhe sieht man wartende Motorräder. Sie beschleunigen plötzlich, um die steile Düne zu bezwingen und ganz oben anzukommen, wo schon einige Erfolgreiche warten. Die meisten schaffen es nicht, müssen abdrehen und wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren.

Die Wüste

Als wir im Ort eintrafen, tobte gerade ein Sandsturm. Wahrscheinlich war das für die Einheimischen ein sanftes Lüftchen, aber für uns war es Abenteuer pur. Ein Jeep brachte uns zum Rastplatz der Kamele. Mit einem Tuch band man uns einen Turban, der den Flugsand abhalten sollte. Zum Glück habe ich in meinem Kleinrucksack stets ein Tuch, das ich in Hanoi gekauft habe, um mich z.B. in blödsinnig heruntergekühlten Restaurants oder U-Bahnen vor Luftzug und Kälte zu schützen. Der Berber verwandelte mich mit Handumdrehen, im wahrsten Sinn des Wortes, in seinesgleichen. Eigentlich ist ja die Bezeichnung „Berber“ wieder einmal politisch inkorrekt. Sie bezeichnen nach ihren Stammesnamen, z.B. „Tuareg“. Die Tuareg ist ein Berberstamm südlich von Marokko und kommt in Marokko kaum vor. Wie aber der Berberstamm in und um Merzouga heisst, kann ich nicht in Erfahrung bringen. Nicht einmal Wikipedia nimmt sich die Mühe. Zwar gibt es eine interessante Karte, die in der fraglichen Gegend einen orangen Fleck zeigt, aber die Legende ist sehr versteckt und nichtssagend. Möglicherweise handelt es sich um Sanhaja, die mir den Turban banden und auf das Kamel halfen.

Dann ging’s los: sehr bedächtig trotteten die drei eng zusammengebundenen Kamele durch den losen Sand. Man sagte uns, dass wir ungefähr eine Dreiviertelstunde unterwegs sein werden. Mich dünkte das lange und ich glaubte, in dieser Zeit die halbe Sahara durchreiten zu können. Aber wir kamen kaum vorwärts. Schon bald wurde es relativ unbequem in diesem Sattel oder eher „Sitz“ genannt. Es war ein wenig mit einer WC-Brille zu vergleichen, über die mehrere Lagen weicher Teppiche gelegt waren. Leider gab es nichts, was Steigbügeln ähnelte, auf die man ruhend seine Füsse hätte stellen können. Aber der Ritt war ungemein entspannend und schön. Ich genoss es in vollen Zügen. Die Nähe zu diesen fremden Tieren, der Kamelführer, der mit dem Zaum in der Hand den drei Kamelen vorangeht, die schwarzen Kamelkotböhnchen, die im Sand den Weg vorzeichnen, die Stille, die nur durch den Wind unterbrochen ist, der mir Sand zwischen die Zähne wehte, all das war ein einzigartiges Erlebnis. Im Zeltlager angekommen, bezogen wir unsere Unterkunft, das sich „Zelt“ nennt, aber eigentlich ein regelrechtes Bungalow mit einem grossem, schönen Bett, einer geräumigen Dusche und Wasserklosett ist. Die Wände bestehen zwar letztendlich aus Tuch, das aber an einem dichten Lattenpfahlgehege angeknüpft ist. Zwar hat es Licht im „Zelt“, aber keine Steckdosen. Wer keinen Powerbanks für sein Mobile hat – das 4G Netz ist ganz passabel – kann es im Restaurantzelt aufladen. Dort gibt es mehrere Steckdosen, die genau für das Aufladen der Geräte gedacht sind. Das Lager wurde bewohnt von zwei junge japanischen Girls, einer israelischen Grossfamilie, einem weiteren europäisches Paar und uns, also ungefähr einem Dutzend Leuten. Geführt wird das Camp, das eigentlich ein kleines, feines Hotel ist, von zwei umtriebigen Brüdern.

Nomaden

Die Kamele verschwanden wieder zu ihrem Stammplatz. Ein einzelnes Tier traff ich während des Sonnenaufgangs in den umliegenden Dünen an. Leider frischte der Wind stark auf, so dass der Rückritt im wahrsten Sinn des Wortes abgeblasen wurde und wir mit einem Jeep zurück fuhren. Ich denke, die Kamelführer machen diese Tätigkeit jahrein/jahraus und sind froh, wenn der Strom der Touristen nicht abreisst. Es ist zwar ein langweiligerer, dafür aber sicher Job, gegenüber der Durchführung von Karawanentransporten durch die Wüste. Zudem ist das Leben wohl auch etwas komfortabler, als auf nomadische Weise. Zwar sahen wir viele echte Nomadenzelte, die irgendwo in den endlosen Steppen Marokkos oder auf einem Hochplateau im Atlas standen, aber die meisten Angehörigen nomadisierenden Stämme sind sesshaft geworden. Diejenigen, die immer noch herumziehen,können weder lesen noch schreiben. Ihre eigene Schrift eigent sich nicht für längere Texte. Es ist eine hieroglyphenartige Bilderschrift, die sich aus geometrischen Zeichen zusammensetzt. In den Städten ist alles sowohl in Arabisch als auch in Berberisch angeschrieben.

Ein Autobahnschild in arabischer, berberischer und Lateinischer Schrift. Das Bild stammt von der lesenswerten Seite https://en.wikivoyage.org/wiki/Morocco

Der marokkanische König fördert die Berberkultur. In einem der Förderungsprojekten folgen Digitale Nomaden mit ihren Mikrophonen, Kameras und Tablets den Wüstennomaden, um ihre Geschichten und Legenden zu dokumentieren und festzuhalten (https://www.welt.de/reise/Fern/article163129622/Die-Nomaden-sind-Meister-der-Improvisation.html)

Seelenbilder

Marokko hat meine Seele berührt. Die Reise liess mich in Märchen, Comics und Bibelgeschichten eintauchen, die ich als Kind gehört habe und mir dabei bestimmte Vorstellungen machte, die jetzt wie durch ein Wunder Wirklichkeit wurden. Nicht umsonst wurden mehrere Blockbusters, die biblische Inhalte haben, in Marokko gedreht. Es gibt in Ouarzazate auch eine grössere Filmindustrie, die als „arabisches Hollywood“ bezeichnet wird. Ich erinnere mich an alte Holzstiche, die das Märchen „Ali Baba und die vierzig Räuber“ illustrierten oder an Omar Ben Salaad, den Tim und Struppi in „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“ dingfest machen konnte. Wenn immer ich als Kind Geschichten aus dem arabischen Raum hörte, stellte ich mir die Szenerie immer in Umgebungen vor, die dem, was ich jetzt in Marokko gesehen habe, glichen.

4 Antworten auf „Mit Ali Baba, Santiago, Tim und Struppi durch Marokko“

  1. Unglaublich. Der Bericht lässt viele Erinnerungen aufsteigen von 2016. Fés das Färberviertel wurde gerade restauriert und stand kurz vor Fertigstellung. Vieles geweckt und dein Bericht echt lesenswert. Zeigt was Neugier alles möglich macht.

  2. Danke Peter für diesen schönen und lehrreichen Bericht. Ich weiss nicht, ob ich selber mal in diesen Teil der Welt reisen werde, Wüste ist nicht so mein Ding. Aber die Bilder rufen viele Erinnerungen aus der Kindheit zurück, wir hatten eine Sonntagsschullehrerin, die uns immer wieder solche Dias zu den Geschichten zeigte.

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