Am 24. und 25. Juni 2010 findet im Helmholtz Zentrum für Umweltforschung in Leipzig eine Tagung der Deutschen Gesellschaft für System Dynamics statt1. Es werden Fragen diskutiert wie
- Welche Folgen hätte eine Insolvenz Griechenlands?
- Wo liegen die Grenzen des Wirtschaftswachstums?
- Wie entwickelt sich der Kundenstamm eines Unternehmens?
In der Leipziger Internet Zeitung kommentiert Ralf Julke in einem Artikel vom 17. Juni 2010 den Anlass und konstatiert:
Die Menschheit verfügt längst über die notwendige Rechenkapazität, um komplexe Systeme und Zusammenhänge zu simulieren2
Ingenieure nutzen diese Kapazitäten, um die Auswirkungen von Erdbeben oder Tsunamis zu studieren. Nur unsere Politiker und Manager sind sich zu schade für ernsthaftes Risikomanagement und glauben, die Treffsicherheit von „Bauchgefühlen“ – sprich „Intuition“ – hänge vom Umfang desselbigen Bauches ab. Julke stellt denn auch fest:
Erschrocken sehen sie aus, überfordert und völlig desorientiert: die entscheidenden Politiker, wenn sie auf einmal mit einer menschgemachten Katastrophe konfrontiert werden. Jüngst erst wieder bei der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko
Dabei wären die Ereignisse errechenbar gewesen. Lars Weber, Dozent für Volkswirtschaftslehre und Geschäftsleiter der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Leipzig meint:
Die Finanzkrise hat auch die Volkswirtschaftslehre in eine Krise gestürzt, weil alte Modelle die Geschehnisse nicht mehr vernünftig erklären oder abbilden konnten. Jetzt heißt es, Simulationen als einen neuen Erklärungsansatz für die Zukunft zu etablieren
Aber eben, unsere Entscheidungsträger sind gar nicht dafür ausgebildet, um mit Komplexität umgehen zu können. Und genau diese Unfähigkeit bezieht die höchsten Boni. Warum eigentlich?
Die Verantwortlichen haben selten gelernt, mit solchen Simulationen zu arbeiten oder gar in derart komplexen Zusammenhängen zu agieren. Sie handeln nicht, wenn es noch Zeit dazu ist. Und sie handeln nicht konsequent genug. Sie agieren oft genug mit dem Horizont eines Dorfbürgermeisters
Offensichtlich trifft die Schuld aber nicht nur unsere Führungselite. Fast noch mehr ist die Schuld in unserem Bildungssystem zu suchen. Umgang mit Komplexität und mit dem Unvorhergesehenen sind leider keine Bildungsfächer. Sogar angehende Wirtschaftsinformatiker lernen während mehreren Semester stupide lineare Methoden, die in der Realität ohne Relevanz sind. System Dynamics und Agent Based Modelling sind den Bildungsverantwortlichen leider zu oft Fremdwörter. Oft haben Schulleiter wenig praktische Erfahrung, wissen nicht, was unter Komplexität zu verstehen ist und sind für den verantwortungsvollen Job, den sie ausfüllen sollten, völlig unqualifiziert. Für neu zu vergebende Stellen wählen sie Kandidaten aus, die ebenso unqualifiziert sind, wie sie selbst. Man nannt dieses Phänomen Kooptation, also Ergänzungswahl, Zuwahl, Aufnahme oder Wahl von Mitgliedern durch die übrigen Mitglieder einer Gemeinschaft3. Kooptation im Bildungswesen schafft geschlossene Lehrkörper, die meistens Ihresgleichen rekrutieren und somit verhindern, dass neue Gedanken in das Curriculum Einzug halten.
Und so stehen Politiker, Wissenschaftler, Manager … immer wieder vor komplexen Systemen, die auf einmal in sich zusammenklappen. Nicht unerwartet. Aber erwartbar. Die Zeichen, wann es anfängt zu kriseln, sind auch in komplexen Systemen sichtbar,
aber nur für diejenigen, die in systemischem Denken ausgebildet wurden. Und von denen gibt es sträflich wenige.
1Deutsche Gesellschaft für System Dynamics e.V. Programm der 4. Jahrestagung vom 24./25. Juni 2010
2Julke, Ralph. Tagung in Leipzig diskutiert: Kann man Zukunft mit Dynamischen Systemen simulieren? Leipziger Internet Zeitung, 17.06.2010
3http://de.wikipedia.org/wiki/Kooptation
Das Problem an der Simulation ist, dass sie den Köpfen ihrer Schöpfer entspringen. Die Simulation kann also *eigentlich* nicht besser werden, als wenn sich der Schöpfende selber zu einem Gedanken durchgerungen hätte.