Sind wir zielgeil?

Wir leben in einer zielgeilen Zeit. Die zeitgenössische Management- und Komplexitätsbewältigungsliteratur suggeriert uns, dass alles ein Ziel haben muss. Aber wie können wir Ziele haben, wenn wir nicht wissen, was uns die Zukunft bringt? Oft wird unter einer komplexen Situation eine intransparente, vernetzte und ungewisse Situation verstanden. Wie können wir Ziele haben, wenn die Zukunft ungewiss ist?
In einem Blog habe ich folgende Geschichte gelesen:

Die Schüler fragen ihren Meister: »Wie also reist man zu seinem Ziel?« Der Meister antwortet: »Man reist nicht. Es ist eine Reise ohne Entfernung. Hört auf zu reisen, und ihr seid da.« Die Schüler können das nicht verstehen, und so erklärt der Meister: »Solange man unterwegs zu einem Ziel ist, kann man an einem Traum festhalten. Wenn man anhält, steht man vor der Wirklichkeit.« Verwirrt fragen die Schüler weiter: »Wie sollen wir uns je verändern, wenn wir keine Ziele oder Träume haben?« »Stellt euch der Wirklichkeit, und alles wird sich spontan verändern.«1

Letzte Woche habe ich mich mit einem Autor eines Buches über Komplexitätsmanagement unterhalten2. Er ist mit mir einig, dass Ziele nicht von Anfang an vollständig und starr sind, sondern sich mit dem Handeln konkretisieren. Er erzählte mir, dass sie vor einiger Zeit einen Industrieauftrag zum Themenkreis „Ziele, Zielbildung, Zielverfolgung“ erhalten haben. Für mich bedeutet das, dass sich Manager vorstellen, man müsse nur Ziele haben und diese verfolgen, damit alles so werde, wie man es sich wünsche. Ein reichlich naiver Gedanke, der alle Kenntnisse über das Funktionieren unseres Geistes und die Enstehung komplexer Systeme ignoriert3.

1 Dieter Halbach, Wie geschieht Veränderung?

2 Reither, F. Komplexitätsmanagement – Denken und Handeln in komplexen Situationen. Gerling Akademie Verlag.
München 1997

3 z.B. Addor, P. Projektdynamik – Komplexität im Alltag. Reinhold Liebig Verlag, Frauenfeld 2010

7 Antworten auf „Sind wir zielgeil?“

  1. Hallo Peter,

    ich denke schon, dass wir Ziele benötigen. Ziele sind Leitmotive für unser Handeln und haben in erster Linie nichts mit einer ungewissen Zukunft zu tun. Ohne Ziele hätten wir keinen freien Willen zu agieren. Der Weg ein Ziel zu erreichen ist nicht im voraus zu definieren. Das resultiert aus der Zukunft, die nicht im voraus berechenbar ist. Leider wird dieser Fakt viel zu häufig vernachlässigt, in dem detailliert geplant wird.

    Man muss also Ziele definieren. Dann fängt man an, dieses Ziel erreichen zu wollen. Grundlage dafür sind Herz und Kopf. Es reicht also nicht aus, rein rational zu handeln, sondern man muss auch mit dem Herzen dabei sein und das Ziel unbedingt erreichen wollen. Das wird häufig beim Projektmanagement vernachlässigt, in dem „Söldner“ engagiert werden. Allerdings, und da gebe ich Dir Recht, müssen Ziele stetig validiert werden. Denn mit Handlungen werden Erkenntnisse generiert, die die vorher definierte Ziele unsinnig erscheinen lassen. Auch das wird sehr häufig im Rahmen von Projektmanagement vernachlässigt, in dem sehr lange Designphasen in Angriff genommen werden, die dann in lange Implementierungsphasen münden. Am Ende das Tages erhält man ein Produkt, welches man vor x Jahren gewollt hat. Nur, will man dieses heute immer noch?

    Ziele sollten also zu einem jeweiligen Zeitpunkt stets konkret sein, was aber nicht heißen soll, dass sie „in Stein gemeißelt“ und damit in der Zukunft nicht änderbar sein dürfen. Ganz im Gegenteil.

    Grüße,
    Conny

  2. Hallo Conny

    Ziele sind mir einfach zu statisch und zu endgültig., als dass sie mich interessieren würden. Man verwechsle „Ziel“ aber bitte nicht mit „Zweck“ oder „Funktion“.
    Siehe dazu das interessante Viedo „Michael Cavanagh explains the Systems Anatomy approach to managing a complex project“ über über Complex Porject Management http://bit.ly/pj5tSk
    Ein Projekt hat von mir aus einen Zweck, aber hoffentlich kein Ziel, denn wäre dies einmal erreicht, gäbe es nichts mehr zu tun. Hat aber das Projekt seinen *Zweck* erreicht, dann beginnt der Betrieb.
    Wenn jemand von Zielen spricht, dann denke ich immer, dass er vielleicht auch daran glaubt, dass der Mensch die Krone der Schöpfung – also das Ziel der Schöpfung – sei.
    Du schreibst: „Ohne Ziele hätten wir keinen freien Willen zu agieren“. Haben wir denn tatsächlich einen freien Willen. Du kennst ja die Resultate von Libet et al. Wo soll denn dieser „freie Wille“ seinen Sitz haben? Es gibt ja keine zentrale Instanz, die quasi das Korrelat unserer Persönlichkeit ist und unseren Willen abbildet.

    Gruss,
    Peter

    1. Hallo Peter,

      da gebe ich Dir Recht. Der Begriff Ziel wird viel zu statisch und endgültig verwendet. Die Auswüchse sehen wir ja unter anderem in den herkömmlichen PM-Methoden.

      Du bringst ebenfalls einen fairen Einwand, dass man nicht Ziel und Zweck verwechseln soll. Ich muss mal gerade überlegen, ob ich dies tue. Allerdings kenne ich derzeit den Unterschied nicht. Ich werde mal in das Video schauen.

      Ungeachtet dessen und erst einmal vielleicht ohne eine Unterscheidung möchte ich meine Gedanken weiter erörtern.

      Ziele benötigt man, um überhaupt erst einmal einen „ersten Schritt“ gehen zu können. Dabei muss dieses Ziel auf der einen Seite konkret sein, sonst hätte man keine ausreichende Grundlage für den ersten Schritt und würde in eine Starre verfallen. Das Ziel muss aber auch von Herzen gewünscht sein, sonst würde man den „ersten Schritt“ gar nicht gehen wollen. Ein Ziel ist also stets konkret. Die Frage bleibt, ob ein Ziel noch valide ist. Das gilt nur im Jetzt. Was danach ist wissen wir nicht.

      Es macht keinen Sinn detailliert zu planen. Man weiss nicht, was nach dem „ersten Schritt“ kommt. Man kennt das Ergebnis nicht, man weiss nicht ob das erwartete Ergebnis dem entspricht, was man angepeilt hat. Man weiss aber auch nicht, ob das erwartete und auch eingetretene Ergebnis jetzt noch zum Ziel führt. Man weiss ebenfalls nicht, ob das Ziel, welches zu dem „ersten Schritt“ geführt überhaupt hat noch valide ist. Ziele müssen stets validiert werden, in der Regel gegen andere Ziele. Hier erkennt man die Kreiskausalität der Ziele untereinander.

      Man kann hier auch sehr gut die Begriffe Effektivität und Effizienz einflechten. Effektiv bin ich, wenn meine Ziele noch valide sind, sie sich also nicht gegenseitig konterkarieren (Die richtigen Dinge tun). Effizient bin ich, wenn mein Weg noch in Richtung Zielerfüllung zeigt (Die Dinge richtig tun). Beides ist notwendig: Die richtigen Dinge richtig tun. Dabei gilt das Wort „richtig“ ausschließlich im Jetzt und ist stets subjektiv. Es ist also abhängig von Raum und Zeit.

      Du sprichst auch das Thema freier Wille an. Dieses Thema habe ich in einen meiner Posts diskutiert: „Kann ein freier Wille bedingt sein“ (http://blog-conny-dethloff.de/?p=425). Und ja, es stimmt, den absolut freien Willen kann es nicht geben. Allerdings fühle ich mich von den Experimenten zu diesem Thema, die in der Vergangenheit gemacht wurden, eher distanziert. Denn durch den Experimentieraufbau wird die „reale Situation“ verfälscht, denn Denkprozesse laufen nicht hierarchisch sondern heterarchisch ab.

    2. Hallo Peter,

      das Video ist sehr gut. Danke.

      Zweck und Ziel. Ich habe in meinem Kommentar von Kreiskauslität der Ziele gesprochen. Das bedeutet, jedes Ziel ist in der Regel auch Zweck für ein anderes Ziel. Deshalb hängen beide Begriffe sehr eng zusammen.

      Ich denke auch, dass wir eine unterschiedliche Bedeutung für den Begriff Ziel verwenden. Oder?

      Aus meiner Sicht sollte nämlich jedes Projekt ein Ziel haben. Wenn nicht, wieso sollte ich es sonst durchführen? Ein Ziel ist quasi etwas was ich anstrebe und ich aus diesem Streben heraus agiere. Das kann ich auf Projekte projezieren. Allerdings hat dieses Ziel natürlich ein Zweck, vielleicht diesen Prozesse effizienter zu machen, da ich im Projekt eine Software eingeführt habe, die viele Aktivitäten automatisieren lässt.

      Grüße,
      Conny

      1. Hallo Conny

        Ja, Du hast recht. Ziel und Zweck sind verwandte Begriffe und ihre Definitionen hängen auch von der Interpretation ab. Das hat viel mit Gefühlen und inneren Bilder zu tun. Beim Begriff „Ziel“ sehe ich eine Strohzielscheibe, in in welche der Pfeil des Bogenschützen fliegen muss, um darin stecken zu bleiben. Oder wenn ich sage: „Ich gehe jetzt zur Bäckerei“, dann ist der Verkaufsladen des Bäckers mein Ziel. Ich mache den Weg, um das Ziel zu erreichen.

        Das ist aber in Projekten nicht immer so (und sollte es nie sein). Ein OE-Projekt hat beispielsweise den Zweck der Kulturveränderung. Das Ziel ist gleichsam die Durchführung der Kulturveränderung, also des Projekts.

        Leider werden Projekten Ziele gegeben. Die Integration eines neuen IT-Systems ist das Ziel, macht das dazu nötige Projekt! Wenn das System angeschraubt, verkabelt und installiert ist, ist das Ziel erreicht. Aber ein Integrationsprojekt ist immer auch ein OE-Projekt. Die Organisation lernt und verändert sich dadurch. Das ist der eigentliche Zweck des Projekts, nicht das hinein „mechen“ (von „Mechaniker“) des IT-Systems.

        Gruss,
        Peter

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