Karl Heinz Däppler fragt, welche Rolle bei der projektübergreifenden Lessons Learned Wissenskultur die Thematik „Lean Managment“ spiele. Komplexitätsmanagement fordert ein Management, das der (in den letzten Jahren in schwindelerregende Höhe gewachsenen) Komplexität angepasst ist und sich Strategien bedient, die es erlauben, die Entropie eines komplexen Systems in die Umgebung auszulagern. Die Entropie ist das Mass für die Unsicherheit, die komplexen Systemen inhärent ist. Projektübergreifendes Lessons Learned Wissensmanagement ist eine solche Strategie. Wenn Lean Management ebenfalls zum Entropieexport beitragen kann, dann könnte es eine wichtige Rolle spielen.
Der Begriff „Lean“ könnte jedoch falsch verstanden werden. Ich habe hier immer wieder darauf hingewiesen, dass die Aufrechterhaltung der von uns geschaffenen Komplexität etwas kostet. Leider habe ich in keinem Budget je den Posten „Komplexitätskosten“ gesehen. Ich denke daher, dass dieser Posten bei Lean Management erst recht unter den Tisch fällt. Da sich „Lean“ die Vermeidung von Verschwendung auf die Fahne geschrieben hat, befürchte ich, dass dabei lokal optimiert wird. Wir haben aber sowohl beim Bierspiel als auch in der Theory of Constraints gesehen, dass lokales Optimieren dem System als Ganzens schadet. Am einfachsten ist das an einer Produktionslinie von z.B. drei Fertigungseinheiten zu verstehen. Um ein Erzeugnis herzustellen, benötige die erste fünf, die zweite 11 und die dritte sieben Zeiteinheiten. Die Produktionslinie stellt also alle 11 Zeiteinheiten ein Stück her, das verkauft werden kann. Es hat keinen Sinn, wenn die erste Fertigungseinheit mehr als ein Stück pro 11 Minuten herstellt, denn das würde zu teuren Beständen zwischen der ersten und der zweiten Fertigungseinheit führen. Wenn nun ein Lean Management Berater findet, es sei Verschwendung, wenn die erste Fertigungseinheit nur zu 5/11 oder 45% ausgelastet sei, dann ist Lean sicher nicht der richtige Weg. Wenn jedoch Lean Management bedeutet, dass die erste Fertigungseinheit genau ein Halbfabrikat bereit stellen soll, wenn die zweite Einheit bereit ist, eines zu verarbeiten, weil jede weitere Aktivität der ersten Einheit Verschwendung wäre, dann kann Lean Management ein interessanter Ansatz sein.
Der Begriff „Verschwendung“ ist eben nicht eindeutig, und ich habe in den Artikeln über Lean Management eben sowenig eine exakte Definition gefunden, wie eine dezidierte Distanzierung von jeglichem lokalem Optimieren. Solange ich keinen derartigen Hinweis finde, muss ich jedoch befürchten, dass unter „lean“ nichts anderes als „lokales Optimieren“ gemeint ist.
Hallo Herr Addor,
ich möchte Sie einladen sich intensiver mit Lean auseinanderzusetzen. Ist ist ein häufiges Missverständniss das Lean sich nur um die Vermeidung von Verschwendung handelt, dies ist ein kleiner, wenn nicht winziger, Teilaspekt eines deutlich größeren Systems. Ich will nicht alle Aspekte hier auflisten, aber zumindest Lean Ansätze aufzeigen, die der lokalen Optimierung durch Lean entgegensprechen.
a) Wertstromanalyse – Ein häufig gebräuchliches Tool in Lean Management um Probleme im Fluss zu erkennen. Hierbei wird eine simplifizierte Systembetrachtung gemacht von Zulieferer bis Kunde incl. aller interner Zwischenschritte, anhand bestimmer Leistungserbringungskennzahlen um Ungleichgewichte (= Verschwendungen) zu identifizieren, die dann lokal bearbeitet werden, aber immer im Bezug der Gesamtleistungserbringung (meistens Produktion). Hierdurch wird vermieden das die lokale Optimierung selbst Unordnung in das System bringt, und somit in sich selbst schon Verschwendung ist.
b) Muri – Mura – Muda
Natürlich wollen wir Verschwendung vermeiden. Dabei müssen wir aber wissen das ein Großteil an Verschwendung (=Muda) aus Schwankungen und Ungleichmäßigkeiten des umliegenden Systems entsteht. (=Mura). Um also sinnvoll und erfolgreich an Verschwendung zu arbeiten muss ich zuerst daran arbeiten die Schwankungen des umliegenden Systems zu reduzieren, und die Leistungserbringung in einen soweit es irgend geht stabilen Fluss zu überführen. Das ist das Gegenteil von lokaler Optimierung. Hinzuzufügen ist noch Muri – die Überlastung des Systems. Es gibt verschiedene Ansätze ob Überlastung Schwankungen bedingen oder Schwankungen zu Überlastungen führen. Wie auch immer, wir wissen inzwischen das es hier eine Wirkungskette gibt, und das diese beiden zuerst bearbeitet werden müssen, bevor man an Muda arbeiten kann ohne selbst Muda zu sein.
c) Flow
Es gibt einige Kollegen die das Gesamte Toyota Produktionssystem auf 2 Worte zusammenfassen: Pull und Flow. Flow bedeutet das die Leistungserbringung an allen Stellen kontinuierlich fließt, es also zu keinen Aufstauungen durch Probleme jeglicher Art kommt. Damit der Flow kontiunierlich ist muss alles in der Wirkungskette (um mal konkreter zu sein: im GESAMTEN UNTERNEHMEN) aufeinander abgestimmt und synchronisiert sein. Man kann sich vorstellen wie unglaublich hoch gegriffen dieses Ziel ist.
Ich habe mich selbst beruflich mit verschiedenen Organisationsentwicklungs-und Prozessoptimierungskonzepten beschäftigt (6Sigma, BPR, BPM,…) und ich habe erst im Lean einen Ansatz gefunden der umfassend genug ist ein Gesamtes Unternehmen zu begreiffen und gleichzeitig fraktal genug um ihn auf der untersten operativen Ebene anzuwenden.
Und ich finde es sehr schade das dieses Thema nicht hinreichend von Hochschulen aufgegriffen wird und systematisch unterrichtet wird, so kämpfe ich jeden Tag gegen Missverständnisse dieser Art.
Schöne Grüsse
Guten Tag, Herr Schreiber
Vielen Dank für diese Konkretisierung. Ich habe in meinem Artikel gefragt, was „lean“ bedeute und sogar zweimal betont, dass „lean“ unter gewissen Voraussetzungen ein interessanter Ansatz sei. Allerdings konnte ich die Gültigkeit dieser Voraussetzungen in keinem Artikel verifizieren. Sie haben das jetzt getan, und dafür danke ich Ihnen.
Einige Fragen bleiben jedoch. Abgesehen davon, dass ich einige Ihrer Sätze sprachlich nicht verstehe, frage ich mich, ob auch Ihre „schlanken“ Kollegen so denken wie Sie. Denn warum wird in der einschlägigen Literatur der Fokus stets auf die Vermeidung von Verschwendung gelegt und nicht auf das Systemische, wie Sie das tun? Klar, der Begriff „Verschwendung“ kann eben verschieden ausgelegt werden. Das war ja genau der Inhalt meines Artikels.
Und weshalb bezeichnet man die Geisteshaltung (um es nicht auf ein Konzept oder gar eine Theorie zu beschränken) als „lean“, wenn das doch angeblich nur ein kleiner Teil ausmacht und offensichtlich zu Missverständnissen führt?
Und warum muss man sich japanischer Begriffe bedienen, wenn doch die hiesige Systemtheorie alle diese Begriffe zehn oder gar 20 Jahre zuvor bereits eingeführt hat? Ich hoffe nicht, dass es darum geht, Toyota zu kopieren, nachdem sie westliche Erkenntnisse adaptiert haben. Ich habe grössten Respekt vor den Leistungen von Toyota, aber auch vor der Übernahme von Praktiken und Ideen aus anderen Kulturkreisen. Das geht nämlich nicht immer so ohne weiteres.
Schöne Grüsse