Wenn Computer entscheiden

Seit 2016 bereiste ich den fernen Osten und die USA. Dabei lernte ich, zu fotografieren. Doch was tun mit den vielen Fotos? Ich habe verstanden, dass es im wesentlichen zwei Arten von Fotos gab: zum einen sind das Erinnerungs- und Ferienfotos, also eher persönlicher Kram. Zum anderen sind es Landschaftsaufnahmen oder Aufnahmen von Stadtszenen, ohne jeglichen Bezug zu uns.

Instagram

Die erste Sorte von Fotos schauen wir uns gerne ab und zu wieder an. Es ist eine angenehme Funktion sozialer Medien, einem solche Fotos zum Jahrestag wieder vorzulegen, was jeweils ein Schmunzeln hervorruft. Was aber mache ich mit der zweiten Sorte Fotos, die zum Teil künstlerisches Potiential haben, so dass Löschen hiesse, Werte zu vernichten? Heute ist es einfach, Bilder auszustellen und einem grösseren Publikum zu präsentieren, z.B. auf Instagram. Instagram ist ein soziales Medium, dessen Einträge hauptsächlich Fotos und Videos sind.

Instagram hat viele Kostgänger: da sind z.B. junge Girls, die mit jedem veröffentlichten Foto ihre Schönheit anpreisen. Ähnlich machen es Jungs und junge Männer, die ein Selfie nach dem anderen publizieren. Dann sind es Firmen und Unternehmen, die einfach plump ihre Werbung schalten. Eine weitere Gruppe sind religiöse oder esoterische Menschen, die jeden Tag einen ansehlich geschriebenen Psalm oder Spruch des Tages präsentieren. Bekannt sind die sogenannten Influencer und Influencerinnen, die die Tatsache, dass ihnen Tausende folgen dafür verwenden, bezahlte Meinungen in Bild und Schrift zu äussern. Und schliesslich gibt es eine grosse Gruppe von Hobbyfotografen, die eben ihre zahlreichen Fotografien posten. Die meisten sind gewöhnliche, eher langweilige Fotos vom letzten Sonntagsspaziergang. Dann aber gibt es viele Künstler, die nun wirklich etwas auf dem Kasten haben. Ich werde in einem anderen Beitrag etwas über die Absicht solcher Bilder erzählen.

Eines meiner Kunstwerke

Viel Arbeit

Es macht viel Spass, die eigenen Fotos auf Instagram zu veröffentlichen, wo sie von gleichgesinnten Künstlern „geliked“ – d.h. als „gefällt mir“ markiert – und kommentiert werden. Auf Instagram veröffentlichte Fotos sehen nur diejenigen, die einem folgen. Es war daher stets mein Bestreben, die Followeranzahl zu maximieren, damit meine Bilder ein möglichst breites Publikum erreichen.

Facebook, die Mutter von Instagram, bietet die Möglichkeit, ein veröffentlichtes Foto zu „sponsoren“, d.h. man bezahlt etwas, damit das Foto auch Nichtfollowern vorgelegt wird. So erreicht man mehr Betrachter und hofft, der eine oder andere bleibt bei dem Bild hängen, findet es gut und schaut, was der Sponsor sonst noch veröffentlicht hat. Das kann dazu führen, dass er meine Galerie so gut findet, dass er mir folgt. So kann ich Followers generieren. Allerdings habe ich jedem seine Galerie angeschaut, der eines meiner gesponsorten Bilder geliked hat. Wenn mir seine veröffentlichten Bilder gefallen haben, habe ich mich bemerkbar gemacht, indem ich meherere seiner Bilder likte und kommentierte. So konnte ich noch mehr Followers gewinnen. Aber auf 20 Nicht-Followers, bei denen ich auf mich aufmerksam machte, haben etwa 6-7 ein paar meiner Bilder geliked und nur einer ist mir gefolgt. Diese recht bescheidene Ausbeute verursachte also sehr viel Arbeit.

Es ging immer darum, mit dem Publikum in Kontakt zu treten und zu bleiben. Auch die Kommentare von Followern beantwortete ich regelmässig, bedankte mich artig und kommentierte zurück. Ab einigen 1000 Followers benötigt man ein Follower Management Tool, um zu monitoren, wem man folgt, ohne dass er zurückfolgt, welche Followers oft und welche nie kommentiert haben oder wer seit Monaten oder gar Jahren keine Reaktion zeigte. Ich glaube, das ist ganz ähnlich, wie ein Unternehmen ständig mit seinen Kunden in Kontakt sein und ihre Bedürfnisse kennen und berücksichtigen muss.

Auszeichnungen

Eine weitere Möglichkeit, die Bekanntheit seiner eigenen Galerie zu vergrössern ist es, wenn das eine oder andere veröffentlichte Bild ausgezeichnet wird. Es gibt auf Instagram sogenannte Award-Hosts. Das sind Accounts, also „Benutzer“, die keine eigenen Bilder veröffentlichen, sondern täglich eine Auswahl der besten Bilder einer Kategorie auszeichnen. Das sind also Veranstalter von Mini-Foto-Wettbewerben. Man muss das eigene Bild lediglich mit einem sogenannten „Tag“ versehen, also einem Stempel des betreffenden Award-Hosts. Dieser sieht sich abends alle Bilder an, die seinen Stempel tragen und zeichnet dann ein oder mehrere Gewinner aus.

Z.B. gibt es einen Account, der heisst „bpa“, also „Best published Art“. Ungefähr ein Dutzend meiner Veröffentlichungen erhielten die bpa-Auszeichnung. Der bpa-Account veröffentlicht dann mein Bild unter seinem Account, schreibt dazu, dass ich der Künstler sei und man doch bitte auch meine anderen Werke ansehen soll. Hat der Award-Account selbst viele Follower, so wirft so eine Auszeichnung natürlich grosse Kreise!

Ein anderer Award-Host heisst „jj-community“. Er hat über 120 Tausend Followers. Mindestens ein halbes Dutzend meines Fotos wurden von jj-community ausgezeichnet. Das hat jedesmal ein paar neue Followers generiert. Natürlich musste ich die Galerien dieser neuen Followers alle ansehen und ein paar Bilder liken. Ich musste mit ihnen in Kontakt treten und ihnen den Eindruck geben, dass ich genau auf sie gewartet habe. Das ist pures Marketing und viel Arbeit! Aber es macht Spass, ich lernte viele Künstler kennen und lernte, interessante Bilder zu machen. Und eine Auszeichnung freut einem jedesmal riesig! Es ist eine Anerkennung der eigenen Arbeit.

Eines Auszeichnung von „best posted arts“

Gelöscht!

Ich habe unter dem Accountnamen „paaddor“ seit ein paar Jahre über 1000 Fotos ausgestellt und manchmal auch Bilder, die über die reine Fotografie hinausgingen. Ich versuchte, aus meinen Fotos Kunst herzustellen, indem ich sie verfremdete oder in einen anderen Kontext stellte. Das war eine Entwicklung. Zunächst veröffentlichte ich Allerweltsbilder, wie sie gerade zu der Kamera raus kamen. Dann habe ich sie farblich übersättigt, weil ich mehr Farben wahrnehme, als eine Kamera wiedergibt. Das wurde jedoch mehrfach kritisiert. Also versuchte ich andere Techniken, bis hin zu künstlichen 3D-Hintergünden, die ich mit einem Computer generierte. Es gelang mir, eine gewisse Aufmerksamkeit zu generieren, die sich in über 5000 Followers manifestierte. Und mein Ziel war es, einmal die 10’000-Grenze zu sprengen! Darauf hin arbeitete ich.

Dazu benötigt man ein Follower Management Programm, wie z.B. die App „Followers Insight“. Es gibt eine Gratisversion, aber ich bezahlte ein paar Euros für die Pro-Version. Aus mir unerklärlichen Gründen sieht es Instagram (oder Facebook) nicht gerne, wenn man solche Apps einsetzt und hat in Informationen sogar davor gewarnt. Politische Agaitation dulden sie, aber keine technischen Management Programme. Solange ich die App bloss zum analysieren meines Accounts brauchte und Manipulationen auf einem anderen Gerät direkt in meinem Account tätigte, hat Instagram keine Reaktion gezeigt. Ab und zu war nach einer solchen Aktion das Passwort meines Instagram-Accounts nicht mehr gültig, so dass ich es zurücksetzen musste.

Aber vor ungefähr einem Monat, als ich „Followers Insight“ wieder einsetzte, war alles anders. Das Passwort war wieder einmal ungültig geworden, aber es liess sich nicht mehr zurück setzen. Bald verstand ich, dass der Account total gelöscht wurde, ohne irgend eine vorgängige Warnung. Ich versuchte, mit Instagram in Kontakt zu treten und zu protestieren. Ich schickte sogar dem CEO von Instagram eine Nachricht. Dann fand ich ein Formular, mit dem man gesperrte Accounts wieder aktivieren kann. Ich erhielt einen Code, musste diesen auf ein Stück Papier schreiben zusammen mit meinem Namen und musste mit diesem Papier in der Hand ein Selfie machen, wie ein Verbrecherfoto. Das musste ich dann an Instagram schicken. Allerdings hörte ich nichts mehr, auch auf mein mehrmaliges Nachfragen, ob sie mein Selfie erhalten haben und wie es nun weitergehe. Und so verlor ich auf einen Schlag über 1000 Fotos, über 5000 Followers und den Gegenwert von unzähligen Arbeitsstunden! Von den paar Euros, die ich für Sponsoring meiner Fotos ausgab, ganz zu schweigen. Was bedeuten sie schon gegenüber von Hunderttausenden von Dollar, die Firmen (und Politiker?) für Werbung bezahlen?

Ich behalte zwar auf Instagram meinen schwarz-weiss-Account paaddor_sw, wo ich keine 400 Followers habe, aber ich werde mich dort nicht mehr engagieren. Dafür baue ich jetzt meinen flickr Account auf. Flickr ist ebenfalls eine Fotoausstellungsplattform und wird wenigstens fast ausschliesslich von Fotografen benutzt und nicht noch von Firmen zu Werbezwecken.

Google Maps

Etwas Ähnliches ist mir schon einmal passiert. Auch Google Maps ist eine Art Social Media. Auch dort kann man Beiträge leisten. Man kann Fotos und Rezensionen von Herbergen, Geschäftsläden und Restaurants auf Google Maps hochladen, wo es Touristen sehen und sich auf das vorbereiten können, was sie antreffen werden. Menschen, die in Google Maps ihre Beiträge hochladen, heissen „Local Guides“, können einander folgen und Beiträge anderer liken, ähnlich wie in Instagram.

Für jeden Betrag, für jedes Foto und jede Rezension, erhält man darüber hinaus Punkte. Die Anzahl der Punkte zeigt den Level eines Local Guides an. Unter den Local Guides höherer Levels lost Google jedes Jahr 100 aus, die nach Mountain View in Kalifornien fahren und dort während ein paar Tagen mit Google über Neuentwicklungen von Maps diskutieren können. Ich hatte ungefähr 10’000 Punkte und war damit auf Level 8 (von 10). Bei 15’000 Punkte wäre ich auf Level 9 gekommen. Auch dazu musste ich viel Arbeit hineinstecken. Ich erinnere mich, dass ich einmal einen Tag lang in Aluthgama in Sri Lanka durch die Strassen lief und einen Laden um den anderen fotografierte und die Bilder auf Google Maps hochlud. Wenn Sie jemals nach Aluthgama gehen und dabei Google Maps benutzen, besteht eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass Sie über meine Einträge stolpern. Auch von anderswo lud ich Beiträge hoch, bewertete Restaurants und andere Geschäfte und korrigierte Strassenverläufe oder berichtete Google über geschlossene oder gesperrte Strassen.

Von Google erhielt ich allmonatlich eine E-Mail, in welchem sie sich bedankten und mich informierten, wie viele Millionen Views meine Beiträge haben. Doch eines Tages teilte mir Google mit, dass mein Local Guide Account unwiederbringlich gelöscht wurde, weil ich gegen die Bestimmungen verstossen habe. Mir war kein Verstoss bewusst. Vielleicht habe ich ein Lokal schlecht bewertet, worauf sich der Besitzer bei Google beschwerte und verlangte, dass ich ausgesperrt werde. Ich weiss es nicht. Alle meine Versuche, mit Google in Kontakt zu treten und wenigstens zu vernehmen, was ich falsch gemacht habe, scheiterten. Sie haben enorm viel von mir profitiert. Komisch, dass ihnen anderes wichtiger ist, als das, was sie von ihren Local Guides gratis bekommen.

Gnadenlos

Es ist erschreckend, wie die grossen Internetfirmen über das Schicksal einzelner Accounts bestimmen. Ich vermute, dass es nicht einmal Menschen sind, die Entscheidungen treffen, sondern Computerprozesse. Diese sind so getriggert, dass beim Eintreffen gewisser Ereignisse Accounts einfach gelöscht werden. Für eine Wiedererwägung müssten dann Menschen Arbeit leisten, was kostet und daher ungern gemacht wird. Was spielt denn einer von hunderten von Millionen von Accounts für eine Rolle? Zack, Kopf ab! Das machen zwar z.B. auch Banken. Wenn jemand gewisse Auflagen nicht erfüllt, darf er kein Konto mehr haben. Aber die diesbezüglichen Regeln sind transparenter und ein Konto kann nicht einfach von heute auf morgen gelöscht werden. Der Kunde hat Zeit, es aufzulösen und kann dazu sogar einen Kundenbetreuer treffen, der ihm Alternativen aufzeigt.

Der Verlust von Konten in Sozialen Medien ist natürlich verkraftbar. Aber ich kann mir eine Welt vorstellen, in der es nicht nur um Social Media Konten geht, sondern um das Leben von Bürgern. Wenn ein Bürger irgend welche Auflagen verletzt, ob bewusst oder versehentlich, wird sein Leben durch Computerprozesse gelöscht. Er wird dann von einer Art Garbage Collection eingezogen und liquidiert, ohne dass die Exekutivkräfte selbst wissen, warum. Der Computer hat es so angeordnet. Es wird schon seine Richtigkeit haben. Es wäre zu kostspielig, darüber nachzudenken oder gar eine Untersuchung durchzuführen. Natürlich ist meine Vision bloss ein Hirngespinst. So etwas würde es ja nie geben. Und Ähnlichkeiten mit tatsächlich bestehenden Systemen ist rein zufällig!

2 Antworten auf „Wenn Computer entscheiden“

  1. Ja die kapitalistischen Big Tech Firmen haben immer mehr Einfluss auf unser Leben und die Gesellschaft, was bedenklich ist. Mehr oder weniger willkürliche Löschung von einzelnen Konten, politische Beeinflussung von Wahlen und Meinungen, etc. Die Lösung wären wohl dezentrale SoMe auf einer Blockchain. Das gibt’s ja bereits, leider fehlt dort das Geld, um die nötige Reichweite zu erlangen und sich gegen die Monopolisten (Meta, Google) durchzusetzen.
    Ich hoffe, dass sich Instagram noch meldet und einfach im Rückstand ist.

    1. Vielen Dank, lieber Philippe, für den Kommentar. Ja, es gäbe alternative Social Media, nicht nur auf der Blockchain. Das Fediverse z.B. ist ein Konglomerat dezentraler Dienste, von denen das Twitteranalogon „Mastodon“ wohl der bekannteste ist. Ich denke, das fehlende Geld ist nicht das Hauptproblem, sondern die systemische Pfadabhängigkeit von den Mainstreammedien: ich kann nicht wechseln, weil meine Freunde nicht wechseln, und die wechseln nicht, weil ich nicht wechsle.

      Aber es geht ja hier nicht nur um Social Media. Das ist noch das Wenigste. Es geht um die zunehmende Abhängigkeit von der IT, ob Big Data, künstliche Intelligenz oder auch bloss ganz einfache Automatisierungen. Ich war noch nie IT-kritisch, aber langsam dämmert’s auch mir!

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