Uwe Schimank spricht mir aus dem Herzen, wenn er schreibt, dass in sehr „komplexen“ Umgebungen die Methode der Planung zugunsten des Inkrementalismus oder gar der Improvisation in den Hintergrund rückt1. Er meint, dass nur wenig komplexe Projekte geplant werden können. Nimmt die Komplexität zu – wie er es nennt – dann nimmt die Fähigkeit zu rationalem Handeln linear ab. Die entsprechenden Handlungsalternativen zum Planen heissen dann Inkrementalismus und Improvisation.
Nicht nur Nachjustieren, sondern auf den Kopf stellen!
Ich gehe mit ihm durchaus einig darin, dass Planung in komplexen Situationen eine Illusion, ja sogar kontraproduktiv ist, wenngleich ich den Begriff „Komplexität“ in seinem Text durch „Entropie“ oder „Unüberschaubarkeit“ ersetzen würde. Auch würde ich das Gegenteil von „Improvisation“ nicht „Rationalismus“ nennen, sondern eher „systematisches Vorgehen“.
Was Dörner als „muddeling through“, also als „sich durchwursteln“ verurteilt2, versteht Schimank als einzige Möglichkeit, in sehr „komplexen“ Situationen zu handeln. Er schreibt:
Der Entscheider …. kalkuliert von vornherein ein, dass er fast alles, was er entscheidet, nicht bloss mehrfach nachjustieren, sondern gar nicht so selten nach kürzester Zeit völlig auf den Kopf stellen muss….Planlos ist das in dem Sinne, dass der Akteur … eine Schnelligkeit der Reaktion, des Sich-Umstellens und Sich-Einstellens … an den Tag legen muss, die durch Planung gerade ausgeschlossen würde.
Schimank zieht das Schachspiel als Vergleich hinzu. Das Mittelspiel ist meist sehr unüberschaubar und für eine längerfristig angelegte Strategie noch nicht reif genug. In dieser Situation wird sich der gute Schachspieler bei seinen Entscheidungen durch die Devise „keeping the future open“ leiten lassen, bis sich plötzlich ein „window of opportunity“ öffnet und einen Durchbruch erlaubt. Bis es soweit ist, begnügt sich der gute Schachspieler damit, im Spiel zu bleiben, sich keine Positionsnachteile einzuhandeln und weniger auf das Erringen von Positionsvorteilen zu setzen.
Ein Plan ist ein Potemkinsches Dorf
Genauso machen es Projektleiter sehr fluktuativer Projekte. Solche Projekte kann man nicht planen. Natürlich gehört am Anfang ein Plan dazu, mit Gantt-Chart und nach allen Regeln der Kunst. Der Plan ist aber eher als Seil gedacht, das senkrecht an der Wand herunter hängt. Kein Mensch denkt daran, dem Seil entlang auf der Direttissima zu klettern. Man wird einmal entlang eines Querrisses nach rechts und ein andermal nach links zum Einstieg eines Kamins klettern. Nach jedem Schritt entscheidet man den nächsten. Manchmal ist man auch bereit, ein paar Meter hinab zu steigen und eine andere Route einzuschlagen. Schlussendlich wird man den Gipfel auf einem Zickzackweg erklimmt haben, weitab vom anfänglich durch das hängende Seil vorgezeichneten Weg.
Schimank sieht die Funktion eines Plans in einer Realitätsfassade, quasi einer Kulisse, die „frontstage“ hochgradige Rationalität vortäuscht, um „backstage“ das zu tun, was man selbst für richtig und angemessen hält. Der Plan soll also den Kunden oder den QS-Beauftragten des Konzerns beruhigen, mehr nicht. Jeder Projektleiter muss wissen, wie man plant. Jedes Projekt muss geplant werden, bevor man damit beginnt; schon nur, um zu sehen, ob das Vorhaben überhaupt sinnvoll ist. Aber nach Projektstart kann der Plan ruhig geschreddert werden.
1Schimank, Uwe. Wichtigkeit, Komplexität und Rationalität von Entscheidungen. In Weyer, J. und Schulz-Schaeffer, I (Hrsg.). Management komplexer Systeme. Oldenburg, Münschen 2009.
2Dörner, Dietrich. Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen. Rowohlt Taschenbuch. 2003