Gibt es einen Königsweg, um in komplexen Situationen zu bestehen?

Je komplexer die Welt, desto mehr wird sie trivialisiert. Das fällt vor allem bei unseren Entscheidungsträgern auf, bei CEOs und Politikern. Es ist eine gute Frage, ob diese Leute nur einfach gestrickt sind oder bloss keine Zeit haben, um sich Gedanken über ihre Entscheidungen und ihr Handeln zu machen.
Stefan Hagen bringt es in seinem PM-Blog-Beitrag Lasst uns das doch pragmatisch angehen auf den Punkt, wenn er schreibt

Je komplexer Situationen und Probleme sind, umso mehr tendieren Menschen offensichtlich dazu, genau den falschen Weg einzuschlagen – nämlich den Weg der (unzulässigen) Vereinfachung

und Reinhard Wagner doppelt in seiner Dissertation nach1:

Die Ursachen für das in der Realität immer wieder auftretende Missmanagement von Systemen, wobei Menschen durch ihr Eingreifen oftmals mehr Schaden anrichten als sonst entstanden wäre, liegen offenkundlich tatsächlich in einem Unverständnis der systeminternen Abläufe und Zusammenhänge … und falschen mentalen Modellen

Was sollen wir denn tun? Ein Kommentar zu Stefan Hagens Beitrag lautet:

…. komplexe Probleme anzugehen bedeutet ZEIT und MODERATION und Über-den-Tellerrand-blicken

Wer hat denn heute noch Zeit dafür? Ein Teilnehmer der GPM-Forschungswerkstatt 2010 beklagte sich allerdings, dass die Forderung nach Denkpausen zu trivial sei. Er erwartet offenbar eine raffinierte und ausgeklügelte Methode zur Komplexitätsbewältigung. Denkpause zu fordern ist aber meines Erachtens bereits raffiniert, sie durchzuführen revolutionär.2
Peter Kruse verteidigt die Intuition als Lösungsansatz und kristisiert sowohl den analytischen Ansatz als auch Trial-and-Error. Ob es so einfach ist?

(Cartoon von Harm Bengen, http://www.harmbengen.de/. Er hat mir freundlicherweise die Erlaubnis gegeben, diesen Cartoon hier zu plazieren)

Menschen sind sich gewohnt, Prognosen zu machen. Sie stellen sich in jeder Sekunde vor, wie sich die Situation, in der sie sich befinden, entwickeln wird. Das muss jemand, der eingreifend handeln will. Denn nur, wenn er weiss, wie sich die Situation entwickelt, kann er Steuerungsmassnahmen entscheiden. In komplexen Situationen ereignet sich typischerweise Unerwartetes, das eben nicht vohersehbar, nicht prognostizierbar ist. Also sind Prognosen, Pläne und Risikoanalysen in einer komplexen Welt so gut wie wertlos.
Schragenheim und Burkhard:

The mathematical logic behind forecasting acknowledges the uncertain nature of the forecast information, and supplies an expected average result and an estimation of the forecast error. Our problem is most decision makers do not understand thenature of the forecast information leading to decisions that many times are poor3

Trotzdem ist der Mensch so gestrickt, dass er ständig Prognosen macht und Steuerungsmassnahmen plant, indem er annimmt, dass seinen Prognosen nicht nur wahrscheinlichkeitswertige Bedeutung zukommt. Dieses Verhalten kommt noch vor der Intuition. Intuition ist in einer komplexen Welt auch nicht über alle Zweifel erhaben. Sie schlägt uns zu oft ein Schnippchen.
Wir müssen es machen, wie der Held im Land der Prüfungen: Er versucht nicht, sich ständig auszumalen, was für ein Monster als nächstes seinen Weg kreuzt, denn die Monster, die er bisher gesehen hat, konnte er sich auch in seiner kühnsten Phantasie überhaupt nicht vorstellen. Er entscheidet sich dann, wenn er vor dem Monster steht (Pragmatismus). Aber er weiss auch, dass es Monster gibt, denen zwei Köpfe nachwachsen, wenn er ihnen den einen abhackt. Seine Taktik ist daher: zuerst ausweichen, Rückzug in die Denkpause; dann Monster einschätzen (Intuition), mögliche Handlungen ausdenken (Kreativität), Handlungen auf Neben- und Fernwirkungen untersuchen (analytischer Ansatz), effektivste Handlung auswählen und zuschlagen.

Wenn Manager schon keine Zeit haben, diesen Weg zu beschreiten, dann sollten sie ihn wenigstens delegieren. Es gibt viele systemische Berater, die wissen, was Fern- und Nebenwirkungen sind, mit Rückkopplungen umgehen können, den Unterschied zwischen Verzögerungen erster und höherer Ordnung kennen und Komplexität nicht einfach reduzieren wollen.

1 Wagner R. Stock-Flow-Thinking und Bathtub Dynamics – Eine Theorie von Bestands- und Flussgrößen. Dissertation Universität Klagenfurt, 2004.

2Addor, P. Projektdynamik – Komplexität im Alltag. Liebig Verlag. Frauenfeld 2010

3Schragenheim, Eli & Burkhard, Rudi. Drum Buffer Rope and Buffer Management in a Make-to-Stock Environment

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