Ich denke oft über die Frage nach, inwiefern aktives Eingreifen in einer unbestimmten und fluktuativen Situation für einen Manager ratsam ist. Es ist eine Charakterfrage, ob eine Person aktiv steuernd oder eher beobachtend ist, ähnlich wie jemand introvertiert oder extravertiert sein kann1. Es gibt extravertierte Beobachter und introvertierte Macher, obwohl eher das Gegenteil repräsentativ ist. Grundsätzlich haben die Persönlichkeitsmerkmale „introvertiert/extravertiert“ und „steuernd/beobachtend“ nichts miteinander zu tun.
Dörner und seine Schüler haben in den 1980er Jahre verschiedene Untersuchungen mit simulierten Situationen gemacht. Am bekanntesten ist Lohhausen, eine simulierte Stadt, die von den Versuchspersonen in der Rolle des Bürgermeisters zum Wohlstand geführt werden musste. Erfolgreiche Versuchspersonen konnten das Kapital (der Stadt), die Zufriedenheit der Bürger sowie die Produktion kontinuierlich steigern, während sie die Wohnungsknappheit und die Arbeitslosigkeit auf niederem Niveau hielten. Bei erfolglosen Versuchspersonen hingegen explodierte die Arbeitslosigkeit förmlich, Produktion und Kapital nahmen ab und die Zufriedenheit erreichte bei Spielende einen absoluten Tiefpunkt. Dörner et al. fragten sich, welche Persönlichkeitseigenschaften für diese Resultate verantwortlich sind. Sie identifizierten sechs Eigenschaften, die erfolglosen Versuchspersonen (Vpn) gemein sind:
- Schlechte Vpn vagabundieren von Thema zu Thema oder kapseln sich in einem meist irrelevanten Teilthema ab
- Schlechte Vpn analysieren die jeweiligen Umstände weniger genau als gute
- Schlechte Vpn treffen wenige Entscheidungen und koordinieren ihre Entscheidungen nicht; sie handeln „ad hoc“
- Schlechte Vpn zeigen weniger Selbstreflexion und Selbstorganisation als gute
- Schlechte Vpn benötigen mehr Informationen „von aussen“ als gute
- Schlechte Vpn zeigen weniger Vorausplanung und Vorausorganisation als gute2
Ob die Tatsache, dass Dörner et al. eine negative Formulierung wählten und nicht angaben, was erfolgreiche Vpn auszeichnen, bedeutet, dass die Aussagen nicht umkehrbar sind? Weitere Ursachen für häufiges Misslingen beim Umgang mit komplexen Problemen ist:
- Langsamkeit und geringe Kapazität des bewussten Denkens
- Tendenzen zum Schutz des Kompetenzgefühls
- Übergewichtung der aktuellen Probleme
- Vergessen3
Interessant ist aber nun die Feststellung von Funke4
Personen, die aktiv ein komplexes Problem bearbeiten, sind „reinen Beobachtern“ in der Problemlösung überlegen und weisen im Anschluss an die Problembearbeitung eine andere subjektive Problemstruktur (Systemwissen) auf.
Funke behauptet also, dass aktives Eingreifen zu besseren Resultaten führt, als reines beobachten, was den meisten Menschen wohl naheliegend scheint. Ich möchte das aber hinterfragen. Wie wir in Komplexität revisited gesehen haben, durchläuft ein sich entwickelndes System immer wieder Weggabelungen. Je nachdem, welche Abzweigungen es einschlägt, kommt es an ein anderes Ziel. Aktives Eingreifen soll das System bei Abzweigungen in die gewünschte Richtung lenken. Das mag funktionieren, wenn der steuernde Manager allein ist (wie im Lohhausen-Experiment). Sobald die Steuerung des Systems ein Mehrpersonenspiel wird und neben dem Manager auch Wettbewerber und Politiker versuchen, die Entwicklung des Systems zu beeinflussen, könnte man gerade so gut würfeln, um die Richtung des Systems zu bestimmen. Es kommt auf dasselbe hinaus, wie wenn alle nur zusehen, wohin sich das System bewegt. Wenn aber alle bis auf einen nur beobachten, dann freut sich dieser eine, denn er kann das System so beeinflussen, dass es „nach seiner Pfeife“ tanzt. Das ist der Grund, weshalb Sie aktiv eingreifen sollten. Nicht, weil Sie etwas bewirken könnten, sondern nur um zu verhindern, dass einer zum Diktator wird.
Ein Beispiel mag das erhellen. Zwei Akteure bieten exakt dieselbe Menge desselben Produkts an. Der Preis ist eine monoton fallende Funktion des Gesamtangebots. Angenommen, ein Akteur werde aktiv und verringere sein Angebot ein wenig. Dadurch steigt der Preis und er hat unter Umständen einen höheren Gewinn. Der passive Akteur dagegen hat durch die Aktion seines Wettbewerbers mehr gewonnen, da er immer noch die ursprüngliche Menge anbietet, nun allerdings zum höheren Preis.
Das zeigt, dass es nicht immer ratsam ist, aktiv einzugreifen. Möglicherweise haben die unbeabsichtigten Konsequenzen der Aktionen der anderen Stakeholders eine positive Auswirkung auf meine Interessen.
1Es existiert eine angeregte Diskussion, ob der Terminus „extravertiert“ richtig ist oder eher „extrovertiert“. Letzteres scheint eindeutig falsch zu sein.
2Dörner, D.; Kreuzig, W.H.; Reither, F.; Stäudel, T. Planen, handeln und entscheiden in sehr komplexen Realitätsbereichen. In Michaelis, W. (Hrsg.), Bericht über den 32. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Zürich 1980. Göttingen. Hogrefe.
3Dörner, D. Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen. Rowohlt Taschenbuch, 2003
4Funke, J. Systemmerkmale als Determinanten des Umgangs mit dynamischen Systemen. In: Sprache und Kognition 9/1990