Die Frage, wie in einem Projekt mit vielen unvorhergesehenen Ungewissheiten vorgegangen werden soll, beschäftigt uns seit langem. Weil das klassische Projektmanagement hier keine griffigen Antworten anbietet, haben wir eine tiefe Skepsis gegen Planung und trivialisierende Methoden entwickelt.
Erfahrungsgeleitetes Handeln
Fritz Böhle berichtet von Menschen, die
auch ohne vorangehende Entscheidungen und Planungen Aufgaben und Probleme durch ‚situatives Handeln‘ erfolgreich lösen
können1. Dazu schlägt Böhle erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Vorgehen vor und stellt die Rolle des Erfahrens durch und während des praktischen Handelns in den Mittelpunkt. Er betont jedoch, dass der Begriff „Erfahrung“ hier nicht im üblichen Sinne eines „Erfahrungsschatzes“, der in der Vergangenheit gesammelt wurde, verwendet wird, sondern vielmehr bedeutet, dass die Erfahrung im Moment des Handelns gemacht wird. Das kommt der Tatsache entgegen, dass Projekte einen erst- und einmaligen Charakter haben und daher ein „Erfahrungsschatz“ nicht immer zweckdienlich ist.
Keine Planung kann tödlich sein
Es ist klar, dass niemals auf Planung verzichtet werden kann. Wer beispielsweise eine Polarexpedition machen will, kann nicht einfach losziehen, ohne sich etwas zu überlegen. Spätestens am Rand des Polareises wird er feststellen, dass die Mitnahme eines Paar Handschuhe eine gute Idee gewesen wäre. Also muss er zurückkehren bis zum nächsten Warenhaus, um sich Handschuhe zu kaufen. Fatal wird es, wenn er auf halber Wegstrecke plötzlich nichts mehr zu essen hat und sich entkräftet auf das Eis legt. Eine seriöse Planung ist für jedes (Expeditions-)Projekt unabdingbar.
Für Risiken gibt es einen Plan B
Aber trotzdem wird man nie alle Eventualitäten voraussehen und wegplanen können. Voraussehbare Ereignisse, von denen man aber nicht weiss, ob und wie heftig sie eintreffen werden, nennt man Risiken. Planung und Risikomanagement sind mittlerweile gut entwickelte Aspekte des klassischen Projektmanagements und daher für unsere Untersuchungen nicht von Interesse.
Sehr oft sehe ich, dass Projekte an unerwarteten Ereignissen scheitern, die aber durchaus vorhersehbar gewesen wären, wenn man vor Projektbeginn versucht hätte, auch das Undenkbare zu denken. Dazu braucht es manchmal tiefere Einsichten in Zusammenhänge, die zunächst kontraintuitiv daherkommen. Das Studium solcherart systemischer Zusammenhänge benötigt Zeit und rationale Analyse. Danach ist man aber in der Lage, eine Reihe von zunächst unvorhergesehenen Ungewissheiten zu erkennen und in Risiken zu transformieren.
Ungewissheit hat mit Überzeugungen zu tun
Dennoch lässt sich der Bestand an unvorhergesehener Ungewissheit nie zum Verschwinden bringen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als erfahrungsgeleitet-subjektivierend an die Sache heranzugehen, d.h. mit der Umsetzung des Projekts zu beginnen und zu schauen, was da auf uns zukommt. Ich habe das etwas provokativ „Durchwursteln statt planen“2 genannt. Erscheint plötzlich ein feuerspeiender Drache, dann müssen wir eben sehen, was wir machen können. Und wer jetzt denkt, dass man ja ein Schwert hätte mitnehmen können, der hat nicht verstanden, was der Begriff des „unvorhergesehenen Ereignis“ bedeutet: Kein Mensch nimmt ein Schwert in ein Projekt mit, weil niemand glaubt, dass in einem Projekt ein feuerspeiender Drache auftauchen kann, geschweige denn, dass es überhaupt feuerspeiende Drachen gibt! Es geht bei unvorhergesehener Ungewissheit um das, was wir glauben, an unsere Überzeugungen und Anschauungen.
Nicht zuerst denken und dann handeln, sondern beides gleichzeitg!
Situatives Handeln ist aber nicht völlig gleichbedeutend mit rein intuitivem Handeln. Viele Autoren überzeichnen die Intuition als die einzige Möglichkeit, komplexe Zusammenhänge wahrnehmen und die richtige Antwort darauf finden zu können.
Das genaue Hinschauen, die präzise Analyse und die angemessene sprachliche Vermittlung eines Sachverhaltes entsprechen nicht unbedingt der kollektiven Bedürfnislage unserer Epoche3
Wir bräuchten indessen keinen hochentwickelten Verstand und kein umfangreiches Bewusstsein, wenn Intuition alleine genügen würde. Auch bei erfahrungsgeleiteten-subjektivierendem Vorgehen ist Raum für Analyse. Vielleicht ist beim Auftauchen des feuerspeienden Drachens die erste Reaktion, zu der wir intuitiv neigen, nicht nur nicht angezeigt, sondern lebensbedrohlich. Ich würde deshalb zu situativ besonnenem erfahrungsgeleitetem Handeln raten. Das darf schon mal eine stochastische oder systemdynamische Überlegung mit einbeziehen!
1Böhle, Fritz. Projektmanagement und Projektarbeit mit Ungewissheit. Vorabdruck 2013, S. 6
2Addor, Peter. Durchwursteln statt planen. Blogbeitrag 2009, überarbeitet 2013. http://bit.ly/V5xEyN
3Nicholas Mailänder, Verleger und Alpinist