Nachdem ich über die Lage Sri Lankas aus der Froschperspektive schrieb, fragte der Leser Sepp Stadelmann, der selber in Venezuela lebt, wie es um die (Volks)Wirtschaft Sri Lankas stehe. Da ich weder einen lokalen Volkswirtschaftsprofessor, noch einen Beamten des Volkswirtschaftsdepartements kenne, kann ich nicht mehr tun, als ein paar Eckdaten im Web zusammensuchen. 99 % des folgenden Texts sind Zitate aus den verlinkten Quellen. Ich setze sie aber weder in Anführungszeichen noch kursiv, weil sonst quasi der ganze Artikel kursiv wäre!
Allgemeines
Sri Lanka ist ein Staat mittleren Einkommens und hat es im Vergleich zum südasiatischen Umfeld (Indien, Pakistan, Bangladesch) zu relativem Wohlstand gebracht. Im Mai 2022 rutschte das Land nach einer Wirtschaftskrise erstmals in seiner Geschichte in die Zahlungsunfähigkeit. Die Staatsverschuldung nimmt seit 2012 zu. Damals betrug sie 70 %. Im Jahr 2021 war sie auf 107 % angewachsen. Staatsanleihen von Sri Lanka gelten damit als „Ramsch“ (Wikipedia).
Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit im Jahr 1948 ist die Inselnation zahlungsunfähig. Die NZZ schrieb zum 75. Jahrestag von Sri Lankas Unabhängigkeit: „Den Sri Lankern ist nicht nach Feiern zumute“. Präsident Wickremesinghe erklärte, die Regierung wolle bis zum Jahr 2025 einen Überschuss im Primärhaushalt erzielen und die Staatsverschuldung, die derzeit bei 140 % des BIP liegt, bis 2032 auf unter 100 % senken (Daily Sabah). Die Krise dürfte also länger dauern!
Exportgüter
Die wichtigsten Exportwaren Sri Lankas sind Textilien, Bekleidung, Tee, Kautschuk- und Kokosnussprodukte. Industrielle Einrichtungen wurden nach der Unabhängigkeit 1948 verstaatlicht. Die Volkswirtschaft litt unter Ineffizienz, langsamem Wachstum und Mangel an ausländischen Investitionen. 1977 brach die Regierung mit der Verstaatlichung und fördert seither die Privatwirtschaft. (Wikipedia)
Für viele Firmen geht es momentan darum, die Produktion überhaupt am Laufen zu halten. Insbesondere die fragile Stromversorgung macht vielen Unternehmen zu schaffen. Zusätzlich gibt es Probleme bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten – vorwiegend, wenn es sich um Importe handelt. (Germany Trade and Invest)
Erschwerend kommt sinkender Wohlstand hinzu. Laut der Central Bank of Sri Lanka (CBSL) soll das BIP pro Kopf von 3.815 US$ im Jahr 2021 auf 3.041 US$ im folgenden Jahr sinken. Im April 2022 erreichte die Inflationsrate (National Consumer Price Index) zudem fast 34 Prozent. Beobachter vor Ort sprechen jedoch von deutlich höheren Preissteigerungen. Des Weiteren sind viele Waren überhaupt nicht verfügbar, weil die Importe nicht bezahlt werden können. Eine schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Die Anhebung der Mehrwertsteuer im Juni 2022 von 8 auf 12 Prozent dürfte die Kauflaune ebenfalls trüben (Germany Trade and Invest). Als wir vorgestern in Colombo waren, kamen wir zufälligerweise an einer Demonstration gegen Steuererhöhungen vorbei. Ich stelle mir vor, dass es sich vor allem um Beamte handelte, die relativ gut verdienen und nun beträchtlich höhere Steuern bezahlen sollten.
Interessant sind die Exportzahlen. Die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) gibt folgende Zahlen für 2017 an:
21.3 Mrd. US$ Einfuhren gegenüber 11,7 Mrd. US$ Ausfuhren, darunter
Textilien/Bekleidung | 45.1 % |
Nahrungsmittel | 23.3 % |
Kautschukprodukte | 5.4 % |
Rohstoffe (ausser Brennstoffe) | 2.9 % |
Fahrzeuge | 2.9 % |
Nichtmetallische Mineralien | 2.7 % |
Petrochemie | 2.5 % |
Interessant ist die Diskrepanz zwischen Ein- und Ausfuhren. Bei 10 Mrd. US$ Einfuhrüberhang bleibt nichts, das Devisen generieren könnte.
Demgegenüber spricht der 312seitige „Export Performance Indicator 2021“ Report des Sri Lankischen Export Development Board für 2017 von Ausfuhren im Wert von 15 Mrd. US$. Was gilt jetzt?
2021: 14 Mrd. US$ Ausfuhren (27 % nach Nordamerika, 17 % EU, 7 % UK, 7 % Indien, 2 % China)
Tourismus
Der Tourismus ist eine wichtige Branche in Sri Lanka. Die Insel ist ja wahrhaft paradiesisch und bietet für Reisende, die nicht tauchen, bedeutend mehr, als die benachbarten Malediven. Dennoch sind diese als Feriendestination beliebter. In Sri Lanka führe ich dies auf mangelhaftes oder fehlendes Tourismusmarketing zurück. Nach dem Ende des Bürgerkrieges 2009 stieg die Zahl der Besucher. Für Dezember 2017 wurden über 240.000 ankommende Touristen registriert (Wikipedia).
Von Januar bis April 2022 wurden wieder fast 350.000 Besucherankünfte gezählt und damit 79 Prozent mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Allerdings ließ die Wachstumsdynamik von März auf April 2022 deutlich nach. Das lag auch an weniger Reisenden aus Russland, die noch im Februar dieses Jahrs mit 15,9 Prozent die größte Besuchergruppe darstellte. Bis April 2022 sank dieser Wert vor allem wegen des Russland-Ukraine-Kriegs auf 6,2 Prozent. Im Jahr 2020 wurden rund 507.700 Besucher aus aller Welt auf Sri Lanka gezählt (statista).
Sri Lanka erwirtschaftete im 2020 allein im Tourismus-Sektor rund 942,04 Millionen Euro. Dies entspricht 1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Im Jahr 2020 brach der Umsatz mit Touristen aufgrund der Corona-Pandemie ein. Von den 4,17 Milliarden Euro (2019) blieben nur noch 942,04 Millionen Euro übrig. Dies ist ein Rückgang um 77 Prozent (länderdaten).
Sri Lankas Tourismuseinnahmen beliefen sich im 2022 auf 1,257 USD Mio.
Projekte
Bezeichnung | Investition Mrd US$ | Status | Bemerkungen |
Western Region Megapolis Planning Project | 40 | Geplante Fertigstellung bis 2030, aktuell wenig Fortschritte aufgrund von Finanzierungsunsicherheiten | Erweiterung der Metropolregion um Colombo |
Colombo Port City | 14 | geplante Fertigstellung bis 2041 | Hafenbauprojekt in Colombo unter chinesischer Federführung |
Bau einer neuen Raffinerie mit einer Kapazität von 100.000 Barrel pro Tag in Sapugaskanda | 2-3 | Investitionsmodell im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft | |
Elevated Highway Project | 1 | Aktuell in der Umsetzung; geplante Fertigstellung 2025 | Hochstraße zwischen der Neuen Kelani-Brücke und Athurugiriya |
Entwicklung des West Container Terminals in Colombo im Rahmen des Modells „Build, Operate and Transfer“ | 0.75 | Angekündigt im März 2021; für einen Zeitraum von 35 Jahren unter öffentlich-privater Partnerschaft | Adani Ports and Special Economic Zones Ltd. hält 51 Prozent der Anteile und ist Partner von John Keells Holdings PLC und der Sri Lankan Port Authority |
Bandaranaike International Airport Development Project Phase II | 0.6 | Geplante Fertigstellung bis Dezember 2024 | Finanzierung durch die Japan International Cooperation Agency |
Zwei Projekte für erneuerbare Energien mit einer Gesamtkapazität von 500 MW in Mannar und Pooneryn | 0.5 | Angekündigt im März 2022; MOU unterzeichnet | Adani, CEB, etc. |
Hintergrundinformationen
Geschichte und Aussicht
Nach dem Zweiten Weltkrieg trieben Kapitalflüsse im Rahmen des Marshall-Plans den raschen Wiederaufbau Europas an, und nachdem sich die europäischen Länder erholt hatten, initiierten sie selbst Auslandshilfen und andere offizielle Geldflüsse in die Entwicklungsländer. Südkorea war in den 1950er Jahren eines der weltärmsten Länder. Doch nach Umsetzung bedeutender politischer Reformen war es in der Lage, mittels großer Kapitalzuflüsse Investitionen mit sehr hohen Renditen zu finanzieren. Inzwischen ist es eine hochentwickelte Volkswirtschaft.
Doch nicht alle einkommensschwachen Länder verfolgten gesamtwirtschaftliche und sonstige das Wachstum fördernde Strategien. Viele nahmen Kredite auf, um Zahlungsbilanzdefizite auszugleichen oder andere Probleme zu lösen, und erschöpften so ihre Devisenreserven und gefährdeten ihren Zugang zu den privaten Kapitalmärkten.
Die internationale Gemeinschaft begegnete diesen Problemen jahrzehntelang über den Internationalen Währungsfonds und eine informelle Übereinkunft zwischen den als Pariser Club bezeichneten offiziellen (staatlichen) Kreditgebern.
In den letzten beiden Jahrzehnten jedoch, in denen sich China zu einem wichtigen Kreditgeber der Entwicklungsländer entwickelt hat, hat sich die Situation deutlich verändert. Chinas Entwicklung zu einem führenden Kreditgeber hat Probleme geschaffen, und zwar nicht zuletzt, weil es sich geweigert hat, dem Pariser Club beizutreten. Während die Mitglieder des Pariser Clubs Informationen über die Höhe der ihnen geschuldeten Beträge austauschen, tut China das nicht.
Während Sri Lanka – zusammen mit Malawi – die Bedingungen eines neuen IWF-Programms unter Zögern akzeptiert hat, kann die Vereinbarung nicht unterzeichnet werden (und die Gelder können nicht freigegeben werden), bis die Tragfähigkeit der Schulden hergestellt ist.
Ohne internationale Hilfe werden diese hochverschuldeten Länder mit anhaltenden Verknappungen von Strom, Treibstoffen und anderen unverzichtbaren Gütern konfrontiert werden (wie wir sie in Sri Lanka im letzten Jahr gesehen haben). Dies wird zu wirtschaftlicher Stagnation oder einem wirtschaftlichen Niedergang führen. Wenn weitere Länder in diese Falle geraten, wird das humanitäre Krisen und einen steilen Anstieg der Armut zur Folge haben (project-syndicate).
Zinspolitik der Industrienationen
Leitzinserhöhungen sind die Antwort auf eine andere Art der Inflation als diejenige, die wir heute erleben. Würde sie dadurch verursacht, dass die wirtschaftliche Nachfrage das Angebot überstiege, wäre die Senkung der Nachfrage durch höhere Zinsen der richtige Weg. Das ist bei der aktuellen Inflation aber nicht der Fall. Eine Studie des Roosevelt Institute etwa hat aber gezeigt: Ein Grossteil der Inflation rührt daher, dass Konzerne und Spekulanten ihre Margen dramatisch erhöht haben, sagt Jayati Ghosh, Professorin an der University of Massachusetts Amherst. Sie ist eine der international profiliertesten Ökonominnen.
Die Preise von Treibstoff, aber auch von Nahrungsmitteln sind vor allem nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine in die Höhe geschnellt, womit Ölkonzerne und das Agrobusiness ihre Gewinne in die Höhe schraubten. Da die Angst vor einer Verknappung des Angebots umging, stieg die Nachfrage der Investoren, worauf die Konzerne höhere Preise verlangen konnten. Diese Güter werden zur Produktion und Verteilung aller anderen Güter eingesetzt. Entsprechend fliessen ihre Preise in alle anderen Preise mit ein.
Als die G7-Staaten nach der Finanzkrise von 2008 auf billiges Zentralbankgeld angewiesen waren, senkten sie die Zinsen, womit eine Schwemme an spekulativem Kapital in die Länder des Südens floss. Nach den riesigen Staatsausgaben zu Beginn der Pandemie schrauben sie nun die Zinsen nach oben, was für diese Länder dramatische Folgen hat.
Da die Zinsen in den USA und Europa steigen, wollen die Investoren lieber dort investieren und ziehen ihr Kapital aus den südlichen Staaten ab. Entsprechend steigen für diese Länder die Kosten für ihre Schulden. Es wäre das Mindeste, ihnen nun einen Teil dieser Schulden zu erlassen (woz).