Risikomanagement ist einfacher zu lehren, als der Umgang mit Unvorhersehbarem

Der Schlamassel um das japanische Kernkraftwerk Fukushima I im Zusammenhang mit dem Erdbeben vom 11. März 2011 zeigt wieder einmal klar, wie Menschen (vor allem im daily Business, nicht einmal in Notzeiten) ihre technischen und gesellschaftlichen Einrichtungen entwickeln.

Durch das Erdbeben wurden die Reaktoren automatisch abgeschaltet. Aber auch abgeschaltete Reaktoren erzeugen noch lange Nachzerfallswärme, die abgeführt werden muss. Die Zufuhr von Kühlwasser geschieht mittels elektrischer Pumpen. Da infolge des Erdbebens die Stromzufuhr unterbrochen war, starteten die Notstromaggregate. Diese wurden durch den Tsunami überflutet und stoppten. Mobile Generatoren wurden herangefahren. Aber….

  1. …diese konnten aufgrund fehlender Kabel (und verschütteter Zufahrtswegen) nicht angeschlossen werden1
  2. Offenbar ereignete sich um 2006/07 bereits ein Unfall, weshalb die Inbetriebnahme der Blöcke 7 und 8 um ein Jahr verschoben wurden. Andere Massnahmen wurden nicht in Betracht gezogen.2

  3. Der Betreiber fälschte aus Kostengründen 16 Jahre lang die Berichte über den Zustand des KKW, um Inspektionen aus dem Weg zu gehen.3

2. und 3. sind Vorwarnsignale, die bei einer derart risikobehafteten Technologie, wie KKW, eigentlich hätten aufhorchen lassen. Ein high-reliability-organization würde solche Signale achtsam wahrnehmen und daraus lernen4.

Komplexe Systeme zeichnen sich durch eine hohe Rate an Unvorhersehbarem aus. Unsere Manie, alles vorhersehen zu wollen, führt unweigerlich zu einer „alles-ist-machbar,-alles-unter-Kontrolle“-Überzeugung. Komplexitätsmanagement bedeutet, mit unvorhersehbaren Ungewissheiten umgehen zu können. Die Abgrenzung zu vorhersehbaren Ungewissheiten – umgangssprachlich „Risiken“ genannt – ist fliessend.

Zu 1. muss man sich allenfalls fragen:

  • Warum werden KKW direkt am Meer gebaut (vor allem im Usprungsland des Wortes „Tsunami“)?
  • Warum ist das Szenario, mobile Generatoren in den Einsatz zu bringen, nicht hinreichend geplant worden?
  • Warum wurden die Generatoren nicht per Helikopter angeliefert (so dass verschüttete Zufahrtswege keine Rolle gespielt hätten)?
  • Warum sind elektrische Anschlussstecker noch immer nicht standardisiert?

Es muss halt immer alles sehr schnell und günstig gehen. So wie Politiker und Manager langfristig entscheiden (mitunter mit todbringenden Konsequenzen), entscheiden Projektmanager auch in Projekten. Da diese Entscheide schlimmstenfalls den Misserfolg des Projekts zur Folge hat, wird darauf nicht weiter Gewicht gelegt. Es wäre klüger, Projektmanager in Komplexitätsmanagement und (psychologischer) Entscheidungstheorie auszubilden, statt sie zu lernen, wie man Gantt-Diagramme zeichnet.

1taz.de, Atomalarm in Japan. 12.3.2011

2Wallstreet Online, TEPCO verschiebt Fertigstellung von Kernkraftwerk, 28.3.2007

3Spiegel Online, AKW-Betreiber Tepco – Die Vertuschungsfirma, 12.3.2011

4Weick, Karl & Sutcliffe, K. Das Unerwartete managemn – Wie Unternehmen aus Extremsituationen lernen. Klett-Cotta. Stuttgart, 2003

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