Im Buchstaben ganz versunken schwindet alles heitre Licht, und der Schüler, wie betrunken, sieht den Wald vor Bäumen nicht1

In “Teile und Herrsche” oder “Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile”?  habe ich einen Ansatz zur Diagnose von unvorhersehbaren Ungewissheiten – Amerikaner nennen sie unknown unknowns, abgekürzt: unkunks – vorgestellt2 und dabei kritisiert, dass mich die Zerlegung eines Systems in seine Sub-Systeme an reduktionistische Vorgehensweisen erinnert. Vielmehr plädiere ich für eine ganzheitliche Betrachtung eines Systems. Unsere Intuition ist nur deshalb so effizient in der Betrachtung komplexer Situationen, weil sie sie ganzheitlich wahrnimmt.

Loch, Solt und Bailey stellen in ihrem Artikel eine Fallstudie der Unternehmung Escend Technologies vor. Escends Angebot ist eine Drehscheibendienstleistung in einem Markt, der komplexe elektronische Produkte vertreibt, die aus Teilen vieler Hersteller zusammen gesetzt sind. Dadurch entstehen eine unübersichtliche Anzahl von Rollen und Schnittstellen.

Die Investoren von Escend Technologies setzten Elaine Bailey ein. Sie sollte feststellen, ob sich weitere Investitionen in die Firma lohnen. Sie setzte die Diagnosemethode von Loch und Solt ein, die auf der Zerlegung in Sub-Systeme beruht. In der Tat handelt es sich eher um eine Liste der anstehenden Problemen, als eine reduktionistische Zerlegung in Sub-Systemen (S. 19). Jedes Problem wurde dann auf mögliche Ungewissheiten hin bewertet. Wie das geschehen ist, bleibt unklar. Es ist ziemlich trivial, dass Kunden- und Marktaspekte am meisten Ungewissheiten beinhalten. Teamaspekte wurden jedoch als reine Risiken bewertet, die vorhersehbar seien.

Der Zusammenhang der Sub-Systeme (klicken Sie zum Vergrössern auf das Diagramm)
Der Zusammenhang der Sub-Systeme (klicken Sie zum Vergrössern auf das Diagramm)

Die Liste der anstehenden Probleme und „Baustellen“ ist ein guter Anfang. Danach müssten sie jedoch eher in ein big picture integriert, als weiter in Details zerlegt werden. Ich habe versucht, mit den meisten der in der Liste von Loch, Solt und Bailey aufgeführten Probleme ein mögliches big picture zu entwerfen.

Das Diagramm ist eine mögliche Art, wie Einzelprobleme in ein Ganzes integriert werden können. Es erhebt nicht den Anspruch der Absolutheit. Es hat lediglich die Aufgabe, dem Entscheider zu helfen, die gegenseitige Abhängigkeit der Probleme wahrzunehmen. Wenn in einem Bereich ein Unkunk eintritt, dann hat das Auswirkungen auf alle anderen Bereiche. Man kann nicht davon ausgehen, dass der Problemkreis des Kundenverständnisses Unkunkpotential enthalte, die Dynamik des selbstgefälligen Managementteam jedoch vorhersehbar sei. Sogar wenn vom Managementteam keine Unkunk-Gefahr ausgeht, kann es durch eine (vorhersehbare) Ungeschicklichkeit einen Unkunk im Kundensystem auslösen.

Das Diagramm kann aber auch helfen, sogenannte Hebel zu identifizieren, die der Entscheider zur Verfügung hat. Doch davon in einem späteren Beitrag.

1Titel von Brentano

2Christoph H. Loch, Michael E. Solt und Elaine M. Bailey . Diagnosing Unforeseeable Uncertainty in a New Venture. Journal of Product Innovation Management, Volume 25, Issue 1, pages 28–46, January 2008

Eine Antwort auf „Im Buchstaben ganz versunken schwindet alles heitre Licht, und der Schüler, wie betrunken, sieht den Wald vor Bäumen nicht1“

  1. „Sogar wenn vom Managementteam keine Unkunk-Gefahr ausgeht, kann es durch eine (vorhersehbare) Ungeschicklichkeit einen Unkunk im Kundensystem auslösen.“
    Ihrem Satz ist nichts hinzuzufügen. Allein die Vorstellung, dass es unknown unknowns Stakeholder (Unkunk-Stakeholder) geben könnte, überfordert viele Projektmanager bei der Identifizierung von Projekt-Stakeholdern.

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