Sind Sie auch stolz auf Ihre Intuition wie Gerd Gigerenzer?

Im der Novemberausgabe des Swiss Leader Magazin 2009 kommt Gerd Gigerenzer zu Wort – „der meistzitierte Psychologe im deutschsprachigen Raum“ 1. Er macht auf die Macht der Intuition aufmerksam. Er bezeichnet die Intuition als „Intelligenz des Unbewussten“, die komplexen Umwelten nur wenige Informationen entnimmt und daraus entscheidet, welchen Regeln wir in unseren Entscheidungen folgen. Gigerenzer lobt diese verblüffende Fähigkeit unseres Gehirns als den raffiniertesten Denk- und Computerstrategien überlegen, räumt am Schluss jedoch ein, dass sie uns fehlleiten kann.

Ich finde Gigerenzers Beschreibungen menschlicher Entscheidungsheuristiken jeweils sehr spannend. Aber ich finde es äusserst gefährlich, unsere Heuristiken als einer komplexen Welt angepasst zu empfehlen. Sie entwickelten sich vor vielen zehntausend oder wahrscheinlich eher hunderttausend Jahren und waren auf das Überleben in der damaligen Welt zugeschnitten. In den letzten hundert Jahren – also sozusagen innerhalb „no time“ – haben wir die globale Komplexität der Welt jedoch derart gesteigert, dass wir die Konsequenzen unserer Entscheidungen und Handlungen nicht mehr unmittelbar wahrnehmen können. Die Intuition ist nur dann hilfreich, wenn wir unsere Entscheidungsregeln auf Grund von Erfolg und Misserfolg anpassen können. Das ist wegen der gesteigerten globalen Komplexität heute jedoch nicht mehr immer möglich. Intiution mag in einer materiellen Welt nützlich sein, wenn uns unmittelbar nach einer falschen Entscheidung ein Ziegelstein auf den Kopf fällt. In einer Welt jedoch, die vorwiegend aus Informationen besteht, die zuerst dreimal um die Erde reisen, sich dabei gegenseitig überholen und ein Dutzend mal transformiert werden, bevor uns der Stein auf den Kopf fällt, ist Informationen ignorierende Intuition nicht mehr brauchbar.

In den vergangenen vierzehn Tage habe ich zwei Mal ein Bierspiel moderiert. Die Bestellentscheide waren immer Bauchentscheide. Kein Teilnehmer machte sich Gedanken darüber, was er wirklich braucht, wie viele Runden die Lieferfrist beträgt, wieviel Material tatsächlich in der Supply Line steckt, etc. Die Ergebnisse der Bierspiele waren denn auch entsprechend ungenügend.

Sebastian Hetzler fordert „Brain supporting environments“, um sich in unserer komplexen Welt zurecht zu finden2. Er vergleicht sie mit Kommandozentralen im Zweiten Weltkrieg. Dort waren grosse Kartentische, auf denen Hilfspersonal auf Zuruf der Kommandanten, die aus erhöhter Position auf die Karten herunter schauten, mit langen Stangen Spielzeugschiffe und -panzer verschoben.

Nein, ich bilde mir nichts ein auf meine Intuition, die zwar verblüffend schnell, aber eben nur regelbasiert funktioniert. Wir brauchen sie, weil die Alternative – das effektive Denken – zu energieaufwendig und zu langsam ist. Ich persönlich würde es begrüssen, das wissenbasierte Denken zu fördern, so dass die Evolution Wege findet, es zu beschleunigen und effizienter zu machen. Das kann allerdings dauern…..

1 Gigerenzer G. Bauchentscheidungen – die Intelligenz des Unbewussten. Swiss Leader Magazin. November 2009
2Hetzler S. „Brain supporting environment“ für Entscheide in komplexen Systemen.Rosch-Druck. Schesslitz, 2008

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