Kostenkalkulationen von Grossprojekten auf Lügen errichtet?

In der Onlineausgabe der Süddeutschen Zeitung von gestern 2. August, berichtet Sebastian Beck im Artikel Auf Lügen errichtet1 über verfälschte Kostenkalkulationen in Grossprojekten. Er zählt einige Beispiele auf, allen voran natürlich die Oper Sydney (vergisst aber die Elbphilharmonie zu erwähnen) und kommt zum Schluss, dass vor allem öffentliche Grossprojekte ihr Budget überziehen. Das hat nun Hamburgs Rechnungshof aufgeschreckt. Das 78-seitige Gutachten hat das Fazit, dass

ein Großteil der Fehler … bereits zu Beginn gemacht [wird]: „Schlecht geplant heißt teuer gebaut“

Das ist eine umwerfende Erkenntnis! Und ein Professor für Planung an der Universität Oxford, der sich angeblich seit Jahren mit internationalen Großprojekten und der chronischen Abweichung zwischen geschätzten und realen Kosten beschäftigt, setzt dem noch eins drauf:

Offensichtlich haben mehrere Generationen von Projektmanagern nichts dazugelernt. Den Kalkulationen von Projektmanagern und Gutachtern sollten [Auftraggeber daher] stets misstrauen. Alle Risiken wie etwa Bauverzögerungen, Managementprobleme oder veränderte Vorschriften wurden dabei ausgeblendet.

Ich schätze mal, dass dieser Professor nie in der Industrie gearbeitet und Projekte geleitet hat. Denn dann wüsste er, dass die Kostenschätzungen der Projektmanager meisten recht genau sind. Nur können diese Projekte nicht verkauft werden, so dass die Verkäufer nur immer sehr optistische Rechnungen präsentieren, die Unvorhergesehenes ausblenden.

Immerhin gibt der Professor zu, dass nicht derjenige gewinnt, der die realistischen Kosten ansetzt, sondern derjenige, der die niedrigsten Kosten vorgaukelt, auch wenn er später Nachforderungen erheben muss. Aber auch hier ist selten der Projetleiter des Auftraggebers oder dessen Einkäufer schuld, sondern deren Vorstand. Denn wenn die Nachforderungen eintreffen, ist er vermutlich schon wieder auf einem neuen Posten, wo er noch mehr verdient.

Diese Kurzsichtigkeit zieht immer grössere Katastrophen nach sich. Nicht die Generationen von Projektmanager müssen dazu lernen, sondern die Vorstände, deren Aufsichtsräte und wir Konsumenten!  Wir müssten endlich lernen, unsere Systeme – Wirtschaft, Projekte, Gesellschaft, etc. – besser zu verstehen, indem wir systemisch denken.

Der Professor meint, dass sich die systematische Unterschätzung von Kosten auszahlt und fordert, dass absehbare Kalkulationsfehler bestraft werden sollten. Das mag zwar ein hehrer Gedanke sein, ist aber nichtsdestotrotz hohles Geschwätz. Ich würde einfach einen viel zu hohen Kostenvoranschlag machen, um der Strafe zu entgehen. Alle würden sich vor mir tief verbeugen, weil ich anscheinend weise Voraussicht besitze und daher wüsste, was auf uns zukommt. Ich erhielte den Zuschlag und würde noch mehr daran verdienen, als im klassischen Fall, wo die Kosten absichtlich unterschätzt werden.

Ganz abgesehen davon möchte ich wissen, was absehbare Kalkulationsfehler sind. Sich täglich ändernde Anforderungen, wie sie in Grossprojekten Gang und Gäbe sind, sind nicht vorhersehbar, bilden aber eine wesentliche Ursache von Budgetüberziehungen. Es geht nicht um die Fähigkeit richtig kalkulieren zu können, sondern um die Fähigkeit, mit Unvorhergesehenem umgehen zu können! Daher ist das Fazit des Rechnungshofes („Schlecht geplant heißt teuer gebaut“) schlichter Hafenkäse.

1Teil 1 auch unter: http://www.webcitation.org/60emns2Yd

Teil 2 auch unter: http://www.webcitation.org/60emt5bEP

5 Antworten auf „Kostenkalkulationen von Grossprojekten auf Lügen errichtet?“

  1. Danke Peter, dass du solche Arroganz bzw. Blödheit bekämpfst.

    Es gibt immer noch Leute, die meinen, dass alles bekannt oder kennbar ist. Das Unbekannte oder Unkennbare wird als Unfähigkeit, Unprofessionalismus oder „bad luck“ taxiert, obwohl es ein natürlicher Bestandteil der Systeme ist. Führungsverantwortung zu übernehmen heisst für mich, sich mit dem Unbekannten auseinanderzusetzen. „Besser planen“ ist keine passende Antwort dazu…

  2. Hallo Peter,

    toller Artikel. Mir fällt dazu das so genannte Planungsparadoxon ein.

    (1) Je genauer voraussagbar die Zukunft ist – je stärker sie determiniert ist – desto besser funktioniert Planung.
    (2) Je stärker die Zukunft determiniert ist, desto weniger hat ein Unternehmen Einfluss auf sie, das heisst desto sinnloser ist die Planung.

    Wer heute noch an die Planungsprozesse glaubt, wie sie in Unternehmen praktiziert werden, muss auch an den Weihnachtsmann glauben. Denn genau so wie wir unseren Kindern diesen vorgaukeln, gaukeln wir uns selber die Richtigkeit der absurden Planung vor. Unglaublich.

    Denkerische Grüße,
    Conny

  3. Wenn ich mich recht erinnere, wurde schon vor langer Zeit ein ganz einfaches Mittel vorgeschlagen, um das Problem zu vermeiden:

    Ausschreibungen geben nicht dem günstigsten Angebot den Zuschlag, sondern dem zweitgünstigsten.

    Bei gegebener Fähigkeit, Kosten recht genau zu kalkulieren, hat es dann keinen Vorteil mehr, sie zu schönen. Es gewinnt eben nicht der, der am billigsten anbietet. Man kann sich kaum als 2. versuchen zu positionieren. (Deshalb ist Stiefeltrinken auch so eine Gaudi 😉 Also lohnt es sich, einen realistischen Kostenvoranschlag abzugeben.

  4. Ralph, leider halten sich die Auftraggeber nicht an Deinen Ansatz, wie die erwähnten Beispiele zeigen. Abgesehen davon ist der Ansatz nicht über jeden Verdacht erhaben. In der heutigen Praxis unterbieten sich die Anbieter, sogar bis unter den Einstandspreis. Wenn alle Anbieter Lügner sind, weil sie glauben, dass man auch für das zweitbilligste Angebot noch immer tiefpreisig kalkulieren muss, erhält mit Deinem Modell nicht derjenige den Zuschlag, der realistisch gerechnet hat, weil es gar keiner versuchte.
    Sogar wenn einer von drei Anbieter einen realistischen Preis verlangt und die zwei anderen „Schönwetterpreise“ machen, erhält bei Deinem Ansatz einer der beiden Schönwetteranbieter der Zuschlag und nicht derjenige, der das Projekt eigentlich gewinnen sollte, denn dieser ist am teuersten.
    Dein Modell geht eben davon aus, dass das Gefangenendilemma ausgeschaltet ist. Das Kartellverbot stützt aber das GD noch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.