Gerade in diesem Moment, wo ich diese Zeilen schreibe, wollten wir wieder in Europa sein. Der Flug wurde allerdings suspendiert und so bleiben wir hier in Sri Lanka hocken. Flüge soll es im Mai wieder geben. Das bedeutet, dass wir auch die nächsten fünf bis sieben Wochen noch hier festsitzen. Es könnte indes schlimmeres geben. Sri Lanka hat nur wenig Infizierte. Und die Einwanderungsbehörde hat gerade beschlossen, alle Visa bis zu einem Stichtag im Mai automatisch zu verlängern.
Gesundheitssysteme
In den Medien werden die sogenannten Gesundheitssysteme der verschiedenen Länder gegeneinander ausgespielt: die USA haben angeblich ein schlechteres Gesundheitssystem als Deutschland. Und wie das Gesundheitssystem in Sri Lanka eingestuft werden soll, weiss niemand. Ich weiss vor allem nicht, was im Zusammenhang mit Sars-cov2 ein „gutes Gesundheitssystem“ ist. Dass genügend Beatmungsgeräte vorhanden sind? Oder dass das Pflegepersonal gewerkschaftlich organisiert ist? Ob die Pflege gratis ist oder privat bezahlt werden muss? Es gibt so viele Dimensionen – politische, medizinische, gesellschaftliche – dass keine Diskussion einem aktuellen Gesundheitssystem gerecht werden kann. Ich habe hier in Sri Lanka bereits ein Spital von Innen gesehen, war mit einer Vollnarkose im OP, musste Untersuchungen in verschiedenen Spitälern machen lassen und lernte mehrere Ärzte kennen. Das hat mich alles sehr überzeugt und ich habe volles Vertrauen in das hiesige Gesundheitssystem! Vermutlich gibt es hier auch (noch) nicht diese antibiotikaresistenten Mikroorganismen, wie in den europäischen Spitälern. Mittlerweile müssen diese fast mehr gefürchtet werden, als die Krankheit, mit der man eingeliefert wurde.
Supermärkte und Schutzmasken
Die Massnahmen der Regierung von Sri Lanka sind rigoroser als in den meisten europäischen Ländern. Hier herrscht seit zwei Wochen ein totales Ausgehverbot und wer es nicht beachtet, wird festgenommen. Schon gab es mehrere hundert Verhaftungen. Alle drei bis vier Tage wird das Ausgehverbot für acht Stunden unterbrochen, jeweils von 6 Uhr früh bis 14 Uhr nachmittags. In dieser Zeit ist es gestattet, sich auf der Strasse zu bewegen, um einzukaufen. Die beiden Supermärkte in Tangalle – Foodcity und Keells – achten darauf, dass niemand mehr als drei Einheiten eines Produkts kauft und lassen bloss eine beschränkte Anzahl Kunden in den Laden. Alle anderen müssen draussen Schlange stehen. Wenn immer ein Kunde raus geht, kann einer rein. Und das klappt erstaunlich gut. Die ca. 100 Meter lange Schlange erstreckt sich den Wänden und Strassenrändern entlang, und die Menschen halten den gebührenden Abstand. Alle tragen Schutzmaske.

Vor ein paar Wochen, als man sich in Europa vor allem über Hamsterkäufe und Toilettenpapier aufregte, fand ich im Keells Schutzmasken und Desinfektionsgel in beliebigen Mengen. Ich packte je etwa ein halbes Dutzend ein, kam mir dann als Hamsterer vor und legte wieder je ein paar zurück. Heute wäre ich froh, ich hätte einige Schutzmasken mehr genommen, vor allem, weil hier jetzt alle eine tragen. Obwohl: Schutzmasken nützen viel, aber nur eine begrenzte Zeit. Danach werden sie zu reinsten Virenschleudern. Vor allem die einlagigen Papier- und Stoffmasken müssten alle 20 Minuten erneuert werden, d.h. man bräuchte tausende solcher Masken.
Toilettenpapier
A propos „Toilettenpapier“: Ich bin mir nicht sicher, ob das unendliche Thema sarkastisch oder ernst gemeint ist. Wenn Toilettenpapier tatsächlich einer erhöhten Nachfrage unterliegt, dann ist das für mich unerklärlich. Was hat Toilettenpapier mit einer Epidemie zu tun? Ist Toilettenpapier für manchen Zeitgenosse ein Fetisch? Hier in Asien gibt es überall Hygieneduschen. Sie sind billig, in den meisten Fällen einfach und schnell zu installieren und überaus effektiv. Selbstverständlich habe ich mir auch in Europa Hygieneduschen „angeschnallt“. Damit entfällt für mich die Nachfrage nach Toilettenpapier fast vollständig. Wo ist also das Problem, das viele Menschen nun haben, wenn Toilettenpapier knapp wird? Wer braucht denn schon Toilettenpapier (das ja eher verschmiert als entfernt)? Aber vielleicht hat die Toilettenpapier-Diskussion bloss eine Stellvertreterfunktion. Vielleicht soll sie vom eigentlichen Angst-Thema ablenken. Toilettenpapier-Diskussion als Angstsublimation?

Experten und Meinungen
Zum Glück ist das Thema in letzter Zeit etwas in den Hintergrund gerückt. Dafür erhob sich in den Social Media ein noch lauteres Getratsche über die epidemiologische Situation, in der wir uns befinden! Jeder weiss es besser, jede gibt noch eine Kritik oder Warnung zum Besten, aber niemand kennt sich wirklich aus. Sogar die Experten widersprechen sich. Der eine Virologe behauptet, dass es sehr schlimm sei, der andere Immunologe vergleicht die Situation mit einer normalen Grippe und beide werden von Leuten angegriffen und sogar bedroht, die es noch besser wissen wollen, als die Experten selbst. Dabei ist im Moment die Datenbasis sehr dürftig und die Situation äusserst komplex. Das bedeutet, dass sogar Expertise nicht wieterhelfen kann. Es weiss einfach niemand etwas Genaues! Ob nun Sicherheit vor Freiheit geht oder umgekehrt oder ob gar beides sysnchron möglich ist, dazu kann jede Person ihre eigene Ansicht haben. Ich mag sie einfach nicht alle lesen. Auch ein philosophischer Essay über Freiheit und Sicherheit interessiert mich jetzt nicht, schon gar nicht, wenn er von einem meiner Follower auf Facebook oder Twitter geteilt und kommentiert wird. Das ist ebenso wenig interessant, wie die vielen Meinungen zur Zeit danach. Niemand kann in die Zukunft sehen, weder Experten noch Laien. Auch die Autoren, die angeblich vor Jahren und Jahrzehnten bereits von einem Wuhan-400-Virus gewarnt haben, konnten nicht in die Zukunft schauen.
Sogar unter den Vögel gibt es Babbler
Ich bin das Getratsche so leid, dass ich die Covid-19-Situation gar nicht mehr verfolge. Es genügt, wenn ich weiss, dass die Zahlen exponentiell zunehmen, dass die USA, Italien und Spanien Tabellenführer sind und dass jede Nation eine andere Abwehrstrategie fährt. Sollte sich an dieser Situation etwas ändern, werde ich es schon rechtzeitig erfahren. Aber ständig vor den Charts und den News zu sitzen, das tue ich mir nicht an. Ich verbringe den Tag auf der Terrasse mit Blick in die tropische Vegetation und beschäftige mich mit Mathematik, Fotografie, Schreiben und Lesen.

Neuerdings habe ich angefangen, die Vögel, die sich hier um das Haus herum aufhalten, zu beobachten. Leider ist es ohne Fernglas schwierig. Als Ersatz fotografiere ich die Vögel mit der grösstmöglichen Brennweite (300 mm) und zoome das Bild auf dem Bildschirm noch weiter auf. Das gibt zwar keine klaren Bilder, aber es reicht meist, um den Vogel bestimmen zu können. Dank der Nähe zu zwei stillen Lagunen, tummelt sich hier allerlei: nebst Beos, farbenprächtigen Kingfishern und Nektarvögeln, plappernden Papageien und Babblern oder diversen Kuckuckarten und Spechten, gibt es auch die kuriosen Hornbills, grosse Wasservögel, wie Pelikane oder Räuber, wie Seeadler. Und kurz vor dem Einnachten, so um 18 Uhr, lasse ich mich in den Pool fallen und horche den Geräuschen des Dschungels und des Meeres.


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