Von einem guten Rat zu profitieren, erfordert mehr Weisheit, als ihn zu geben

Kaum hat die eine Blogparade über «Digitalisierung» geendet, ruft Conny Dethloff in seiner Reise des Verstehens zu der nächsten auf:

Er möchte dabei folgende Fragen diskutieren:

  • Was können externe Berater für den Wandel in Unternehmen einbringen, was von innen heraus schwer bis gar nicht möglich ist?
  • Lassen sich Unternehmen nur von innen heraus ändern (operationale Geschlossenheit)?
  • Wie wichtig ist heute noch das Referenzieren auf Best Practice? Hat sich dieser Fakt im Laufe der Zeit geändert?
  • Welche Erfahrung haben Sie mit Beratern im Kontext Wandel gemacht?
  • Können Sie Ihre Erfahrung, positiv oder negativ, begründen, sprich lassen sich die Ursachen verallgemeinern?

Veränderungswahn

Digital Equipment Corporation – kurz DEC – war so innovativ, dass sie alle paar Monate einen Change verordnete, der von externen Beratern begleitet wurde. Auf Corporate Level war Edgar Schein beteiligt, der seine Erfahrungen in dem bekannten Buch Aufstieg und Fall von Digital Equipment Corporation, (Schein, Edgar H.. – Bergisch Gladbach : EHP, 2006) zusammenfasste. Auch in der Schweizer Niederlassung waren externe Berater beteiligt. Das war in den frühen 90er Jahren, als Organisationsentwicklung als Beratergeschäft florierte und man meinte, man könne Veränderung als Projekt gestalten, mit einem Anfangs- und Endtermin und mit einem Projektplan. Ich habe dort viel über Organisationsentwicklung gelernt, zumal ich in einer internen Beratergruppe tätig war. Aber so richtig hat kein Change gegriffen.

2015 habe ich in Haben Projekte ausgedient?  geschrieben:

Auch in der Organisationsentwicklung hat man, so paradox es klingt, Projekte gemacht. Beispielsweise gibt es eine Broschüre „Veränderungsprojekte erfolgreich planen und umsetzen“ oder einen Kurs „Planung und Steuerung von Veränderungsprojekten“. Schon die Titel sind irreführend und atmen den Geist der 90er Jahre. Veränderung findet nicht in Projekten statt

Wenn in einem Unternehmen ein Veränderungsprojekt das nächste jagt, dann ist das ein sicheres Zeichen seines Untergangs, denn Veränderungen ziehen temporär Ressourcen ab. Ein System, das sich verändert, geht in eine höhere Komplexitätsebene, indem es die bestehende globale Struktur in eine neue überführt. Dieser Übergang ist von hoher Unsicherheit und Instabilität begleitet. Ein Unternehmen sollte daher solche Übergänge nicht zu oft durchleben müssen, sonst hat es keine Zeit, seine effektiven Aufgaben wahrzunehmen.

Peter Kruse erklärt, warum „Panta rhei“ („Alles fliesst“) nur auf der Elementarebene gilt (48 Sekunden):

Sind Berater obsolet?

Ich hoffe sehr, dass solche Beratertätigkeit endgültig in das letzte Jahrhundert verortet werden kann. Heutige Berater sind eher Coach, Sparring Partner (oder Hofnarr). Die letzte Verantwortung blieb schon immer beim Chef. Zwar kann dieser den Berater mit Schimpf und Schande zum Teufel jagen (oder den Hofnarr enthaupten lassen). Diese Blitzableiterfunktion gehört übrigens zur Rolle des Beraters und ist nicht zu unterschätzen. Aber in herkömmlich hierarchischen Organisationen wird letztendlich immer der oberste Chef zur Rechenschaft gezogen.

Dennoch habe ich die Erfahrung gemacht, dass es meistens die selbstherrlichen, unreflektiert entscheidenden Manager sind, die von sich sagen, sie bräuchten keinen Berater, während sich die intelligenten, suchenden Manager gerne mit einem vornehmlich externen Sparringpartner unterhalten wollen. Ich kenne sogar einen Manager, der ab und zu mit einem Fischer hinausfährt und diesem seine Sorgen erzählt. Allein das ist ihm viel Wert.

Veränderung der Unternehmenskultur

Auch der gute Berater selbst, wird einen Berater haben wollen. Das nennt sich mal «Supervision im Kollegenkreis» oder einfach «Teilen der Bürde». Oft wählt ein guter Berater einen gleichgesinnten Kollegen, mit dem er sich in lockerer Folge und nach Bedarf trifft (kann heute gerne auch über digitale Medien stattfinden) und versucht, ihm die Komplexität seines Beratungsfeldes zu erklären, mit der Bitte um Reflexion. Schliesslich gibt es in komplexen Systemen keine Best Pratices. Der Wunsch danach entspringt einem Kontrollbedürfnis, das immer weniger befriedigt werden kann. Sich von ihm zu lösen und Ambigutitätstoleranz zu entwickeln, ist eine vornehmliche Manageraufgabe, die durchaus von Coaches unterstützet werden kann.

Nachhaltige Veränderungen finden immer (auch) auf der unternehmenskulturellen Ebene statt. Solange eine Veränderung nicht auch die Kultur durchdrungen hat, hat sie nicht wirklich stattgefunden. Da ist es für einen externen Berater schwer, aktiv einzugreifen. Aber es wäre falsch zu meinen, die Organisationskultur sei etwas rein internes. Eine Organisationskultur orientiert sich auch an gesellschaftlichen Gepflogenheiten.

Rolf Müller schreibt in Steuerung von institutionellen Transformationsprozessen öffentlicher Organisationen (2013)

Die theoretischen Ansätze der Organisationskultur bieten Grundlagen zum Verständnis von Kulturen in Organisationen. Die Organisation wird als offenes soziales System betrachtet, das von seiner Umwelt lernt (Pettigrew 1979). Die Mitglieder der Organisation erleben ihre Umwelt und lernen. Der Mensch ist Akteur und seine Wahrnehmung und Lernprozesse bilden die Grundlage zur Entstehung und Veränderung von Organisationskultur (Schein 1985/2010). Die Gestaltung von Wirklichkeit führt dann zur Gestaltung von Organisationskultur

Wie Veränderungen passieren

Vielleicht erinnern wir uns, wie in einem System Veränderungen passieren. Wirklich nachhaltige Veränderungen kommen immer per Selbstorganisation zustande. Durch äussere Zwänge entstehen Störungen in den Abläufen und Prozessen. Diese Fluktuationen werden zunächst unterdrückt und ausgeglichen. Wird die Differenz zwischen den äusseren Gegebenheiten und dem inneren Zustand zu gross, nimmt auch die Tiefe der Fluktuationen zu, so dass sie nicht mehr unterdrückt werden können. Sie setzen sich durch und führen zu einer neuen Organisationsstruktur auf einer höheren Komplexitätsebene.

In einer Unternehmensorganisation geschehen solche Veränderungen auf der kulturellen Ebene. Sie können nicht verordnet werden. Verordnete und absichtlich durchgeführte Veränderungen sind kaum nachhaltig. Wenn kein Handlungsbedarf oder Leidensdruck vorhanden ist, dann wird auch keine Veränderung stattfinden. Initiierte Veränderungen – einfach weil es wie in den 90er Jahren chic ist, sich zu verändern – verebnen schnell.

Insofern werden Veränderungen also von Aussen verursacht. Aber selbstverständlich sind die eigentlichen Veränderungsprozesse systemimmanent. Es kommt jetzt darauf an, wo man die Grenze zieht, bzw. was man alles in die Betrachtung einbezieht. Es ist ein bisschen eine Huhn-Ei-Frage, ob nun der äussere Zwang die inneren Veränderungsprozesse anstösst oder ob erst die inneren Veränderungsprozesse zu der eigentlichen Veränderung geführt hat.

In der Soziologie wird in Anlehnung an Niklas Luhmann von der operativen Geschlossenheit von Systemen gesprochen. Das gilt natürlich nicht auf der Elementarebene. Die Prozessen eines Systems beeinflussen direkt die Prozesse des Nachbarsystems. Was anderes als das Ungleichgewicht zwischen den inneren und den äusseren Prozessen würde sonst die Systemmitglieder bewegen? Für Unternehmen heisst das, dass sich die Prozesse einer Unternehmung an diejenigen seiner Kunden- und Lieferantensysteme anschliessen und anpassen. Dieser Prozess wird immer wichtiger, je besser Supply Chains ihre Teilnehmer integrieren.

In Wie Veränderungen funktionieren – die 9 Elementarveränderungen habe ich 2001 versucht, neun Veränderungsklassen nach dem Kriterium zu ordnen, inwiefern sie durch das System selbst ausgelöst,  bzw. ihm aufgezwungen sind. Je länger ich aber darüber nachdachte, desto unmöglicher schien mir diese Aufgabe. Im ersten Moment war ich zwar sehr schnell in der Lage, zu jeder Elementarveränderung anzugeben, ob sie selbstinitiiert oder fremdbestimmt ist. Dann aber verfliessen die Grenzen und und je länger man darüber nachdenkt, desto unklarer wird, ob sich nun zuerst die Welt oder das System verändert hat.

Die 9 Elementarveränderungen
Die 9 Elementarveränderungen

(Titel nach Michael Collins (1890 – 1922). Irischer Freiheitskämpfer)

 

4 Antworten auf „Von einem guten Rat zu profitieren, erfordert mehr Weisheit, als ihn zu geben“

  1. Guten Morgen, Herr Addor!

    Kluge Bemerkungen!

    „In der Soziologie wird in Anlehnung an Niklas Luhmann von der operativen Geschlossenheit von Systemen gesprochen. Das gilt natürlich nicht auf der Elementarebene.“
    Eigentlich war es bei sozialen Systemen so gedacht, daß „operationale Geschlossenheit“ mit „strukturellen Kopplungen“ korreliert, so daß die strukturell gekoppelten Systeme sich zu perturbieren, aber nicht (direkt) zu instruieren vermögen .

    Das gilt dann auch für die sog. „Elementar“-Ebene. Denn das soziale System würde bestimmen, was es als „elementar“ ansieht (= top-down-Perspektive). Es sind bottom-up-Ansätze à la komplex-adaptive Systeme, die dagegen low-level-Elemente in das jeweilige komplexe System aufnehmen wollen. Das macht m.E. nur metaphorisch Sinn. Literal ist das eher eine unsinnige Container-Vorstellung (das leuchtet schon bei allen möglichen Schwarmphänomenen und dann schon gar nicht mehr bei Organisationen unserer Spezies ein. Ich schreibe in Kürze noch einen Blogpost dazu).

    „Für Unternehmen heisst das, dass sich die Prozesse einer Unternehmung an diejenigen seiner Kunden- und Lieferantensysteme anschliessen und anpassen. Dieser Prozess wird immer wichtiger, je besser Supply Chains ihre Teilnehmer integrieren.“
    Das überzeugt in der „technischen“ Dimension (Anpassung der Datenformate, usf.), aber nicht automatisch in der organisatorischen Entscheidungskommunikationen, weil sich sonst die Organisationsgrenzen (und damit die Organisationen selbst) auflösen würden. Kurzum: Entscheidungen aus der (organisatorischen) Umwelt der Organisationen könnten dann „nahtlos“ (!) an organisationsinterne Entscheidungen „anschließen“.

  2. …und das tun sie m.E. denn auch. Ich halte Organisationsgrenzen sowieso für eine Definitionssache. Beispielsweise bin ich als Angestellter von DEC mehr bei IBM und Unisys ein- und ausgegangen, als bei meinem Arbeitsgeber. Warum? Weil ich die Aufgabe hatte, unternehmensübergreifende Prozesse zu entwickeln.

    Der Trend geht in der Tat zusammen mit dem Abbau hierarchischer Strukturen hin zu organisationsübergreifende Netzwerkstrukturen auch in entscheidungsrelevanter Hinsicht.

    Mit „Elementarebene“ ist hier nicht das gemeint, was das System als elementar ansieht, sondern die Abläufe auf individueller Ebene, im Gegensatz zu der globalen Ablaufstruktur. Denken Sie beispielsweise an einen Fischschwarm. Auf der Elementarebene schwimmt jeder einzelne Fisch aufgeregt umher. Auf der globalen Ebene hingegen scheint der Schwarm stabil zu sein und seine stabile Struktur zu halten.

    Vielen Dank für Ihren interessanten Feedback. Ich bin auf den angekündigten Blogpost gespannt!

  3. „Organisationsgrenzen sowieso für eine Definitionssache.“
    Sicher. Es kommt dabei auf die jeweilige Art und Weise an, wie Organisationen konzeptualisiert werden (da gibt es ja mehrere Möglichkeiten). Aber nicht jede (mögliche) Konzeptualisierungsweise ist gleichermaßen plausibel 🙂

    „Beispielsweise bin ich als Angestellter von DEC mehr bei IBM und Unisys ein- und ausgegangen, als bei meinem Arbeitsgeber. Warum? Weil ich die Aufgabe hatte, unternehmensübergreifende Prozesse zu entwickeln.“
    Gewiß. Es gibt Jobs, bei denen man mehr Zeit bei anderen Firmen(kunden) als in der eigenen Organisation verbringt. Aber: Es sind „nicht“ die Kunden, die letztlich über ihre Organisationsmitgliedschaft in ihrer Heimatfirma „entscheiden“ können (Kundenbeschwerden, etc. wären immer noch extern zugerechnete Perturbationen). Das heißt auch: Bei welcher Organisation haben sie einen Anstellungsvertrag unterschrieben, der über die relevante Mitgliedschaft entscheidet? Bei ihrer Heimatfirma 🙂

    „Der Trend geht in der Tat zusammen mit dem Abbau hierarchischer Strukturen hin zu organisationsübergreifende Netzwerkstrukturen auch in entscheidungsrelevanter Hinsicht.“
    Ja, definitiv. Und dieser Netzwerkcharakter zeigt dann auch die „Grenzen“ des oben skizzierten Verständnisses von
    Organisation auf!

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