In seinem immer interessanten PM-Blog hat Stefan Hagen kürzlich eine Blitzumfrage veröffentlicht. Interessierte Personen können in einer gegebenen Liste von typischen Herausforderungen im Projektmanagement anklicken, welche vier aus ihrer Sicht die grössten sind. Selbstverständlich sagt die Rangfolge nichts über die tatsächlichen Schwierigkeiten im Projektmanagement aus, sondern nur etwas über die Verbreitung der Meinungen. Dass wieder einmal unklare Ziele und Aufträge als grösste Herausforderung die Reihenfolge anführt, bedeutet ja nur, dass die meisten Befragten dieser Meinung sind, nicht dass es sich tatsächlich um die grösste Herausforderung handelt. Die Landkarte ist ja nicht die Landschaft.
Marcel Altherr von MaibornWolff meint in einer perönlichen Mitteilung:
Fast alle Projekte, die ich im Laufe der Zeit angetroffen habe, gehen von einem tayloristischen Idealbild aus. Die Bilder im Kopf zum Thema Projekt sind Vorstellungen aus der industriellen Welt. Projekte haben einen wohldefinierten Anfang und ein ebensolches Ende und das zwischendrin kann man exakt planen, in kleine Einzelteile zerlegen und dann in der Ausführung ganz einfach wieder zusammensetzen. Das Bild im Kopf ist das einer geordneten und kontrollierbaren Welt. Die Wirkung dieser Bilder ist so stark, dass sogar wider alle realweltlichen Erfahrungen mit Projekten daran festgehalten wird.
Das trifft den Nagel auf den Kopf. Weil die Welt in den Köpfen der Umfrageteilnehmer geordnet und kontrollierbar ist, müssen Ziele und Anforderungen von Anfang an abschliessend und vollständig definiert werden können – glauben sie. Das widerspricht zwar den „realweltlichen Erfahrungen“, ist aber als verikale Flucht im Sinne Dörners besonders hilfreich, wenn die Realität allzu widerspenstig wird1. Man beschäftigt sich lieber mit einem idealisierten Abbild der Realität. Wir haben eine derartige Angst vor Kontrollverlust, dass wir rigide am tayloristischen Idealbild von Projekten festhalten und sagen:
Mein Plan[, der wohldefinierte Ziele und vollständige Anforderungen annimmt,] ist prima, was kann ich dafür, wenn die Wirklichkeit so widerborstig ist?2
Ziele und Anforderungen sind nun mal grundsätzlich erst dann definierbar, wenn das Projekt abgeschlossen ist3. Projekte scheitern nicht an dieser Tatsache, sondern daran, dass die Damen und Herren Projektleiter sie nicht akzeptieren wollen.
1Dörner, D. Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen. rororo Taschenbücher, Rowohlt. Reinbek b. Hamburg, 2003
2Strohschneider, S. und von der Weth, R. Ja, mach nur einen Plan. Pannen und Fehlschläge – Ursachen, Beispiele, Lösungen. Verlag Hans Huber. Bern 2001. S.42
3Addor, P. Projektdynamik – Komplexität im Alltag. S. 203ff. Verlag Reinhold Liebig, Frauenfeld 2010
Liebe widerborstige Wirklichkeit, ich verstehe dich schon wieder ein Mal nicht.
Ein Projektleiter hat normalerweise die Aufgabe, ein Projekt in Time, in Budget und in Quality über die Bühne zu bringen. Und um diese Anforderung erfüllen zu können, braucht er eine Zieldefinition. Natürlich wird diese nicht „von Anfang an abschliessend und vollständig definiert“ sein, aber sie muss schon detailliert und abgegrenzt genug sein, um den Projekterfolg messbar machen zu können.
Ich denke, dass unklare Ziele als Projektherausforderung nicht auf eine tayloristische Projektsicht der Projektleiter zurückzuführen sind, sondern mit ihrem ureigenem Interesse an der Messbarkeit ihrer Leistung. Ein Projekt kann nur dann erfolgreich abgeschlossen werden, wenn ich vor dem Projekt grob (und im Projekt in einer frühen Phase detaillierter) die Ziele, das Buget und die Qualität definiere.
Als Projektleiter hätte ich Angst vor einem Projektauftraggeber, der sagt: „Nun mach mal. Ich weiß nicht so genau, wo wir hin wollen, aber ich verstehe, dass die Welt komplex ist, und wir daher Ziel erst hinterher definieren können[3]. Nimm das Geld, das du brauchst.“.
Der optimale Ausgang: Ich mache irgendwas im Projekt, definiere nachher das Resultat als Ziel und als Zeitraum die vorher verbrauchte Zeit, wir arbeiten bei google, und Geld ist kein Thema, und alle sind glücklich.
Der wahrscheinliche Ausgang? „Was haben Sie den da gemacht? Das braucht doch keiner. Und die Kosten sind nicht akzeptabel. Im Lager wird noch eine Aushilfe gesucht.“ Leider ist Geld doch ein Thema.